Lou Reed starb am 27. Oktober im Alter von 71 Jahren

Lou Reed starb am 27. Oktober im Alter von 71 Jahren © Sony Music

Er war der Erfinder des Punkrock, der Ex-Junkie, die Muse von Andy Warhol. Er war der Musikszene seiner Zeit um Jahre voraus und nahm eine der zehn wichtigsten Platten der Rockgeschichte auf – "The Velvet Underground & Nico". Singen konnte er nie.

Lou Reed eine Rock-Legende zu nennen, ist eine groteske Untertreibung. Ohne den New Yorker gäbe es Rock’n’Roll in der heutigen Form nicht. In einer Zeit, in der Menschen mit Blumen im Haar Lieder über magische Drachen und freie Liebe sangen, flößte Reed der Popmusik zuvor unbekannte Abgründe ein.

Das Debüt seiner Band The Velvet Underground enthielt Songs über die dunklen menschlichen Begierden, Prostitution, Drogenkonsum und Sado-Masochismus; Themen, die heute so selbstverständlich in Popsongs auftauchen wie Walk on the wild side als Klangteppich in Fernsehdokumentationen.

Kein naiver Teenager

Die Velvets, schrieb der Journalist David Fricke, hätten den Pop vom provinzlerischen Enthusiasmus naiver Teenager befreit. Heerscharen von Bands von Joy Division bis Nine Inch Nails nahmen sich das 1967 erschienene Album The Velvet Underground & Nico und seinen rohen Gitarrensound zum Vorbild.

Andy Warhol spielte in der damaligen Zeit eine große Rolle für Lou Reed, den Jungen aus Long Island. Der Pop-Art-Künstler band The Velvet Underground in seine Multimedia-Performances ein und filmte einen berühmten Screen Test mit Reed.

Umgekehrt inspirierte Warhol und seine Entourage viele von Reeds Songs, die er zumeist alleine schrieb. Seltener komponierte er gemeinsam mit dem walisischen Musiker John Cale, ebenfalls Gründungsmitglied von The Velvet Underground.

Proto-Punk

Das Zweitwerk der Band, White Light/White Heat, sollte schon das letzte mit Cale sein, der von Reed aufgrund persönlicher Differenzen aus der Band geworfen wurde. Fricke nennt das Album eine Autobiografie in Lärm.

Die Band war erschöpft von Party- und Drogen-Exzessen (Reed soll einmal fünf Tage und Nächte wach gewesen sein) und frustriert vom kommerziellen Misserfolg. All dies beeinflusste die Aufnahmen, die vor lauter Feedback und verzerrten Gitarren kaum Songstrukturen zu erkennen lassen. Proto-Punk war das, acht Jahre vor dem ersten Album der Ramones.

The Velvet Underground veröffentlichten noch zwei deutlich zugänglichere, jedoch kaum erfolgreichere Alben, bevor Reed ausstieg. Keine ihrer Platten hatte es in die Top 100 geschafft, und Reed war kurzzeitig gezwungen, in der Buchhaltungsfirma seines Vaters zu arbeiten.

Langsamer kommerzieller Erfolg

Kommerzieller Erfolg stelle sich für Reed nur langsam ein, sein einziges Top 10 Album in den USA sollte Sally Can’t Dance von 1974 bleiben, bei dessen Aufnahmen er vor allem durch Abwesenheit auffiel. Sarkastisch bemerkte Reed, auf den Erfolg der Platte angesprochen: "If I weren't on the record at all next time, it might go to Number One."

Zuvor hatte er Transformer veröffentlicht, das als eines seiner besten Alben gilt. David Bowie, der sich stark von The Velvet Underground beeinflusst fühlte und sein Gitarrist Mick Ronson produzierten.

Lou Reed brachte eine Mischung aus neuen Songs und unveröffentlichten Velvet-Demos mit ins Studio. Perfect Day, Satellite of Love und das trotz deutlicher Oralsex-Bezüge von Radiozensur verschonte Walk on the Wild Side zählen bis heute zu seinen bekanntesten Songs.

Kreischende Gitarren & jaulende Feedback-Loops

1975 nahm Lou Reed Metal Machine Music auf, eine 64minütige Platte nur mit kreischenden Gitarren und jaulenden Feedback-Loops.

Obwohl spekuliert wurde, dass Reed damit lediglich aus seinem Vertrag mit RCA Records herauskommen wollte, darf man die Platte als genuin künstlerisches Statement verstehen. Fast 30 Jahre später ging er mit dem Album und seinem Metal Machine Trio auf Tour.

Reed blieb produktiv, zwischen 1975 und 1989 veröffentlichte er 11 Studioalben von unterschiedlicher Qualität. Aus ihnen ragt The Blue Mask heraus, dessen Cover eine blaue Version des berühmten Transformer-Covers ziert. Auch musikalisch ist das Album ein Rückgriff auf alte Zeiten, Reed nahm die Songs live auf und verwendete nur Gitarre, Schlagzeug und Bass.

Zynischer Grantler

Dieselbe Methode kam beim 1989er Album New York zum Zuge, das seinen Ruf als zynischen New Yorker Grantler festigte. Auf dem Album zeichnet er einerseits präzise die Missstände im von Drogen, Verbrechen und Armut gepeinigten New York City nach, um andererseits wütend über Politik und Religion herzuziehen.

Häufig übersehen wird, dass Ecstasy aus dem Jahre 2000 zu Reeds besten Alben zählt. Es verband 77 nie mittelmäßige Minuten lang die typischen Reedschen Gitarreneruptionen mit seiner sanfteren, zu bluesigen Balladen neigenden Seite.

Die Platte kulminiert im 18minütigen Like a Possum,  das mit seinen drone-Gitarren wie eine weniger kaputte Version eines White Light/White Heat-Songs anmutet.

Stete Freude am Experiment

In den letzten Jahren vor seinem Tod betätigte sich Reed zunehmend als Fotograf, nebenbei vertonte er eine Tai-Chi-DVD. Sein musikalisches Output war gering, und die Reaktionen der Presse selten wohlwollend.

Ausgerechnet seine letzte Platte, Lulu, erntete Hohn und Spott. Dabei zeugte die Entscheidung,  im Alter von 69 Jahren ein Doppelalbum mit Metallica aufzunehmen, vor allem von nicht nachlassender Experimentierfreudigkeit.

Lou Reed war der Inbegriff des eigensinnigen, stets den unbequemen Weg nehmenden Rock’n’Rollers. Er hat in den letzten 30 Jahren vermutlich keine einzige Platte gemacht, die er nicht machen wollte, und kein einziges Konzert gegeben, das er nicht geben wollte.

Poesie und Rock'n'Roll

Und er hat die Texte gesungen, die er singen wollte. "Lou Reed ist der Typ, der Heroin, Speed, Homosexualität, Sadomasochismus und Mord Würde geschenkt hat, Poesie und Rock'n'Roll," schrieb der große Pop-Kritiker Lester Bangs. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dass Reed, dessen Lebenswandel lange Zeit ähnlich ungesund wie der von Keith Richards gewesen sein muss, überhaupt 71 Jahre alt geworden ist, grenzt an ein Wunder. "His life was saved by Rock’n’Roll", und das sicher gleich ein Dutzend Mal.

Am gestrigen Sonntag konnte der im gleichnamigen Song besungene "Rock’n’Roll" ihn nicht mehr retten. Lou Reed starb am 27. Oktober 2013 an den Folgen einer Lebertransplantation.

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