Patrick Wolf

Patrick Wolf © Universal

"Ich bin ein großer Vogel mit großen Flügeln, Stärke und Selbstvertrauen, der sich in einem wunderbaren Stadtteil von London eingenistet hat"… keine Frage: Patrick Wolf gehört zur Liga der extravaganten, exzentrischen und sicher auch zu den begabtesten Musikern Großbritanniens. Im Juni veröffentlichte er sein neues Album "Lupercalia", das ursprünglich "The Conqueror" heißen sollte. Unser Redakteur traf Patrick Wolf in Berlin und sprach mit ihm über das neue Werk, Liebe, Sexualität, seine Live-Performance und vieles mehr.

{image}regioactive.de: Warum hast du dein neues Werk recht kurzfristig in Lupercalia umbenannt?
Patrick Wolf: Mit The Conqueror hätte ich die Aggression gefördert. Aber das wollte ich nicht mehr. Stattdessen lernte ich das Gefühl der Liebe schätzen und die lehrte mich, dass ich in Zukunft emphatischer mit der Welt und anderen Leuten umgehen sollte. Ich will nicht mehr so barsch zu den Menschen sein. Oder anders ausgedrückt: Ich will zwar weiterhin tough sein, aber das versuche ich jetzt mit mehr Optimismus und positiver Energie, anstatt mit negativer Energie und Klagen zu verbinden. Ich will kein Soldat oder Krieger sein. Von solchen Leuten gibt es schon viel zu viele. Genau wie es auch viel zu viel Krieg und Zerstörung in der Welt gibt. Ich wollte diesmal lieber Intimität, Sanftheit, Liebe und Romantik feiern und schrieb deshalb Songs genau über solche Sehnsüchte.

{image}Also wurde es ein Album voller Liebe?

Patrick: Man kann nicht behaupten, dass das Album ausschließlich von Liebe handelt. Was oft ignoriert wird ist, dass Liebe einen auch sehr traurig machen kann. Wenn zum Beispiel jemand stirbt, den du liebst. Oder aber jemand dir die Freundschaft kündigt. Der Begriff umfasst unglaublich viele verschiedene Bereiche der menschlichen Erfahrung. Und es gibt dazu auch noch so viele Spielarten der Liebe, dass man sie kaum zählen kann. Es ist ein persönliches Gefühl, das jeder irgendwann auf seine ganz eigene Art verspürt. Ein sehr tiefgründiger Begriff, der tief im Herzen angelegt ist und mit einer sehr romantischen Erfahrung verbunden ist.

An welche unterschiedlichen Spielarten denkst du?

Patrick: Du kannst einen Baum manchmal mehr lieben als einen menschlichen Freund. Es ist schwer für diesen Begriff eine richtige Definition zu finden. In den Lyrics zu Bermondsey Street singe ich "Now you know, love knows no boundaries, sees beyond sexuality. Holds the sun in the palm of its hand, and laughs down the cynical man". Das spiegelt wider, was ich ganz grundlegend über den Begriff der Liebe denke.

Sexualität ist also eher ein unwesentlicher Faktor?

Patrick: Sex als solcher ist wichtig, aber die eigene Sexualität ist dabei nicht so wichtig. Ich denke, dass die Sexualität veränderlich ist und wenn du willst, kannst du deine sexuelle Präferenz wechseln. Wir alle sind auf auf unterschiedlichen Wegen aufgewachsen und leben alle unterschiedliche Arten von Sexualität aus. Aber ob man nun bisexuell, heterosexuell oder homosexuell ist – keiner ist deswegen besser als andere, sondern wir sind als Menschen alle gleich.

Du hast gesagt, dass dein neues Album sehr ehrlich und persönlich ist. In welcher Weise? Und was bedeutet Ehrlichkeit für dich?

Patrick: Früher hatte ich verstärkt versucht, meine Emotionen in Metaphern und Codes zu verschleiern. Ich versuchte aus der Realität zu flüchten und eine metaphorische Legende zu sein. Jetzt wollte ich eine ehrliche Message abgeben. Von der musikalischen Produktion bin ich vielleicht immer noch ein Eskapist, aber nicht auf der textlichen Ebene. Auf der textlichen Ebene bin ich sehr ehrlich geworden, weil ich nichts mehr verschleiern will.

