Prof. Rudolf Meister, Präsident der Staatlichen Hochschule für Musik
und Darstellende Kunst Mannheim sowie
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Prof. Rudolf Meister, Präsident der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim sowie Professor für Klavier und Klaviermethodik © MuHo Mannheim

Seit 1997 ist er im Amt. Damals war Prof. Rudolf Meister der jüngste Rektor Deutschlands. Nun wurde er als Präsident der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim für weitere sechs Jahre wiedergewählt, was ihn heute zu einem der dienstältesten Hochschulleiter des Landes macht. Anlässlich seiner Wiederwahl trafen wir den leidenschaftlichen Pianisten zu einem Gespräch. Wir blickten mit ihm auf Erreichtes und Geplantes, fragten nach den Berufsaussichten für die Studierenden und sprachen über den Wandel in der Gesellschaft, der auch auf die Musik- und Kulturszene abstrahlt.

regioactive.de: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl, Prof. Meister. Sie wurden einstimmig für eine weitere sechsjährige Amtsperiode bestätigt, die im September beginnen wird.

Prof. Rudolf Meister: Herzlichen Dank!

regioactive.de: Ein deutlicheres Abstimmungsergebnis geht nicht. Worauf fußt das Ihnen entgegengebrachte Vertrauen Ihrer Meinung nach?

Prof. Rudolf Meister: Einerseits bemühe ich mich um eine enge Kommunikation mit allen Hochschulmitgliedern. Die verschiedenen Entscheidungen, die in den Gremien der Hochschule getroffen werden, will ich nicht nur so kommunizieren wie sie sind, sondern auch erläutern und verständlich machen. Andererseits nehme ich auch Anregungen auf, die an mich herangetragen werden, und speise sie in den Gremien ein. Dabei versuche ich mit den Anliegen möglichst gerecht umzugehen. Niemand soll das Gefühl haben, falls ein bestimmter Wunsch einmal nicht erfüllt werden konnte, dass er beim nächsten Wunsch auch keinen Erfolg haben wird. Ich denke, dass dies zumindest ein Teil der Begründung ist. Ganz genau weiß ich es selbst natürlich nicht. Die Mitglieder des Hochschulrats und des Senats werden das noch genauer beantworten können.

regioactive.de: Zu einem gewissen Teil übernehmen Sie also eine Moderatorenfunktion.

Prof. Rudolf Meister: Ich denke in einer Gemeinschaft wie der unseren ist das immer der Fall. Wir sind hier, Lehrkräfte und Studierende zusammengenommen, ungefähr 800 Hochschulmitglieder. Zunächst einmal geht es deshalb immer darum, einen gemeinsamen Weg zu finden. Jeder kann sich einbringen und dann versuchen wir zu überzeugen beziehungsweise Mehrheiten in den Gremien herzustellen. Ein wesentlicher Teil meiner Aufgaben besteht aber auch darin, mich mit eigenen Vorschlägen einzubringen. Wenn man so will also darin, Visionen zu entwickeln und Unterstützung dafür zu suchen.

„Die Hochschule hat mehr Anerkennung gewonnen.“

regioactive.de: Auf welche Projekte während Ihrer bisherigen Amtszeit sind Sie denn besonders stolz?

Prof. Rudolf Meister: Ich freue mich vor allem sehr darüber, dass die Hochschule noch mehr Anerkennung gewonnen hat. Um nur einige konkrete Beispiele zu nennen, die das belegen: Da wäre die enge Zusammenarbeit, die wir auf internationaler Ebene immer wieder gemacht haben und weiterhin machen. Ich erinnere an das Festival "Mozart der Europäer", als wir mit führenden Musikhochschulen Europas zusammenarbeiteten, darunter Wien, Mailand, Paris und Prag. Ich erinnere auch gerne an den Austausch mit der Yale University oder an den Auftritt unseres Hochschulorchesters in der Carnegie Hall. Unsere internationale Reputation und das Standing in Deutschland sind sehr gut und ich glaube auch sagen zu können, dass dies in den vergangenen 15 Jahren noch besser geworden ist. Ich denke, das ist das Wichtigste. Wobei ich uns dabei nicht auf die rein künstlerische Arbeit reduzieren möchte, denn auch in anderen Bereichen hat sich viel getan. Zum Beispiel in der kunstpädagogischen Abteilung sowie anderen Sparten der Künste, hier nenne ich gerne unseren Jazz- und Popularzweig.

regioactive.de: Dessen Einrichtung fiel noch nicht in Ihre Amtszeit?

