Sebastian Dresel (DJ Seebase)

Sebastian Dresel (DJ Seebase) © Luigi Toscano

In Mannheim existiert das Amt eines „Beauftragten für Musik und Popkultur“, das im Kulturamt der Stadt angesiedelt ist. Seit März 2007 hat ein ausgewiesener Szenekenner diese Stelle übernommen: der DJ und Journalist Sebastian Dresel. Mehr zu seinen bisherigen Erfahrungen im Amt, seinen Ideen und dem kommenden Event "Mitten in der Nacht" verriet er uns in einem Interview.

Das Amt erfuhr 2007 eine Umgestaltung, wodurch die eigentliche Szenearbeit, nämlich die Betreuung, Beobachtung und Beratung, um weitere wesentliche Faktoren ergänzt wurde. In den Aufgabenbereich von Sebastian Dresel fallen insbesondere die systematische und kontinuierliche Koordination und Vernetzung der zahlreichen hiesigen Akteure und Institutionen, die Entwicklung von Initiativen und Projekten zu den Themen Pop und Anderes, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die Popszene, Lobbyarbeit und Drittmittelakquise sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung des „Geschäftsfeldes Musik und Popkultur“.

Hallo Sebastian. Du hast das Amt des Musikbeauftragten am 1. März 2007 übernommen. Die relativ lange Phase vom Ende der Amtszeit Markus Sprenglers bis zu deinem Antritt wurde durchaus mit kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit begleitet. Aber welche Situation hast du eigentlich vorgefunden?

Ich hatte und habe den Eindruck, dass bei aller – der Kultur wesenseigenen – Kontroverse in ganz vielen Punkten Einigkeit besteht. Ganz banal wäre da zunächst einmal immer noch der Umgang mit so etwas wie einem Pop-Beauftragten in sich selbst. Dass man so einen beargwöhnen kann liegt auf der Hand. Die Situation war und ist insofern sehr erfreulich, weil ich beinahe überall auf freundliche Gesprächsbereitschaft stoße. Jetzt noch über die Stelle zu reden ist aus meiner Sicht jedoch müßig. Lieber über Projekte, mit denen sich der Inhaber der Stelle befassen kann oder auch muss – von mir aus auch, wo er sich rauszuhalten hat. Des Weiteren ist eine gewisse Erwartungshaltung nachvollziehbar. Dennoch muss Unterstützung auch angefordert werden – nicht einfach nur erwartet. Man muss aber auch deutlich sagen, dass eine explizite Netzwerkposition wie die meine nicht verwechselt werden darf mit einer kommunalen Konzert- und Party-Veranstaltungsagentur. Genauso wenig ist ein Popbeauftragter die ultimative Antwort auf die brennenden Fragen der Musikwirtschaft. Die „Szene“ oder die „Kulturwirtschaft“ oder auch der „Underground“, hat in mir einen Ansprechpartner und Fürsprecher. Und einen Vermittler. Und (nicht immer, wenn auch meist: leider) keinen Finanzier.

Hast du aus dem Vorhandenen denn etwas Konkretes machen, es weiterführen können? Oder war dir gleich klar, dass komplett neue Ansätze gesucht werden müssen?

Zunächst einmal sind neue Ansätze per se immer und vor allem ständig aufs neue bedenkenswert. Was sie nicht gleichzeitig besser macht. Und selbstverständlich kann man – und konnte ich – aus dem „Vorhandenen“ etwas machen. Handelt es sich doch dabei schlicht um jene Leute, die hier in der Stadt Popkultur leben und machen. Es kann nicht darum gehen, ständig neue „eigene“ Aktionen zu entwickeln, sondern man muss auch und vor allem die vorhandenen, gewachsenen Strukturen unterstützen. Man muss vielleicht dazu sagen, dass es aus meiner Sicht auch nicht primär um die großen Aktionen geht. Es geht um Strukturen und um den ungemein wichtigen popkulturellen Alltag. Ich kann gar nicht genug betonen, wie unglaublich wichtig der ist. Jede kleine Kooperation (wie etwa zur sehr erfolgreichen Premiere des Joe Strummer Films), die aufgrund zweier lächerlicher Mails zustande kommt, trägt zur popkulturellen Identität dieser Stadt bei. Und das ist vielleicht der grundsätzlich andere Ansatz. Zu sehen, dass das sogenannte Kleinvieh nicht „auch“ Mist macht. Sondern den Großteil. Auch der alltäglichen Arbeit. Dass diese Arbeit dann eher hintergründig und wenig spektakulär abläuft, geht damit einher.

