In Berlin zeigte Patrick Wolf, dass es gerade die nicht ganz so perfekten Momente eines Konzertes sind, die den Abend letztendlich schön und einzigartig machen.

In Berlin zeigte Patrick Wolf, dass es gerade die nicht ganz so perfekten Momente eines Konzertes sind, die den Abend letztendlich schön und einzigartig machen. © Universal Music

Während Patrick Wolf schon das nächste Album erwarten lässt, legen Rome Asleep zunächst mal eine erste Punktlandung vor. Ein begeisterndes Erstlingswerk erreicht uns auch aus Nürtingen, wo Monocarspeaker die Stadtgrenzen sehr bald sprengen werden. Kein typisches "The" liefern die Pretty Thefts, während Mikroboy den schmalen Grat deutscher Indie-Texte balancieren. Mazo Fao lassen mit einem Demo aufhorchen und Dudley Perkins funkt mit feelgood-Vibes in den Sommer hinein.

Patrick Wolf * Rome Asleep * Monocarspeaker * The Petty Thefts * Dudley Perkins * Mazo Fao * Mikroboy

Patrick WolfThe Bachelor | ADA/Bloody

{image}Zunächst wollte der britische Sänger, Komponist und Multiinstrumentalist Patrick Wolf dieses Jahr ja gleich ein Doppelalbum namens Battle veröffentlichen. Doch nachdem er sich nach einigen Streitereien zunächst von seinem eigentlichen Label trennte, um daraufhin sein eigenes, von den Fans mitfinanziertes Label "Bloody Charmer Music" zu gründen, entschied er sich dann doch gegen ein solches Release. Stattdessen wird er den zweiten Albumteil The Conqueror ein halbes Jahr verzögert veröffentlichen, etwa Ende 2009/Anfang 2010. Eins steht dabei schon fest: Auf dieses Album darf man sich nach unserem Höreindruck bei The Bachelor schon jetzt freuen. Denn The Bachelor hat alles, was man von dem 26-jährigen Briten erwarten durfte: Ein ist ein ästhetisches, geheimnisvolles, abwechslungsreiches und düsteres Album voller Persönlichkeit, das kunstvoll mit den Elementen elektronischer Musik, Folk, Songwriter-Musik, Choreinlagen und klassischer Geigenmusik spielt. Die Highlights sind dabei eindeutig das von Elektro stark durchsetzte Hard Times, das von einem epischen Chor geprägte Count Of Casualty, das beschwörende Who Will, das von einem herrlichen "D-D-D-Dead meat"-Chorus durchzogene Vulture sowie der im Duett mit der Filmschauspielerin Tilda Swinton gesungene Song Theseus. Aber auch das kämpferische Battle und das vorwärtstreibende, hektische Oblivion können überzeugen. Man darf also mit Vorfreude darauf gespannt sein, was der zweite Teil des "Projekts Battle" hervorbringen wird. Denn wie sagt man noch? Auf den ersten Streich folgt der zweite sogleich!

Wertung: ++++  (Daniel Voigt)