Prof. Rudolf Meister: Nein, das war ganz kurz vor meinem Antritt. Aber die Abteilung war 1997 noch ganz klein und ist bis heute doch sehr gewachsen. Auch die Akademie des Tanzes unter der Leitung von Prof. Birgit Keil hat eine sehr gute Entwicklung gemacht.

regioactive.de: Der "Neubau" fiel tatsächlich in Ihre Amtszeit. Im Jahr 1999 konnten dadurch alle Studieneinrichtungen nach Mannheim verlegt werden, die Unterrichtsräume wurden modernisiert und vieles mehr. War das infrastrukturell die bisher größte Herausforderung?

Prof. Rudolf Meister: Eindeutig ja. Das hat die Hochschule wirklich sehr nach vorne gebracht. Die Verteilung auf 2 Städte funktionierte einfach nicht gut und führte zu einer gewissen Teilung in der Studentenschaft. Einige blieben hauptsächlich in Heidelberg, die anderen in Mannheim. Das hatte sich insbesondere deshalb nicht bewährt, weil der eine Standort der viel kleinere und zudem ohne Orchester war. Wir sind sehr froh, dass alles hier zusammengefasst wurde. 

regioactive.de: Mit welchen Zielen treten Sie die kommenden Jahre an?

Prof. Rudolf Meister: Wir haben gerade einige neue Dinge angestoßen, die jetzt etabliert werden müssen. Zum Beispiel haben wir dieses Semester einen neuen Professor für "Künstlerische Medienpraxis" berufen. Das geschah aus der Überzeugung heraus, dass Musik und Bild immer weiter zusammengewachsen und kaum noch voneinander zu trennen sind. Im Internet gilt das sogar in besonderem Maße. Das ist auch für unsere Studierenden eine ganz wichtige Perspektive, sei es in der künstlerischen Arbeit, sei es in der pädagogischen Arbeit oder sei es im Bereich der Selbstvermarktung. Eine solche Professur strahlt also in alle Hochschulabteilungen aus, ist aber noch so neu, dass wir uns darauf ganz besonders konzentrieren müssen. Außerdem sind wir in Kooperation mit der Universität Heidelberg momentan dabei, einen Professor für „Musiker- und Tänzermedizin“ zu berufen. Das ist ein ganz wichtiges Thema, denn die Zahl der Berufserkrankungen bei Musikern und Tänzern ist erschreckend hoch. Auf diesem Feld muss unbedingt viel Forschung betrieben werden. Bisher ist das weitestgehend noch Neuland. Ebenfalls noch recht neu ist unser Studienangebot „Musikforschung“, wo Musikwissenschaft und Musiktheorie mit der Medienpraxis und einem gewissen musikpraktischen Anteil zusammengebracht werden.

regioactive.de: Wenn Sie neue Themenfelder besetzten, geht das dann auch auf Anregungen aus der Studentenschaft zurück? Ich denke zum Beispiel an das von Ihnen genannte Stichwort der „Selbstvermarktung“. Über diese Notwendigkeit sind sich die meisten Musiker heute ja bereits im Klaren und wollen sich dahingehend weiter qualifizieren.

Prof. Rudolf Meister: Sicherlich geht das auch auf die Äußerungen von Studierenden zurück. Aber man kann das kaum voneinander trennen im Sinne von „die Studenten wollen dies, die Dozenten etwas ganz anderes“. Denn dass es diesen Bedarf gibt ist tatsächlich eine gemeinsame Überzeugung aller Hochschulmitglieder. Themen wie das Zusammenwachsen von Bild und Ton oder Selbstvermarktung spielen schon jetzt eine große Rolle und in Zukunft wird deren Bedeutung noch weiter zunehmen.

weiterlesen: „Man kann Brücken schlagen und Netzwerke bilden“ – über die Musikhochschule als Teil des Mannheimer Modells

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„Man kann Brücken schlagen und Netzwerke bilden.“

regioactive.de: Vor dem Hintergrund, dass die Musikhochschule ja gefühlt schon immer da war und vielfältig agierte: Wie sehen Sie deren aktuelle Rolle innerhalb der städtischen Aktivitäten, Stichwort "Mannheimer Modell", welche die kreativwirtschaftliche Szene der Region weiter vorantreiben sollen?

