Patrick Wolf (live auf dem MELT! Festival-Samstag 2011)

Patrick Wolf (live auf dem MELT! Festival-Samstag 2011) © René Peschel

Während der Himmel am Vortag noch bewölkt war und der Wind sich ein paar Zelte mitnahm, zeigte sich der Samstag auf dem Melt!-Festival von seiner sonnigen Seite. Ideales Wetter für Patrick Wolf, der in den Abend hineinsang, The Streets, die wohl ihr Abschiedskonzert für Deutschland gaben und Modeselektor, die bis in die frühen Morgenstunden die Tanzwütigen unterhielten.

{image}Aufstehen, Sonne genießen, über den Campingplatz flanieren – die Zeit vergeht viel zu schnell auf dem Melt!, denn urplötzlich steht der Auftritt von Patrick Wolf bevor. Der Londoner hat gerade sein fünftes Studioalbum Lupercalia veröffentlicht. Das Werk hat eine lange Geschichte aus Konzeptentwürfen und Namenswechseln hinter sich, schlussendlich benannte es Wolf nach dem antiken römischen Fest der Luperkalien. Auf der Bühne sieht Wolf aber gar nicht römisch-antik aus (man vergleiche nur sein Kostüm vom Melt! 2009), sondern eher wie direkt aus den 60ern in die Jetztzeit katapultiert: Zu seinem hellblauen Anzug trägt er als farbliches Gegengewicht feuerrote Haare. Auch seine Mitmusiker müssen sich dem anpassen. Die Damen tragen rote Kleidchen mit Ringeloptik und rote Strumpfhose, die Herren zwängen sich in schwarz-weiße Ringelhemden.

-> Den Überblick über das Melt! 2011 findet Ihr hier

{image}Wolf eröffnet seinen Auftritt mit Armistice, dem dritten Track aus dem Album Lupercalia, auf das er sich auch in der nächsten Stunde konzentrieren wird. Trotzdem fehlen einige "Klassiker" nicht, und so erklingt kurz darauf The Libertine aus dem Album Wind in The Wires. Der langsam untergehenden Sonne entsprechend bekommt der Song etwas mehr Geigenspiel in dunklen Klangfarben spendiert als im Original. Bei The Bachelor springt Patrick Wolf am Keyboard auf und ab. Mit seinem Equipment geht er wenig sorgsam um, ein Roadie hat die Rolle seiner Putzfrau übernommen und räumt immer wieder hinter dem Londoner her. Bermondsey Street wird mit einer langen Erklärung angekündigt: Wolf habe den Song für einen Ort geschrieben, an dem es keine Homophobie, Faschismus oder Ähnliches gäbe. Der Song selbst entpuppt sich daraufhin als ein eher leichtgewichtiges Stück voller Heile-Welt-Romantik. Auch Together bekommt eine kleine Vorrede. Wolf schrieb das Stück auf dem Weg zu einem Treffen mit Alec Empire von Atari Teenage Riot. Leider folgt auch hier der großen Vorrede musikalisch wenig. This City, die aktuelle Singleauskopplung, wird zum Rausschmeißer.

{image}Im Intro Zelt wird derweil schon fleißig für These New Puritans aufgebaut. Trotzdem zieht sich alles etwas hin, besonders der abschließende Soundcheck braucht Zeit. Lange steht der Xylofonspieler der Band ganz einsam und allein hinter einer Plexiglaswand auf der Bühne. Als dann Jack Barnett, Frontmann der Engländer, samt Restband auf die Bühne kommt, spürt man die Erleichterung im Publikum. Leider wird der Auftritt der langen Vorbereitungszeit nicht gerecht. "Art Rock" beschreibt die Wikipedia den Stil der Band, für die Live-Darbietung kann man auch einfach "langweilig" sagen: Unterschiede zwischen den einzelnen Songs lassen sich kaum ausmachen, alles klingt gleich. Und so verschwindet das regioactive.de-Team schnell wieder aus dem Zelt, wertvolle Melt!-Zeit darf nicht verschwendet werden.

{image}Auf der Hauptbühne spielen derweil noch Beady Eye. Liam Gallagher trägt den gleichen Mantel wie bei vielen Auftritten sonst auch. Entweder hat er Durchblutungsstörungen oder schwitzt sehr gern, angenehm sieht es jedenfalls nicht aus. Von der Musik bleibt daneben wenig hängen, spannend ist anders. Statt langweiliger Rockerposen sollte sich Liam vielleicht wieder aufs Songschreiben konzentrieren. Aber warum lange über das Schlechte reden, wenn das Gute so nah ist. Denn der auf Beady Eye folgende Auftritt von The Streets ist nicht nur musikalisch ein Höhepunkt des Samstags, sondern auch ein musikhistorisches Ereignis. Denn wahrscheinlich haben die Melt!-Besucher den letzten Auftritt von Mike Skinners Projekt, das 2012 beendet wird, auf einer deutschen Bühne gesehen. Auch deswegen geht es wohl gleich episch los: "Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – it's good to be here!", ruft Skinner ins Publikum. "So I came here to have a good time. I came here to party. Do you know what a good party is?" Aber natürlich! Scheinbar hat sich das gesamte Melt! auf dem Platz versammelt, um mit Skinner, Kevin Mark Trail und dem Rest der Gang zu feiern. Bei The Escapist zeigt Skinner ins Publikum und gesteht: "Ich liebe dich! No, really!" Nach Weak Becomes Heroes stellt sich Skinner zwei Monitorboxen zurecht, um der Menge darauf tanzend das Bouncen beizubringen: "Nice & calm." Ein mehr als würdiger und toller Abschluss einer großartigen Band.