Was sind denn die konkreten Ergebnisse deiner Bestandsaufnahme, insbesondere im Hinblick auf die Vernetzung mit allen anderen Einrichtungen und Institutionen im sogenannten Mannheimer Modell?

Ein vorhersehbares Ergebnis ist, dass diese ganze Angelegenheit ständiger Erneuerung und Anregung bedarf. Einmal zu kooperieren ist schön. Aber in der Fortführung liegt der Zweck. Die Tatsache, dass es das Modell gibt, versetzt uns in die Lage, die nächsten Schritte einzuleiten. Mannheimer Modell 2.0 möchte man sagen. Institutionen zu verknüpfen ist im Prinzip ja recht primitiv. Den Überblick über die vielen einzelnen Menschen (zum Beispiel Studenten) zu behalten hingegen überhaupt nicht. Ich glaube auch nicht, dass man da mit Organisationsstrukturen viel weiterkommt. Mann muss einfach sein Ohr an möglichst vielen Stellen haben. Und das bedeutet eben auch, dass zum Beispiel das Rhodos integrativer Bestandteil des Mannheimer Modells ist. Wie die Musikschule oder das Jugendkulturzentrum Forum.

Was insbesondere das Verhältnis von Musikpark und Popakademie angeht – siehst du hier noch mehr Potenzial für eine engere Vernetzung, als es sie bisher zu geben scheint?

Selbstverständlich. Was wie gesagt zunächst einmal und zu allererst daran liegt, dass wir es jedes Jahr mit einem Haufen neuer Leute zu tun haben, die an der Akademie ihr Studium beginnen. Da muss man jedes Mal von neuem vernetzen. Dafür gibt es keine Regeln. Ähnliches gilt natürlich auch für Mieter des Musikparks und ihre jeweiligen Aufgabengebiete. Die Vernetzung der Institutionen herzustellen ist ja innerhalb unserer Strukturen relativ einfach. Die Szene zu vernetzen ist eine ganz andere Geschichte, die zudem nur sehr bedingt zu steuern ist. Man kann Vernetzung ja nicht zum Schulfach erklären. Aber man kann Informationsfluss gewährleisten. Und das allein ist eine Aufgabe für sich. Abgesehen davon sollte sich gerade die Popkultur davor hüten, allzu viele Planziele zu entwerfen, an deren Erreichen Erfolg gemessen wird. Es kommt viel zu oft anders. Und das ist grundsätzlich nicht schlecht. Wenn man ganz im Gegenteil in der Lage ist (und bleibt), flexibel zu reagieren, dann ist das ein gutes Modell.

Mittlerweile warst du auch in anderen Städten unterwegs – darunter große wie München und etwas kleinere wie Leipzig. Konntest du viele Anregungen und neue Ideen mit nach Mannheim bringen?

Selbstredend. Kann man immer. Sollte man immer. Es ist ungemein wichtig für alle Beteiligten, nicht ständig im eigenen Saft zu köcheln. Anregungen sind nicht nur gut, sie sind überlebenswichtig. So etwas wie autarke Popkultur ist ein Paradoxon. Man muss allerdings ehrlich zu sich und seiner Stadt sein und die Anwendbarkeit der Vergleiche überprüfen. Die Popkulturentwicklung Mannheims und der Region etwa an der Anzahl und der Qualität der Plattenläden oder Clubs Londons festzumachen ist dumm. Sich anzusehen, wie man in Leipzig mit Leerständen, Sperrzeiten und Genehmigungen umgeht und wie die Leute sich organisieren, ist schlau. Auch, dass man in Frankfurt große Feste bis lange in die Nacht feiern konnte, sollte einen dazu anregen danach zu fragen, auf welchen Grundlagen das möglich ist. Es geht ganz häufig um Strukturfragen, Organisationsprozesse etc. Die kann man unter Umständen implementieren. Sich hingegen am natürlichen Gewusel einer Millionenstadt zu messen ist Masochismus. Wir müssen nach Karlsruhe, Zürich oder eben Leipzig blicken. Was nicht bedeutet, dass ein Blick auf die Programme der Londoner Bühnen und Clubs nicht durchaus erhellend sein kann. Ist er nämlich über die Maßen.