Wie wichtig ist Privatsphäre für dich? Wie entscheidest du, ob du etwas öffentlich machst oder es für dich behältst?

Patrick: Ich empfand es als große Herausforderung, mich nun so zu geben, wie ich bin. Ich fand, dass es wichtig und Zeit war, von anderen Charakteren und Personen wegzukommen, die den Leuten in den Songs dann meine Geschichten erzählen. Ich wollte mein Leben diesmal auf direkte Weise offenbaren, sodass die Hörer in dieses Leben leichter eintreten können. Denn all die Dinge passierten mir tatsächlich und werden in den Songs nur auf eine bisschen andere Art erzählt. Da in unserer heutigen Zeit praktisch jeder Mensch öffentlich lebt, wollte ich als Songwriter ebenfalls nichts mehr von meiner Persönlichkeit verschleiern und verstecken.

{image}Mir scheint aufgefallen zu sein, dass sich auch deine Performances gewandelt haben. Als ich dich das letzte Mal vor ein paar Jahren im Astra sah, hatte ich den Eindruck, dass dein Auftritt vor allem ein großes Spektakel sein sollte. Nun habe ich dich vor einigen Wochen im Berliner Lido erneut gesehen und dort einen veränderten Musiker erlebt. Jemand, der sich vor allem mit voller Konzentration und Intensität auf seine Instrumente und Songs zu konzentrieren versucht. Woher kommt dieser Wandel?

Patrick: Wenn ich damals mit dem ganzen Make-Up und den Kostümen die Bühne betrat, dann war ich zu dieser Zeit in einer Rolle gefangen. Ich war von meinen Emotionen umfangen und war besessen. Ich habe hart gekämpft, um davon wieder los zu kommen und wieder mein gutes Spiegelbild zu präsentieren. Und ich möchte diese Person nicht mehr sein. Es hat bei mir da eine Art von Reinkarnation stattgefunden und ich dachte, dass es Zeit wäre, mental zurückzudenken und mich wieder mehr auf die Instrumente zu konzentrieren. So habe ich angefangen ältere Instrumente auszupacken und diese wieder zu spielen, um damit zu meinen Wurzeln als Musiker zurückzukehren. Die Musik inspiriert mich jetzt wieder sehr viel mehr. Zwar erzähle ich immer noch ähnliche Geschichten, aber ich singe jetzt einfach nur noch, spiele meine Instrumente und mache nicht mehr so viel Show drumherum. Diese alte Rolle habe ich abgelegt. Meine Musik hat so mehr Wucht, als wenn ich auf der Bühne weiterhin zwölfmal das Kostüm wechseln würde. Aber ich mag dennoch beides. Vielleicht kann ich beides mal zusammenbringen. Jetzt wollte ich erst einmal zu meinen Ursprüngen zurückkehren.

Ich beobachte, dass du oft deine Haarfarbe wechselst. Jetzt hast du z.B. gerade rot gefärbte Haare. Soll das etwas bedeuten?

Patrick: Wenn die Leute einen anschauen, gucken sie zuerst auf das Haar und ihr Blick senkt sich dann bis zu den Schuhen herunter. Oder es spielt sich umgekehrt ab. Aber besonders schauen viele Leute meiner Meinung nach auf die Haare. Dieses ist signifikant für dein Image und Aussehen und repräsentiert dich. Ich versuche mit meinem Körper so viel zu kommunizieren, wie ich nur kann.

Für das neue Album hast du gelernt, die Harfe zu spielen. Was fasziniert dich an diesem Instrument?

Patrick: Ich war früher sehr scheu, depressiv und mental instabil und hatte nicht die Fähigkeit, mich mit Leuten anzufreunden. So kam ich zur Musik und verbrachte all meine Zeit damit. Ich finde, dass die Harfe dem Songwriting etwas Schönes hinzufügt und die restlichen Instrumente der Musik wunderbar untermalt. Die Melodie der Harfe erweitert deinen Körper und Geist. Sie hat die Fähigkeit, Dinge zu verschmelzen. Es fällt mir schwer, dieses Spezielle zu definieren. Es ist einfach eine Leidenschaft, die dich davon überzeugt, dass etwas richtig ist, was du machst. Das Ding willst du für den Rest deines Lebens machen. Es ist hart zu beschreiben. Es geht darum, deine Liebe zu einer Performance zu machen. Die Harfe auf dem Album ist allerdings nicht von mir, sondern von Serafina Steer gespielt worden. Sie ist eine Freundin aus London.