Prof. Rudolf Meister: Die Musikhochschule ist die größte und die einzige staatliche Ausbildungsinstitution im Bereich Musik und Kunst in der Metropolregion. Ich denke, dass sie dadurch sehr integrierend wirken kann. Für alle anderen Institutionen ergeben sich Möglichkeiten der Zusammenarbeit, was selbstverständlich in beide Richtungen gilt: Man kann Brücken schlagen und Netzwerke bilden. Im Übrigen sind wir zwar in gewisser Weise "schon immer da gewesen", wie sie sagen, aber unsere Inhalte sind ja nicht dieselben geblieben. Wir bieten heute teilweise durchaus andere, zukunftsgerichtete Studieninhalte. Mittels dieser Angebote bemühen wir uns natürlich darum, selbst bereits eine möglichst große Vielfalt anbieten zu können.

regioactive.de: Nehmen wir beispielsweise die Popakademie, bei der Sie ja Vorsitzender des Fachbeirats sind – wie gestalten Sie da Brückenschlag und Zusammenarbeit?

Prof. Rudolf Meister: Es herrscht eine enge Zusammenarbeit. Unsere Abteilung war von Beginn an eine für Jazz- und Popularmusik, das war mit Blick auf den Arbeitsmarkt klar vorgegeben. Mit der Popakademie haben wir dahingehend nicht nur keinerlei Berührungsängste, sondern ergänzen uns gegenseitig. So bot die Popakademie von Anfang an bestimmte Fächer erst gar nicht an, weil wir dies bereits tun und man nicht doppeln wollte. Umgekehrt bietet die Popakademie bestimmte Bereich an, die man bei uns nicht findet. Wir stimmen uns ganz einfach untereinander ab und arbeiten dann gut zusammen.

regioactive.de: Zu den jüngeren Veränderungen zählt die Gründung des „Clustermanagements Musikwirtschaft“ als vierte Säule des „Mannheimer Modells“, ebenso tut sich weiterhin einiges bei der Errichtung von Existenzgründerzentren für den Kreativbereich. Grundsätzlich begrüßen Sie also diese Entwicklung, die sich in Mannheim abzeichnet?

Prof. Rudolf Meister: Ja, denn insbesondere wenn es darum geht den Übergang vom Studium in den Beruf zu erleichtern, hilft auch uns jede weitere Entwicklung in dieser Richtung ganz direkt. Wir sind sehr froh darüber. Man spricht ja nicht umsonst immer wieder über den Bedarf an solchen Schnittstellen – da ist jede Hilfe willkommen.

regioactive.de: Anlässlich Ihrer ersten Wiederwahl sagten Sie in einem Interview mit der regionalen Tageszeitung bereits, dass Sie die Entwicklung begrüßten, im gesamten Rahmen dessen aber die Wahrnehmung der Musikhochschule noch nicht richtig stimmig gewesen sei, weil der ganze popularmusikalische Bereich zu weit im Vordergrund gestanden habe. Hat sich das mittlerweile in Ihrem Sinne verändert?

Prof. Rudolf Meister: Bis zu einem gewissen Grade ist es immer noch so, dass die Musikhochschule in der öffentlichen Wahrnehmung – vielleicht auch deshalb, weil sie gefühlt eben einfach schon immer da war – nicht ganz so reüssiert, wie wir uns das wünschen würden und für angemessen hielten. Daran arbeiten wir natürlich aber auch selbst, weshalb wir vor einiger Zeit unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verstärkt haben. Wir wollen also selbst noch präsenter werden. Wir wünschen uns von einer Stadt, die Kulturhauptstadt Europas werden möchte, gleichzeitig aber auch, dass die Kulturszene in ihrer Gesamtheit entsprechende Unterstützung in der Öffentlichkeitsarbeit findet. Dabei geht es nicht darum, dass man weiteres Geld für neue Gründungen in die Hand nehmen sollte, sondern darum, das bereits Vorhandene noch bekannter zu machen. Ich denke davon könnte die Region tatsächlich noch mehr profitieren.