Besonders von Leipzig hört man immer wieder Positives, sowohl über die Club- als auch über die Live-Kultur in der Stadt. Du warst dort auf der jährlich stattfindenden „Indie“-Messe POP-UP. Dein Eindruck?

Schön ist zunächst, dass man das in Leipzig auch von Mannheim sagt. Leipzig ist eine tolle Stadt mit einer irrsinnig engagierten Szene. Man kann sich sehr viele interessante Konzepte ansehen, die in Leipzig durchgezogen werden. Aber man muss den Tatsachen in die Augen blicken. Es geht nicht um Leipzig, München oder London. Es geht nicht einmal um die Konzepte oder um die historischen Eigenheiten. Es geht immer in allererster Linie um die Personen, die dahinter stecken – in allen Bereichen. Sie sind das Kapital jeder Kultur. Das ist der wesentlichste Punkt überhaupt. Die Forderung nach „Bühne“ oder „Club“ oder sonst was klingt gut, greift aber viel zu kurz. Lebendige Kultur fördert man dadurch, indem man Menschen fördert, ihre eigene Idee durchzusetzen. Wir müssen Leute finden und sie darin unterstützen, Bars, Clubs und Bühnen zu betreiben. Und betreiben heißt nicht „anything goes“, sondern ihnen Profil zu geben und sich gegen die Flut der Anfragen zu wehren und eine musikalische Haltung zu entwickeln. Popförderung ist zunächst einmal egalitär. Aber gerade im Club-Bereich ist ohne Position gar nichts zu erreichen. Dickschädeligkeit kann da sehr hilfreich sein. Wir haben viele engagierte Menschen in der Stadt, die Unterstützung von der Stadt verdient haben. Und wir müssen noch mehr davon überzeugen, dass es sich lohnt hier zu investieren. Daran führt kein einziger Weg vorbei! Aber um zurückzukommen: ich kann einen Besuch in Leipzig nur jedem empfehlen. Unter anderem, weil die dortige Gastronomie vielfach geprägt ist von einem aus meiner Sicht sehr großstädtischen Improvisationsgeist. Manchmal ist zuviel Konzept schlicht lähmend. Eine Bar, eine Bühne, ein paar Tische und vor allem ein paar Bier tun’s oft auch. Nichts gegen Innenarchitekten – aber eine geschmackssichere CD-Sammlung hat schon so manche Bruchbude zur In-Bar gemacht!

2007 war unter anderem geprägt von Mannheims 400jährigem Stadtjübiläum. Wie findest du das Konzept, in dessen Rahmen viele verschiedene Events stattfanden, um diesen Anlass gebührend zu feiern? Wie seine Umsetzung? Und was konntest du selbst dazu beitragen?

Ich finde die Entscheidung, das Stadtjubiläum anzulegen wie es angelegt wurde, nach wie vor toll und jeden Tag richtiger. An einem Wochenende oder in einer Woche einen Haufen Geld auszugeben, wie das andernorts geschieht, wäre wahrlich auch kein Problem gewesen. Die Wirkung wäre verpufft. Das Stadtjubiläum wie es war setzte Maßstäbe, hat Erfahrungswerte geschaffen und Anstöße gegeben. Das war der unschätzbare Wert des Konzeptes. Man darf sich doch nicht fragen, ob einem etwa bei „Kino unterwegs“ jeder einzelne Film gefallen hat. Die Frage muss lauten: Finden wir es gut, dass es das ganze Jahr Kino an ungewöhnlichen Orten gab? Natürlich! Ich habe einen riesigen Respekt vor der Arbeit des Büros 2007. Man darf vielleicht einmal daran erinnern, wie viele grundverschiedene Veranstaltungen da von wie vielen Leuten geplant und durchgeführt wurden. Und in was für einer Zeit das gemacht wurde. Jeder, der etwas von Veranstaltungsorganisation versteht und organisatorische Arbeit einzuschätzen weiß, wird das bestätigen. Ich selbst habe mit meiner Zuarbeit zum „Jetzt-Musikfestival“ als Projektbegleiter Clubkultur am Stadtjubiläum mitwirken können und darf in diesem Punkt absolute und schamlose Selbstzufriedenheit attestieren. Das „Jetzt-Musikfestival“ war ein unglaublicher Erfolg auf unglaublich hohem musikalischem Niveau. Aber auch hier waren es die kleinen Dinge, die begeistert haben. Wenn sich Montag Früh-Abends 50 Leute einen Beastie Boys Konzertfilm ansehen, empfinde ich das als Knaller, der den Unmengen von begeisterten Menschen auf dem Time Warp Festival kaum nachsteht. Und bei Underground Resistance auf der Bühne in der Feuerwache kamen mir die Tränen. Ganz im Ernst!