{image}Ein Song von dir heißt This City. Da singst du an einer Stelle "Won't let the city destroy my love". In welcher Weise könnte eine Stadt deine Liebe zerstören?

Patrick: Viele Leute stehen täglich jeden Morgen früh auf und wissen nicht, was sie in ihrem Leben noch inspiriert. Viele denken nur noch, wie sie mit ihrer Arbeit im Verzug sind, aber die Liebe bleibt dabei auf der Strecke. Das ist weit weg vom Gefühl zu jemandem zu gehören und eine Pflicht zu haben wenn du kein Geld hast und in einer Beziehung bist. Ich wollte einen Song darüber schreiben. Denke nicht nur über dein Geld nach oder deine Karriere, sondern versuche lieber Erfahrungen und Freundschaften zu sammeln. Denn darum geht es im Leben. Man soll die materielle Welt vergessen, weil das den Gegenpart der menschlichen Welt widerspiegelt. Das Geld soll im Leben nicht so eine große Rolle spielen. Du sollst lieber dein eigenes Leben leben, lieben und zu schätzen wissen.

Ein weiterer Song heißt Time Of My Life. Es geht darum, etwas über Beziehungen zu lernen, die in die Brüche gegangen sind...

Patrick: Ich schrieb den Song in einer Zeit, die eine der schlimmsten in meinem Leben war und in der ich mich von jemanden trennte. Um diese Trennung besser zu verarbeiten, entstand dieser Song, aber ich brauchte dafür eine Ewigkeit. Zwar war es, wie gesagt, eine der schlimmsten Perioden meines Lebens, aber ich bin für diese Erfahrung dennoch dankbar. Ich dachte mir, dass es doch eigentlich unglaublich blöd ist, wenn man drei wunderbare tolle Jahre miteinander verbringt, aber die Beziehung dann in gegenseitiger Abneigung endet oder anstatt für diese Zeit sich zu bedanken, sich über den anderen mächtig aufregt und ihm das Schlechteste wünscht. Beim Schreiben des Songs habe ich gemerkt, dass man sich für die schöne Zeit lieber bedanken sollte, anstatt sich zu ärgern, dass die Beziehung vorbei ist.

Was waren deine bisher schönsten und schlimmsten Zeiten im Leben?

Patrick: Ich fühle mich derzeit sehr glücklich. Als Musiker lernst du auf Tour zu gehen, du lernst auf die Bühne zu gehen und dich dort entsprechend zu verhalten, du lernst etwas durch bizarre Momente, die anderen Leuten nicht passieren. Es ist ziemlich schwierig mit anderen über diese Erfahrungen zu sprechen. Jetzt bin ich aber 27 Jahre alt und mache den Job schon seit ungefähr 10 Jahren und muss sagen, dass ich mir seitdem ein tolles Selbstvertrauen und Wissen angeeignet habe. Ich fürchte mich nicht mehr, sondern bin viel entspannter als früher, wenn ich die Bühne betrete. Früher habe ich praktisch jeden Tag gearbeitet und die Shows durchgeplant und Sachen getan, die ich sonst nur als Teenager getan hatte. Von solchen Dingen habe ich jetzt genug. Wenn ich in der Zeit zurückgehen müsste, dann würde ich dich jetzt wahrscheinlich bitten, mich zu schütteln! Erfreue dich an dem, was du selbst tust und stoppe das ganze Gehabe. Man soll seinen Traum leben und das tue ich jetzt umso mehr. Es ist kein Alptraum mehr. Wenn du dich in einem falschen Zustand befindest, kann der Traum nämlich schnell zu einem Alptraum werden.

{image}Ein anderer Song heißt House. Was kannst du uns über dessen Text sagen?