„Den Fokus richtig zu setzen ist gar nicht so einfach.“

regioactive.de: Einer der gewünschten Nebeneffekte für die Region ist ja auch, dass sich in den letzten Jahren noch mehr Studenten angesiedelt haben, die Musik studieren oder auf anderen Wegen in der Kreativwirtschaft tätig sein möchten. Gibt es genug Angebote, in deren Rahmen sie sich treffen, austauschen und bestenfalls auch gegenseitig inspirieren können und nehmen die Studenten das in einem ausreichenden Maße wahr?

Prof. Rudolf Meister: Es scheint heute durchaus so zu sein, dass viele Studierende der Meinung sind, dass sie vornehmlich selbständig, intensiv und lange arbeiten müssen. Der Konkurrenzdruck ist einfach sehr hoch und man muss bestimmte Leistungen sehr sicher erbringen. So bleibt ihnen aber nur wenig Zeit, um andere Veranstaltungen zu besuchen und sich auszutauschen. Ich halte das für gefährlich, weil sich gegenseitig anzuregen und zu versuchen, den professionellen Musikmarkt frühzeitig kennenzulernen, ganz wichtig sind. Wir bemühen uns als Hochschule darum, die Studierenden entsprechend vorzubereiten. Aber wir wundern uns manchmal auch, dass bestimmte Veranstaltungen – sei es hier im Haus oder außerhalb – nicht so frequentiert werden, wie es für die Studierenden sinnvoll wäre. Richtig ist aber auch, dass der Tag eben nur 24 Stunden hat. Je nachdem in welcher Situation man gerade ist, muss man auch den Fokus anders setzen: „Wie positioniere ich mich?“ Der Markt ist unübersichtlicher geworden und sehr viel mehr von Selbstmanagement bestimmt, weniger durch vorgezeichnete Lebensläufe. Man weiß nicht, ob man angestellt oder frei tätig sein wird. Manchmal weiß man nicht einmal zu hundert Prozent, in welchem Marktsegment man tätig sein wird. Den Fokus richtig zu setzen ist gar nicht so einfach.

„Es gibt so gut wie keine arbeitslosen Musiker“

regioactive.de: Was die Berufsbilder und die Wege dorthin angeht, worin sehen Sie heute die besonderen Schwierigkeiten und Herausforderungen, aber auch die Chancen für die Absolventen?

Prof. Rudolf Meister: In etwas mehr als den letzen zehn Jahren hat sich alles ganz eindeutig hin zu mehr freiberuflicher Tätigkeit entwickelt. Leider Gottes ist dies mit einem Absinken der Sozialsicherung und häufig auch des Einkommens verbunden. Man kann aber nicht feststellen, dass die Absolventen auf dem Markt nicht mehr Fuß fassen könnten. Sowohl jene Daten, die wir über unsere Absolventen erheben, als auch was wir allgemein hören zeigt nach wie vor, dass es so gut wie keine arbeitslosen Musiker gibt. Beschäftigung ist also da, aber als Freiberufler muss man sich natürlich auf eine ganz andere Weise als früher immer wieder selbst darum kümmern. Dass die Honorare von Jahr zu Jahr abnehmen ist eine bedauerliche Entwicklung. Gleichwohl ist es immer noch so, dass Deutschland für ausländische Studien- und Arbeitsinteressenten attraktiv ist. Dieselbe Entwicklung, die man hierzulande beobachten kann, findet ja auch in anderen Ländern statt. Ein klarer Trend – besonders bei den deutschen Bewerbern – geht hin zu einem Bereich wie Lehramt Schulmusik, wo die Berufsaussichten nicht nur hervorragend sind, sondern immer noch ein gewisser Mangel an Qualifizierten herrscht. Ein vergleichbarer Bereich ist die Elementare Musikpädagogik, wo wir trotz aller Bemühungen gar nicht genug Bewerber finden, um den Bedarf des Arbeitsmarkts zu decken. Selbst da, wo die Berufssituation als besonders schwierig dargestellt wird, beispielweise im Orchestermusiker-Bereich, ist es so, dass wir den Bedarf gar nicht decken könnten, wenn wir nur inländische Studenten ausbilden würden. Trotz der hohen Konkurrenzsituation herrscht also in bestimmten Segmenten durchaus ein Fachkräftemangel.