Rome AlseepRome Asleep EP | 1000milesintomyheart Records

{image}Auch wenn es der Name vielleicht vermuten lässt, Schläfrigkeit kann man Rome Asleep nicht vorwerfen. Hier handelt es sich um einen in Post-Hardcore verpackten Albtraum, der sich konsequent gegen die übermäßig stilisierte Hochglanz-Landschaft des Rock richtet und vor allem eins ist: Atemberaubend. Bereits seit 2004 treibt die Band ihr Unwesen und kann durch eine stets stringente musikalische Entwicklung beeindrucken, die nun auf der neuen 7"-Vinyl ihren ersten Höhepunkt erreichen konnte. Diese Band könnte der Szene mal wieder richtig den Arsch aufreißen und dort für Wirbel sorgen, wo er tatsächlich gebraucht wird. Was hier schimmert, sind die Trümmer der 90er Jahre Hardcore-Szene aus San Diego, gepaart mit den letzten Atemzügen von Dischord-Bands wie Faraquet oder Q and not U. Bereits das fragmentierte Artwork der Platte zeigt, dass konventionelle Strukturen hier nichts zu suchen haben. Die Essenz des Hardcore wird zerbrochen und neu zusammengefügt, bleibt dabei jederzeit spannend, treibend und anspruchsvoll zugleich. Der Opener Disco Abortion bringt die Qualitäten dieser Band direkt auf den Punkt: Eine gewaltige Groove-Sektion überschlägt sich stetig, peitscht gnadenlos nach vorne und Sänger Björn Mergarten dirigiert dieses Konstrukt auf den richtigen Pfad. Energie pur. Nach 73 Sekunden ist das Spektakel aber auch abrupt vorbei – Disco Abortion eben. Übrig bleibt ein Gefühl des Staunens und ein erhöhter Puls. We Are Digit! schaltet einen Gang runter und bietet fräsende Gitarrenarbeit, die sich vor den Post-Punk-Helden wie This Heat ebenso verneigt wie vor The Birthday Party. Mit großen Schritten steuert das Quartett auf einen Refrain zu, der selbst den letzten Tanzflächen-Verweigerer an den Eiern packt. Youth Grinder, das unverkennbare Highlight der EP, gehört zu den vielleicht stärksten Songs dieses Genres seit Jahren. Gerade die eklektizistische Herangehensweise funktioniert hier perfekt und Rome Asleep statuieren ihre Position als ganz große Hoffnung des Hardcore. Punktlandung. Jetzt kann jede aufmerksame Redaktion nur noch Ausschau nach der ersten LP halten. Club-Betreiber sollten diese Zeit bestmöglich überbrücken und Rome Asleep auf die Bühne holen. Es lohnt sich.

Wertung: ++++ (Chris Bethge)

 

MonocarspeakerPilot | Mariarecs

{image}Unkonventioneller, undergroundiger Indierock vom Feinsten. Wütend, traurig und dabei voller Inspiration. Kämen King Crimson oder Queens Of The Stone Age aus Süddeutschland, sie hießen Monocarspeaker. Trotz der großen Vorbilder sollte man die vier Jungs aus dem beschaulichen Nürtingen nicht voreilig als eine Band, die einfach Bekanntes kopiert, abstempeln. Auf ihrem Erstlingswerk Pilot präsentieren die Schwaben einen ganz individuellen progressiven Stil. Was am Anfang noch etwas gewöhnungsbedürftig und schwammig anmutet, beweist sich spätestens nach dem ersten kompletten Durchhören als große Kunst. Monocarspeaker wissen mit ihren Instrumenten umzugehen, besonderes das Intro Failed kann mit einer schönen Bassstimme aufwarten. Sehr kreativ, aber leider zu selten auf dem gesamten Werk zu hören, kommen die Instrumentaleinlagen daher, die an den passenden Stellen den Gesang von Frontmann Frank Simper unterbrechen. Nie empfindet man ein Element im Songwriting als störend, sondern stets als wohlüberlegt und an der richtigen Stelle eingesetzt. Allerdings wären gelegentlich dynamischere Übergänge zwischen Soloparts und vollem Brett wünschenswert gewesen. Trotzdem zeigt sich auf dieser Platte eindrucksvoll das Talent der Band, zum Beispiel beinhaltet der sechste Track beyond the sorrow ein unkonventionelles Gitarrensolo, das aber zur eher düsteren Gesamtstimmung der restlichen Songs beiträgt. Auch andere wiederkehrende Stilmittel wie die ausgetüfftelten Breaks und die Instrumentalpassagen sorgen für ein dunkles und bedrücktes Grundgefühl, für das vor allem der Gesang von Simper, der mit seinen 23 Jahren bereits über unglaubliche Reife und Charisma verfügt, verantwortlich ist. Es ist das sicherliche herausragendeste Merkmal des Albums. Sowohl die Stimme als auch die Texte gehen über den deutschen Einheitsbrei hinaus. In ihren Liedern verarbeiten Monocarspeaker insbesondere ihr Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, und der Gesang steht dem gleichgütlig und kritisch gegenüber. Gemeinsam mit Zweitstimme Holger Fleck durchlebt Simper Enttäuschung und Wut, drängt sich gegenüber der restlichen Band aber nicht in den Vordergrund. Diese Gruppe hat ihren Stil gefunden und sprüht vor Ideen, so dass das Hören nie langweilig wird. Pilot ist der gelungene, melancholisch getränkte Erstling einer Band, von der wir hoffentlich noch einiges zu hören bekommen.