Was denkst du, sollte sich Mannheim aus dieser Erfahrung mit dem Stadtjubiläum heraus auch für die gerade angebrochene, jubiläumslose Zukunft bewahren?

Ein paar ganz simple Erkenntnisse: Dass es geht. Dass man kann, wenn man will. Und dass es gut wird – wenn man es denn zulässt, die richtigen Leute befragt und wenn man auf Qualität statt bedingungslose Massenkompatibilität setzt. Aber auch, dass man die Unterstützung Aller braucht. Und nicht zuletzt, dass sich die Investition lohnt! Investition in Inhalte.

Vom Jubiläum noch einmal ganz abgesehen. Was sind deine konkreten Ansätze für die nähere Zukunft. Welche „Baustellen“ siehst du und willst du angehen? Wohin soll sich Mannheim im Hinblick auf die Musik- und Popkultur entwickeln?

Es gibt zwei wesentliche Baustellen, die eng miteinander verbunden sind. An erster Stelle steht der Ausbau des Mannheimer Modells in andere, noch zu wenig erschlossene Zusammenhänge. Schulen, öffentliche Räume, andere Kulturinstitutionen, Medien, Leerstände, Einzelhandel – all das sind Bereiche, in denen Mannheim die Popkultur als soziale, aber auch wirtschaftliche Zukunftschance, noch besser nutzen muss. Und damit zum zweiten wesentlichen Punkt, der direkt andockt: Wir müssen Mannheim wieder zu der Ausgeh-Stadt von Rang machen, die sie einmal war. Es geht darum in jede einzelne Woche zu investieren, die Rolle als urbanes Zentrum der Region noch viel stärker hervorzuheben und Leute anzulocken. Das ist nämlich die beste Förderung für Popkultur. Wo Publikum ist, da finden sich Leute, die dieses Publikum gewinnen wollen. Und die sind es, die Möglichkeiten unter anderem für Musikerinnen und Musiker schaffen und gleichzeitig eine lebenswerte Stadt erst ausmachen.

Geht das von dir initiierte Event am 16. Februar 2008, "Mannheim – mitten in der Nacht", in diese Richtung, oder was genau kann man sich darunter vorstellen?

Im Prinzip ist es ganz einfach. Das Mannheimer Nachtleben (oder zumindest sein innerstädischer Teil) hat sich zusammengetan und legt ein bis zwei Schippen Vergnügen drauf. Am 16. Februar werden in Kinos und House-Clubs, in Punk-Bars und schwulen Cafés die stillen Reserven aktiviert und Parties gefeiert. Kein gemeinsamer Eintritt und keine rastlose Feier im öffentlichen Nahverkehr. Nachtleben! An über 40 Orten in der ganzen Stadt. Das Angebot ist so vielfältig wie die Stadt. Kein Programm, kein Fahrplan. „Gehen lassen“ heißt die Devise. Weil alle mitmachen, weil alle auf den Füßen sein werden, weil die Stadt tobt. Nicht nur am 16. Februar – aber an diesem Tag ganz besonders. Eine Art Stadtfest wenn man so will. Nur mitten in der Nacht!

Vielen Dank für das Interview, Sebastian! 

[Dieser Text erschien ursprünglich im Musikbranchenbuch Mannheim & Region 2007/2008 und wurde für diesen Artikel geringfügig überarbeitet.]