regioactive.de: Neben einer Karriere als Berufsmusiker gibt es also zahlreiche Alternativen für junge Musikbegeisterte- und begabte. Sehen Sie in den von Ihnen beschriebenen Herausforderungen und Chancen eine Entwicklung, die sich parallel in vielen Bereichen vollzieht? Kann man die "Musikwelt im Wandel" gar als universelles Phänomen beschreiben?

Prof. Rudolf Meister: Ich glaube nichtmal, dass dieser Wandel nur auf Musik oder Kunst beschränkt ist. Es vollzieht sich eine allgemeingesellschaftliche Entwicklung. Um Konkurrenzfähigkeit im globalen Vergleich herzustellen, ist man bei den Personalkosten sehr vorsichtig geworden, was sowieso schon für alle Branchen gilt. Die Einkommensentwicklung geht stärker auseinander. In manchen Bereichen steigt diese in außerordentlichem Maße an, aber für die allgemeine Bevölkerung gibt es keine damit vergleichbare Entwicklung. Insofern sprechen wir tatsächlich von einem allgemeinen Trend. Nehmen wir die Kunst: Es gibt einige wenige, dafür aber umso populärere zeitgenössische Künstler, die jeder kennt und bei denen auch Veranstalter damit rechnen können, dass sie Publikum anziehen. Dafür werden heute sehr viel höhere Preise gezahlt als noch vor 20 Jahren. Aber dadurch bleibt für die breite Masse der Veranstaltungen deutlich weniger übrig.

weiterlesen: „Kultur ist nicht nur ein Wert an sich“ – über die finanzielle Förderung von Kultur

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„Kultur ist nicht nur ein Wert an sich“

regioactive.de: Welche Relevanz kommt unter diesen Gesichtspunkten finanzieller Förderung zu? Gerade machte ja auch die Debatte "Musikrat vs. BILD" Schlagzeilen, nachdem die BILD in einem Artikel die Frage aufgeworfen hatte, ob die Finanzierung der Orchester der öffentlich-rechtlichen Anstalten aus dem Topf der Teilnehmergebühren tatsächlich noch angemessen sei. Allgemein wird vor dem Hintergrund der sinkenden Einkommensentwicklung immer wieder gefordert, über mehr Förderung nachzudenken, sei diese durch Steuern finanziert oder durch andere beitragsfinanzierte Einrichtungen.