Wertung: ++++ (Alexander Hein)

 

The Petty TheftsSmoke & Mirrors | Klangbad

{image}The Petty Thefts, mit "Bagatelldiebstähle" zu übersetzen, möchten dem Indierock zugeordnet werden und schlossen sich 2002 in Ulm zusammen. Der Gedanke an eine weitere typische Band aus der "The"-Familie drängt sich zwangsläufig auf, verflüchtigt sich allerdings schnell beim Anhören des Debütalbums Smoke & Mirrors, das Anfang Juli auf dem Label Klangbad erschien. Indie ja, aber anders als erwartet. Die 11 Tracks auf dem Longplayer, an dem The Petty Thefts rund 2 Jahre lang gearbeitet haben, bedienen sich sämtlicher Stile von Disco bis Folk, das Ganze auf einer soliden Rockbasis. Neben traditionell für diese Art von Musik genutzter Instrumente, wie Gitarre, Bass und Schlagzeug, verwendet die siebenköpfige Band klassische Musikinstrumente: Cello, Violine, Flöte und Klavier sind dabei. Dieses Arrangement verleiht den Songs einen vielseitigen, orchestralen Klang, der durch überraschende Harmonie zwischen den Musikern überzeugt. Zwei gleichberechtigte Sänger – einer mit balladesker, ruhiger Stimme, der andere für den rauheren Brit-Pop-Unterton zuständig – runden das musikalische Ensemble ab. Abwechslungsreiche Lieder bestimmen das Album, doch leider wirkt der Soung häufig etwas überladen. Selbst an sich ruhigere Songs, wie Kids und Le Dancer, laden wenig zum Entspannen ein. Smoke & Mirrors ist also weniger ein Longplayer mit Stücken für jeden Gemütszustand, wie viele "klassische" Indierock-Alben es sind, sondern vielmehr eine Platte für Freunde der "spezielleren" Musik fernab des Indie-Mainstreams.

Wertung: +++ (Alice Fleischmann)

 

Dudley PerkinsHoly Smokes | E1 Music

{image}Declaime stammt von dort, wo die Babys HipHop schon mit der Muttermilch aufsaugen: Aus Oxnard, Kalifornien. Als Mitglied der Likwit Crew gab er sein musikalisches Debüt 1995 auf Coast II Coast, dem zweiten Album der Alkaholiks. Unterstützt von Oxnards bekanntestem Beatschmied, Madlib, erschien mit Andsoitissaid dann 2001 das erste Soloalbum des charismatischen Rappers. Mit dem Nachfolger Conversations with Dudley deutete sich drei Jahre danach bereits die Transformation der musikalischen Identität Declaime zum Funk-Sänger Dudley Perkins an. Auf seinem neuen Werk Holy Smokes erhält der Funk-Mutant nun rhythmische Rückendeckung der Produzentin Georgia Anne Muldrow, die als erste weibliche Künstlerin bei dem experimentellen Label Stones Throw von Peanut Butter Wolf unterschrieb. Los geht der fast achtzigminütige Trip in das Hirn von Dudley Perkins mit einer Nachricht an Declaime. Anschließend vollzieht sich mit Fonky Soul eine radikale Umstellung auf psychedelischen Zeitlupen-Funk. In unüberhörbarer Anlehnung an Parliament-Funkadelic, startet kurz darauf die Boogie-Party mit bassunterlaufenen Synthesizern und polyrhythmischen Groove-Einheiten. Über die extrem schmale Schiene zwischen abgedrehter Genialität und auf Dauer nervend bis anstrengenden Arrangements, brilliert Dudley Perkins zumeist durch vokalen Exzentrismus. Inhaltlich spart er dabei trotzdem wenig an spirituellen Themen und politischen Statements ein. So besticht unter anderem das mystische Sally mit seinem klopfenden Beat. Bereichert wird der lyrische Selbstfindungsausflug durch humoristische Skits und seine überdrehte Stimme, die gelegentlich an Redman erinnert. Holy Smokes ist durchzogen von feelgood-Vibes und bietet das gesamte Charisma von Dudley Perkins.