{image}Nebenan auf der Gemini Stage spielt derweil Martin Gretschmann, besser bekannt als Console. Der Musiker, der sonst vor allem mit The Notwist bekannt ist, hat im letzten Jahr sein Album Herself veröffentlicht. Unterstützt wird er an diesem Abend von der Sängerin Miriam Osterrieder, Christoph Brandner am Schlagzeug, Axel Fischer am Korg MS10 und Michael Schwaiger am Keyboard. Die fünf Musiker haben sichtlich Spaß auf der Bühne, obwohl wenig Publikum anwesend ist. Eine familiäre Atmosphäre tut sich auf, aber spätestens, wenn sich Michael Schwaiger diebisch auf einen dicken Beat freut, erinnert sich auch der Letzte daran, auf einem Konzert zu sein. Der auf der Hauptbühne folgende Auftritt der Editors ist sauber gespielt und macht deutlich, wie sehr das Quartett aus Birmingham am Bombast hängt. Immer und immer wieder explodiert die Band förmlich auf der Bühne und spielt mit ausladenden Gesten und blitzartigen Lichteffekten gegen ruhige Passagen der Songs an. Inhaltlich gibt es keinen Schwerpunkt, Songs aus allen drei bisher erschienenen Alben werden gespielt. Bones kriegt ein kleines aber dickes Schlagzeugsolo spendiert, der neue Song Two Hearted Spider wird rausgehauen und auch ansonsten ziehen die Mannen um Sänger Tom Smith alle Hits aus dem Ärmel. Bei Papillon springt Smith wie ein Berserker vor seinem Mikrofon herum und weil auch Eat Raw Meat = Blood Drool gespielt wird, können wir jetzt auch endlich einmal auf das Video dazu verweisen.

{image}Digitalism spielen daraufhin ein sauberes, aber unspektakuläres Set ab. Der Gesang von Jence wirkt stellenweise dünn, besonders bei der diesjährigen Melt!-Hymne 2 Hearts (die man sich übrigens hier kostenlos herunterladen kann). Der Auftritt wirkt bemüht, ähnlich wie am Vortag bei The Sound of Arrows. Diese Meinung teilt das Publikum aber nur stellenweise, viele feiern die Hamburger ab. Nebenan im Intro Zelt spielt derweil K.I.Z. Das Verhältnis zwischen der Intro und K.I.Z. war lange zwiespältig, zur Geburtstagsfeier hat man aber endlich Frieden geschlossen und so dürfen die Fans die drei Berliner Rapper auch auf dem Melt! begrüßen. Ihren Auftritt beginnt die Band in Anzügen und vermummt mit weißen Masken, nur Nico trägt ein Barett. Besser sind die auf den Rücken geschnallten Nebelwerfer, mit deren Hilfe das Publikum "beschossen" wird. Urlaub fürs Gehirn heißt die aktuelle Platte von K.I.Z. und mit dem Song geht es auch los. Die Zuschauer, egal ob Indie-, Electro- oder Hip Hop-Fan, sind textsicher. Beim Melt! geht eben einiges.

{image}Die Crystal Castles verscheuchen schließlich als letzte Band auf der Hauptbühne langsam aber sicher die Nacht. Zu Beginn werden aber erst einmal die Festivalfotografen reingelegt. Diese dürfen nämlich ausnahmsweise von der Bühne und nicht wie sonst aus dem Fotograben fotografieren. Leider verstecken sich die beiden Kanadier zu Beginn in einer riesigen Nebelwand, was fotografieren vollkommen unmöglich macht. Bekannt sind Ethan Kath und Alice Glass wohl vor allem wegen ihrer Kooperation mit Robert Smith von The Cure geworden: Deren Song Not in Love läuft auf jeder Party, die etwas Stil hat, rauf und runter. Live fährt die Band aber ganz andere Geschütze auf, die Musik geht vor allem dank des stark verzerrten Gesangs von Alice Glass in Richtung Noise, angereichert mit 8-Bit Sounds (ein Videospiel von 1983 heißt ebenfalls "Crystal Castles"). Das Publikum feiert aber trotzdem oder gerade deswegen, Alice Glass läst sich mehrmals über die Menge tragen.

{image}Wer jetzt noch oder wieder wach ist geht zur Strandbühne und begrüßt mit Modeselektor den neuen Tag. Ein schöner Melt!-Samstag hat sich bis in den Sonntagmorgen geschoben. Verpasst haben wir an diesem Tag natürlich auch wieder gute Bands, aber man kann nicht alles sehen. Interessant wäre bestimmt der Auftritt von SBTRKT (ausgesprochen "substract") geworden. Der Londoner, der gerne mit afrikanischen Masken auftritt, hat gerade sein selbstbetiteltes Album veröffentlicht (nachzuhören ist das hier).

-> Den Überblick über das Melt! 2011 findet Ihr hier