Prof. Rudolf Meister: Beim ersten Punkt, den durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten betriebenen Institutionen, handelt es sich bei den Ausgaben ja nicht um allgemeine Steuergelder, sondern um den Einsatz von Beiträgen, über dessen Höhe eine Kommission berät und diese festlegt. Das wird nach dem Bedarf errechnet. Die aktuelle Umstellung der Gebührenerhebung ändert daran ja nichts. Ich denke tatsächlich, dass es die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender ist, genauso wie sie ja auch Filme und andere Formate für das Fernsehen produzieren, dass sie auch Musik produzieren. Solange sie Radiosender betreiben gehören dazu eben auch eigene Orchester. Das scheint mir der Auftrag zu sein, denn es ist heutzutage ja offensichtlich, dass man auch ohne Gebühren Funk und Fernsehen betreiben kann. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen sich also in ihrem Auftrag deutlich von den Privaten unterscheiden, wenn sie die Gebühreneinnahme legitimieren wollen. Eine ganz andere Frage ist die Unterstützung des Kulturbetriebs aus Steuergeldern. Dazu muss man sagen, dass es in der Geschichte wohl noch nie so war, dass man Kultur ausschließlich durch diejenigen refinanzieren konnte, die wirklich in Ausstellungen, Konzerte und ähnliches gehen. Früher haben sich da Monarch oder Kirche eingesetzt und heute besteht mehr oder weniger eine Art Lastenverteilung zwischen denjenigen, die ihre Eintrittspreise entrichten sowie einem Sockelbetrag, der über Steuern erbracht wird. Das scheint mir unverzichtbar, um sicherzustellen, dass ein Land wie Deutschland seine reichhaltige Kulturgeschichte- und tradition nicht verliert. Das muss man sich in jeder Generation neu erobern, sonst ist es irgendwann einmal tote Geschichte. Kultur ist ja nicht nur ein Wert an sich, sondern auch wichtig für die Entwicklung von Menschen. Heute arbeitet man gerne mit Kosten/Nutzen-Analysen, versucht Zahlen aufzustellen – aber das bildet nicht ab, dass kulturelle Beschäftigung auch etwas ist, das motiviert, das eine sinnvolle Tätigkeit ist und das einen davon abhält, vielleicht irgendetwas weniger Gutes zu tun, was dann auch nur zu Kosten für die Gesellschaft führt. Es geht ebenso um Teilhabe an kulturellen Angeboten und um unsere Wirkung nach außen. Die Deutschen sind ja in der Welt nicht unbedingt als die sympathischsten Menschen angesehen…

regioactive.de: …es sei denn es ist gerade Fußball-WM…

Prof. Rudolf Meister: …ja, keine Frage. Aber ich denke, dass Kultur auch einen immens wichtigen Beitrag leisten kann. Gerade in Zeiten, in denen Deutschland innerhalb der EU als sehr viel bestimmender wahrgenommen wird, glaube ich, dass Kultur ein Weg ist, um ein positives Image zu erzeugen und zu erhalten.

regioactive.de: Wie stehen Sie zu neuen Finanzierungsmodellen, beispielsweise die mit Bezug aufs Internet gerne ins Feld geführte Kulturflatrate? Feste Beitragssätze sollen damit über ein genaues Abrechnungsmodell auf die Kulturschaffenden verteilt werden.

Prof. Rudolf Meister: In einem gewissen Sinne sind ja auch die Steuern bereits so etwas wie eine Kulturflatrate. Wir alle tragen dazu bei und aus dem großen Topf werden bestimmte Dinge unterstützt. Ich stelle es mir aber schwierig vor, dass jeder Content, für den sich jemand interessiert, einzeln abgerechnet wird. Dort ein Cent, da ein halber Cent… Ich fürchte, dass solche Bezahlsysteme vom Aufwand her so immens sind, dass dies die Vorteile einfach wieder auffressen würden. Bei der LKW-Maut geht auch ein Drittel der Einnahmen direkt an die Betreiber des Abrechnungssystems. Ich finde das zu hoch. Im Internetbereich kann ich mir eine Flatrate schon vorstellen. Viele der Ideen sind ja auch gar nicht so neu. Als Vorläufer sind unter anderem die Abgaben auf Aufnahmegeräte zu nennen. Dass man Rechtssicherheit schafft, dass man relativ einfache Instrumente schafft, anstatt durch komplexe Systeme wiederum höhere Kosten zu produzieren, dass also diejenigen überhaupt und möglichst direkt bezahlt werden, die den Content erschaffen, das muss das Ziel sein.

regioactive.de: Den unterschiedlichen Ideen folgt meist ebenso variantenreicher Widerspruch, im Fall der Kulturflatrate zum Beispiel auch aufgrund datenschutzrechtlicher Aspekte. Je ungewisser ihnen das künftige Sichern des eigenen Lebensunterhaltes erscheint, desto sorgenvoller fragen sich junge Musiker, Komponisten und Texter, welchen Wert – im Sinne echter Tantiemen – ihr Schaffen hat. Der sorgenvolle Blick richtet sich auf unbezahlte Auftritte ebenso wie auf das Fehlen neuer Finanzierungsmodelle.

