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Lou Reed überzeugte bei seinem Konzert in Mainz mit einer gelungenen Mischung aus Klassikern, Obskurem...und Lulu. © Sony Music

Ist der Titel von Lou Reeds Konzertreihe "From VU to Lulu" als Lockruf oder als Drohung zu verstehen? Die Klassiker von einst neben dem Misserfolg von neulich - ob das gutgeht? Aber die Skepsis ist unbegründet, denn Reed bewältigt die Aufgabe mit Bravour. Nicht nur gelingt die Gratwanderung zwischen den sperrigen neuen Songs und den alten Klassikern, sondern der Ur-New-Yorker zaubert auch noch einige Perlen aus seinem riesigen Backkatalog aus dem Hut.

Bei herrlichem Wetter versammelten sich am vorletzten Samstagabend in Juni tausende Fans von Lou Reed in einem abgesperrten Areal im Mainzer Hafengebiet, das sich "Zollhafen/Nordmole" nennt und den Charme eines heruntergekommenen Industriegebiets hat.

Mit anderen Worten: Die Lokalität ist perfekt geeignet für Lou Reeds Musik, deren Urbanität aus jeder Note spricht. Aber solche Gedanken hat er sicher nicht, als er mit seiner neunköpfigen Band die Bühne betritt, denn der Ur-New-Yorker hat eine Agenda.

Besessen von Lulu

Lou Reed ist besessen von Lulu, seinem grandios gescheiterten Album mit Metallica. Deshalb hat er sich entschlossen, sein Publikum ein weiteres Mal mit dem Songmaterial zu konfrontieren, diesmal freilich ohne Metallica.

Ohne die Metaller verlieren die Lieder sofort die Aura der unerträglichen Scheußlichkeit und verwandeln sich überwiegend in die unvermeidlichen Lieder vom aktuellen Album eines gestandenen Künstlers, die nicht so gut sind wie der Rest, aber auch keinen Fluchtreflex auslösen.

Der Opener Brandenburg Gate legt die Grundlage für die erste Hälfte des Konzerts. Krachend laut, aber weit von Heavy Metal entfernt, dehnt Lou Reed das Lied auf epische Länge.

Krachend laute Interpretationen

Prominent sind neben den Gitarren (Aram Bajakian und Reed) vor allem das elektrische Violinen bzw. Gitarrenspiel von Tony Diodore und das Schlagzeug von Tony Smith, der sogleich zahlreiche Belege für die Herkunft seines Beinamen "Thunder" liefert.

Obwohl das Lied selbst mit seinem ziellosen Namedropping nichts Besonderes ist, sorgt die ebenso laute wie energetische Performance für eine rechte Einstimmung auf das, was folgen sollte...

...nämlich mehr epische und krachend laute Interpretationen, diesmal von den Velvet Underground-Klassikern Heroin und I'm Waiting For The Man.

Lou Reed: Soul Man

Heroin gerät aufgrund seiner Tempowechsel, Breaks und Instrumentalparts abwechslungsreich, wenngleich nicht so brennend intensiv wie erhofft, während Waiting For The Man von Lou Reed mit Sly Stone-Zitaten aus Everyday People, Everybody Is A Star und I Wanna Take You Higher angereichert wird. Ich schwöre, das ist die Wahrheit!

Nach den ersten drei Songs, die sage und schreibe 45 Minuten dauern, bietet Senslessly Cruel mit seinem etwas schnelleren Tempo und dem prominenten Saxophonspiel von Ulrich Krieger eine dringend benötigte Abwechslung.

Mehr Lulu

Diesen Moment benutzt Lou Reed, um seine Agenda auf maximale Intensität einzustellen und den epischen Lulu-Rant The View einzustimmen. Wer an dieser Stelle die Gelegenheit nutzt, sich eine grotesk überteuerte Bratwurst zu holen oder die Toiletten aufzusuchen, wird feststellen, dass Mistress Dread mit seiner Metal-Inszenierung auch in die hinterste Ecke dringt.

Eigentlich unvorstellbar, dass irgendjemand diesen beiden Liedern etwas Positives abgewinnen kann, aber das Publikum jubelt genauso wie bei allen anderen Songs. Die Fans, die den Weg in den Mainzer Hafen gefunden haben, sind offensichtlich hartgesotten.

Nachdem die Zuschauer zu ihrer offensichtlichen Freude bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend mit sehr lauter Musik beschallt wurden, ändert sich ab hier der Charakter des Konzerts.

Melodisch und ruhig

Es dominieren fortan die ruhigen und vergleichsweise melodischen Lieder: den Anfang macht das wohlvertraute Street Hassle mit sein seinem charakteristischen Riff.

Think It Over ist hingegen eine gelungene Ausgrabung von einem seiner schwächsten nicht experimentellen Alben, nämlich Growing Up In Public. Das düstere Cremation stammt hingegen von Magic & Loss einem immer noch weithin unterschätzten Werk.

Die meisten Lieder sind aufgrund der weit nach vorne gemischten Stimme leicht identifizierbar und orientieren sich stark an den Originalversionen, wenngleich Sad Song von der rockigen Inszenierung deutlich profitiert.

Klassiker für das Publikum

Lou Reeds Stimme, nie seine stärkste Seite, ist erfreulich gut gealtert und dort wo es notwendig ist helfen Tony Diodore und eine Backgroundsängerin aus.

Entgegen seines Images als störrischer Bock, vermag Lou Reed durchaus auch seinem Publikum das zu geben, was es hören will, nämlich die Klassiker Walk On The Wild Side, Beginning To See The Light und Sweet Jane, das in einer knackigen, konzentrierten Version dargeboten wird.

Aber war da noch was? Ach ja, die Agenda! Wenn man Junior Dad von Metallica befreit und das Lied von neunzehn auf fünf Minuten eindampft, wird daraus ein durchaus ordentliches Lied. 

Keine Rehabilitation

Es ist Lou Reed sicherlich nicht gelungen, Lulu zu rehabilitieren, aber sein abwechslungsreicher Auftritt in Mainz bot das, was seine Fans lieben: störrischen Eigensinn, Unbeugsamkeit, Attitüde und Ausdauer.

Ebenso wie sein Kollege John Cale ist Lou Reed weit davon entfernt nur die ausgetretenen Pfade entlangzuwandeln. Manche Dinge ändern sich zum Glück eben nie.

Setlist

Brandenburg Gate / Heroin / I'm Waiting For The Man / Senselessly Cruel / The View / Mistress Dread / Street Hassle / Cremation / Think It Over / Walk On The Wild Side / Sad Song / Junior Dad // Beginning To See The Light / Sweet Jane

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