Patrick: Als ich als Teenager mein Zuhause verließ, hatte ich kein Zuhause mehr. Ich lebte auf der Straße und in verschiedenen kleinen Wohnungen und fühlte mich eigentlich nur noch in meiner Musik und bei meinen Kopfhörern zuhause. Ich flüchtete mich in meine eigene Welt. Flucht war sowieso jahrelang eine ausgeprägte Fähigkeit von mir. Bis zu dem Punkt, wo ich das Gefühl bekam, dass ich aus dem Leben so geflüchtet war, dass ich keine Wurzeln oder Stabilität mehr fand. Ohne Stabilität wirst du krank. So war es an der Zeit, wieder Wurzeln und ein Zuhause zu finden. Und so war es ein sehr wichtiger Schritt für mich, als ich zu meinem Management und den Freunden ging und ihnen sagte, dass ich ein bisschen kürzer treten würde und sechs Monate Zeit haben wollte, um wieder ein Zuhause zu finden und glücklich zu werden. Und ich fand es eine gute Idee, dabei dahin zurückzugehen, wo ich geboren war. Genau zu dem Hospital, wo ich zur Welt kam und beheimatet war. So fand ich dann wieder mein Zuhause im Zentrum von London. Und die Straße über die ich auf dem Album singe, Bermondsey Street, ist von meinem Zuhause übrigens auch nur drei Minuten mit dem Fahrrad entfernt.

Warum magst du diese Straße so?

Patrick: Wenn ich nicht wusste, was ich Zuhause sollte und dann über diese Straße spazierte, waren das die ersten Momente, wo ich mit dieser Straße in Berührung kam. Es gibt dort zwar nicht viel. Da steht ein Museum, ein paar nette Restaurants und in der vergangenen Zeit gab es dort auch Warenhäuser. Aber dafür leben eben auch viele Künstler um diese Straße herum. Wie zum Beispiel der Designer Andrew Logan. Es ist unausgesprochen, aber er ist einer von denen, die indirekt zu einem Teil meiner Londoner Familie gehören. Eine Familie, mit der ich auf einer gewissen Weise in meiner Teenagerzeit aufwuchs. Dazu laufen auch unglaublich schöne Menschen über diese Straße. Und in dem Song geht es eben auch um solche Dinge. Am Anfang geht es um ein heterosexuelles Paar und nach der Hälfte des Songs um ein homosexuelles Paar. Und von der Basis her singe ich im Song, dass beide Paare sich küssen und dieses Gefühl von der gleichen Emotion herrührt. Ob es nun das heterosexuelle oder das homosexuelle Paar ist, beide machen die gleichen Erfahrungen. Beide lieben sich und werden intim auf die gleiche Weise und es ist keine unterschiedliche Erfahrung nur weil sie heterosexuell oder homosexuell sind. Da gibt es keinen qualitativen Unterschied.

{image}Was denkst du über die These "Alle Menschen sind bisexuell"?

Patrick: Das ist eine sehr optimistische These. Ich denke nicht, dass diese These stimmt. Ich denke, dass heterosexuelle Menschen über ihre sexuelle Präferenz genau die gleiche Wahrheit sagen, wie es auch homosexuelle Menschen tun. Und manche haben die Präferenz, dass sie eben beide Geschlechter lieben können. Homosexuelle Menschen machen sich oft über meine Sexualität Gedanken und meinen, dass ich schwul bin. Ich finde einfach nur, dass es wichtig ist, dass jeder unterstützt wird und sich frei entscheiden kann, welche Sexualität er präferiert. Und ich habe nie gesagt, dass ich für immer homosexuell bin, aber das hilft natürlich Kinder oder inspiriert Menschen sich auch zu outen und darüber stolz zu sein. Es ist jetzt keine Show, aber ich denke, das ich nicht weiß, ob ich vielleicht irgendwann plötzlich eine Frau oder eine Transsexuelle liebe. Ich kann nicht meine Zukunft bestimmen, indem ich jetzt etwas dazu sage.

Ein anderer Song heißt The Falcons.  Inwieweit findest du dich im Falken wieder?

Patrick: Patrick Wolf ist der Falke. Ich bin ein großer Vogel mit großen Flügeln, Stärke und Selbstvertrauen, der sich in einem wunderbaren Stadtteil von London eingenistet hat.

Dann vielen Dank für dieses Interview!

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