Prof. Rudolf Meister: Es gibt einen grundlegenden Gedanken, der meines Erachtens nicht in Frage gestellt werden darf: Inhalte beziehungsweise Kulturgüter, die andere Menschen interessieren und daher konsumiert werden, sollten auch vergütet werden. Ein "Umsonst-Denken“ läuft sich schnell tot, denn recht rasch würde es gar nichts mehr geben. Das läuft nur, solange ein Markt für kreative Produkte besteht. Bricht dieser weg, kommt erstmal nichts mehr nach. Regelungen wie das Urheber- oder Patentrecht sind ja nicht aus Gnade oder Mitleid mit den Kreativen geschaffen worden, sondern weil man sich davon versprach, dass diese die Kreativität und die Weiterentwicklung der Gesellschaft fördern und damit Dinge entstehen, die es vorher nicht gab und die uns allen nützen. Ich glaube nicht, dass es denkbar ist, davon abzurücken.

„Man muss ein brennendes Interesse für Musik mitbringen“

regioactive.de: Wer ein Musikstudium anstrebt begibt sich auf komplexes Terrain. Im Hinblick auf an die Person geknüpfte Aspekte wie Talent oder auch die eigene Erwartungshaltung, was muss der ideale Bewerber mitbringen?

Prof. Rudolf Meister: Allein im Bereich Musik ist unser Angebot so vielfältig, reicht vom praktischen Musizieren über die Pädagogik bis zur Musikforschung, dass sich das je nach Richtung etwas anders ausdifferenziert. Alle angehenden Studierenden müssen aber auf jeden Fall ein brennendes Interesse für Musik mitbringen, egal aus welchem Blickwinkel man da rangeht. Musik kann man nur ganz oder gar nicht machen. Je nachdem welches Studienziel angestrebt wird, ist durchaus eine langjährige Vorarbeit nötig. Am wenigsten spezifische Vorarbeit braucht man für die Musikforschung, am meisten sicher für das Studium eines klassischen Instruments wie Streicher oder Klavier. Idealerweise hat man mit dem Instrument bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren angefangen und seitdem mit guten Lehrern kontinuierlich und zielgerichtet gearbeitet. Sie müssen kreativ sein und neue Wege gehen wollen. Dabei müssen sie stets mit Fleiß zu Werke gehen, um ein hohes Niveau zu erreichen, sonst kann man im Markt später nicht bestehen.

regioactive.de: Ihr persönlicher Werdegang ist ja durchaus ein ganz besonderer. Sie sind in einer sehr musikalisch geprägten Familie aufgewachsen und waren bereits in jungen Jahren sehr erfolgreich. Was sagen Sie jenen, die möglicherweise das Potenzial dazu hätten, ein solch hohes Niveau zu erreichen, es sich aber selbst gar nicht zutrauen, zum Beispiel deshalb, weil das Musizieren im persönlichen Umfeld nur als nettes Hobby angesehen wird und somit der entsprechende Zuspruch fehlt?

Prof. Rudolf Meister: Denen sage ich, dass sie so früh wie möglich eine Beratung bei uns erbitten sollten. Wir haben ein sogenanntes „Pre-College“, also eine studienvorbereitende Abteilung, ebenso wie ein Netzwerk mit über 20 Musikschulen in der Region. Das nennt sich „Amadé“ und widmet sich ebenfalls der Begabtenförderung und Studienvorbereitung. Es ist eigentlich überhaupt kein Problem mit einem Professor in Kontakt zu kommen, der einem das Vorspielen, Vorsingen oder einfach nur Zuhören beim Unterricht ermöglicht. Beratung ist absolut üblich. Ich empfehle das so früh wie möglich zu machen. Dann bekommt man von uns eine Einschätzung der Stärken und Schwächen und – sofern gewünscht – auch eine Einschätzung darüber, wie die Prognosen für die weitere Entwicklung sind. Fällt das alles positiv aus, kann man sich mit einer Aufnahmeprüfung für das „Pre-College“ bewerben.

weiterlesen: „’Musik für Wenige’ hat eine zu lange Geschichte“ – über neue Wege in der Neuen Musik

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„Die Leitung der Institution hat absolute Priorität“

regioactive.de: Wie viel Zeit lässt Ihnen ihre Arbeit eigentlich noch fürs eigene Musizieren?