Wertung: +++ (Andreas Margara)

 

Mazo FaoDemo | Eigenvertrieb

{image}Für alle, die es noch nicht wissen: Die Musikindustrie geht vermutlich den Bach runter. Was kann man dagegen tun? Nun ja, man kann weiterhin ununterbrochen durchschnittliche Musik mit einer Halbwertzeit von ein paar Wochen aus dem Internet herunterladen und sich dabei gleichzeitig beklagen, dass es seit einiger Zeit keine wirklich gute Band mehr den (auch kommerziellen) Durchbruch geschafft hat. Oder man sucht das Neue jenseits der ausgetretenen Pfade. Wenn man auf diesem Weg erfolgreich ist, dann ist es auch umso schöner, denn man kann zum einen neue Musik entdecken und zum anderen sich über die eigene Innovativität freuen. Herrlich! Zeit zur Freude ist jedenfalls beim Anhören von Mazo Fao und deren erster EP Demo angebracht. Fünf Lieder und ca. 27 Minuten die Frage, warum solch eine Band ihre CD noch per Eigenvertrieb unter die Leute bringt. Warum Scuzzlebutt e.V. die Aufnahmen gesponsort hat ist jedenfalls klar, denn die Lieder des Quintetts lassen sich nicht sofort in eine Kategorie eintüten. Translations dreht nach langsamen Anfang auf und wird zu sehr melodiösem Indierock. Blackout kommt als Ballade mit schleppendem Beat daher. Die Tristesse wird bei She said aber schnell beendet. An die Editors erinnernd dreht die pathetische Tanznummer am Ende zu Hot Chip über und damit noch mal deutlich auf. Etwas für den langen Atem. Box of Glass beginnt als Instrumental und wird dann per Drumcomputer und leicht psychedelischem Gesang doch noch eingelullt – und der Hörer gleich mit. Hier lassen Underworld grüßen. Den Abschluss bildet mit Turn it in das mitreißendste Lied, großer Indiepop mit den charakteristischen Elektroanklängen. Wenn Phoenix aus Deutschland kämen, dann vielleicht so?! Insgesamt ist die Band über die Strophe-Refrain-Strophe Struktur weit hinaus. Die Musik ist dabei so undeutsch, wie man es sich nur vorstellen kann – was in diesem Fall als Kompliment gemeint ist. Vielleicht ist die Schwäche der Band gerade, dass sie so viele Stile spielen kann und deshalb nicht klar festlegbar ist. Genauer betrachtet ist solch eine Vielfalt aber das Beste an einer richtig guten Band. Also los, Mazo Fao ist mehr als nur ein Startpunkt. Deshalb: Auf jeden Fall anhören.

Wertung: ++++ (Thomas Laux)

 

MikroboyNennt es, wie Ihr wollt | Ministry O

{image}Gameboy, Commodore 64, Sega Mega Drive – beim Hören der ersten Klänge des Openers auf Nennt es, wie Ihr wollt von Mikroboy kommt all das sofort in den Sinn. Man freut sich auf mehr (schließlich legt man den Pressezettel mit den vielen Infos, die eigentlich keine sind, erstmal ganz weit weg) und wird dann doch enttäuscht. Keyboards schießen plötzlich von irgendwoher mitten ins Geschehen, verkleben den Song mit Schlager-Melodien und die Texte von Sänger Michi Ludes sind auf den ersten Blick auch nicht gerade besser. Am Ende retten die Gitarren das Schiff in Seenot halbwegs in den nächsten sicheren Hafen. Kein guter Start, aber die Platte gewinnt mit den nachfolgenden Songs immer mehr an Fahrt, man glaubt hier und da etwas Radiohead zu hören oder vielleicht sogar The Notwist in den Melodien und Soundeffekten zu erkennen. Ideen, die beim mehrmaligen Anhören immer besser werden, sind somit auf jeden Fall vorhanden. Texte, die oft interessant sind, manchmal aber auch nerven ebenso, was aber ein allgemeines Problem der deutschsprachigen Indie-Szene ist. Spätestens aber ab Rückschritt gleich Fortschritt ist jeder Widerstand sinnlos, der Song nimmt einfach mit. Überhaupt ist ab Mitte der Platte, dem Ende entgegen, ein deutlicher Qualitäts-Gewinn da, auch textlich – die starken Songs sammeln sich: Eines dieser Leben, Apollo, Alle Menschen verlieren Sachen. Sehr gut, wäre da nicht der kleine Tiefschlag am Ende. Denn This Room wird plötzlich sphärisch, überall hört man Hall und meint, an der nächsten Ecke ein paar schwarze Gestalten zu sehen. Der Gesang ist schrecklich weinerlich und schmerzt schon fast in den Ohren, alles klingt einfach nur grausam und spielt in einer Liga mit LaFee oder Eisblume. Daher: Kaufen, aber diesen Song immer skippen.

Wertung: +++ (Stefan Berndt)

 

So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

definitiv ein "must have"