Prof. Rudolf Meister: Das muss ich sehr gut koordinieren. In der Vorlesungszeit kann ich es mir nicht leisten, längere Zeit weg zu sein. Im Hochschulbetrieb – wir sind eine sehr kleine Verwaltung – muss man einfach ansprechbar bleiben. Das schränkt meine eigene künstlerische Tätigkeit natürlich ein, aber das wusste ich und dazu stehe ich. Die Leitung der Institution hat absolute Priorität. Durch geschickte Organisation kann ich mir aber durchaus Freiräume schaffen.

regioactive.de: Ein besonderes Faible haben Sie für Neue Musik?

Prof. Rudolf Meister: Ja, meine Mutter Siegrid Ernst ist Komponistin.

„’Musik für Wenige’ hat eine zu lange Geschichte“

regioactive.de: Es ist ja durchaus so, dass man es bei Neuer Musik nicht rein mit verkopfter, ausschließlich intellektuell begreifbarer Musik zu tun hat, sondern oft genug auch mit emotional sehr ansprechender Musik. Die Namen einiger großer Komponisten der Gegenwart sind der Allgemeinheit durchaus ein Begriff, aber wirklich populär wurde Neue Musik bis heute nicht. Welche Ursachen hat das und wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Prof. Rudolf Meister: In Deutschland gab es ja über viele Jahrzehnte hinweg eine große Trennung zwischen der sogenannten ernsten „E-Musik“ und der „U-Musik“. Das hebt sich glücklicherweise immer mehr auf, weil es am Ende ja doch einfach um Qualität geht. Und die ist in beiden Sparten vorhanden. Deshalb bin ich eigentlich durchaus optimistisch, dass es noch zu einer größeren Publikumsresonanz kommen wird. Wenn sie auf einem Avantgarde-Markt tätig sind, der sich vor allem dadurch selbst definiert, dass er bestimmte Dinge nicht mehr tut beziehungsweise nicht mehr tun darf, bestimmte Arten des Komponierens also nicht mehr möglich sind, und wenn genau dies für ihren Erfolg ausschlaggebend ist, dann können sie damit das breite Publikum auch nicht erreichen. Das war eine ganze Weile lang offenbar auch gar nicht das Ziel. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Ich sehe das direkt hier im Haus, wenn ich mir anschaue, wie Sidney Corbett (Prof. für Avantgarde-Komposition) und Jürgen Friedrich (Prof. für Jazz-Komposition) zusammenarbeiten. Da gibt es keine Grabenkämpfe, sondern man stellt durchaus viele Berührungspunkte fest. Die Zeiten, in denen man Musik für einen ganz kleinen Kreis von Eingeweihten schaffen konnte und sich gerade darüber definierte, dass man nicht für das große Publikum schrieb, sind irgendwie vorbei. "Musik für Wenige" hat eine zu lange Geschichte, ich glaube das will niemand mehr auf Dauer. 

regioactive.de: Wie werden die Komponisten Neuer Musik diesem Anspruch musikalisch Rechnung tragen?

Prof. Rudolf Meister: Einerseits wird Neue Musik stilistisch durchaus mit populären Elementen arbeiten, zum Beispiel Video oder ähnliches. Andererseits scheint es mir in der Tat so zu sein, dass viele der jungen Komponisten unter unseren Studenten nicht mehr damit glücklich sind, wenn zu einer Aufführung nur 20 Leute in den Saal kommen und der Staat nur deshalb, weil Musik gefördert werden muss, ihre Stromrechnung bezahlt. Das ist nicht deren Ziel. Ich bin mir auch sicher, dass Kreative, die wirklich ein Publikum erreichen wollen, das auch schaffen können. Es ist ja nicht so, dass man mit Musik nicht die Massen erreichen könnte: Heute noch mehr als früher durch die weite Verbreitung und ständige Verfügbarkeit. Musik wird allgemein mehr wahrgenommen. Die Frage für den Komponisten ist nur: Will ich das? Oder mache ich mich damit unmöglich in einem anderen Bereich, der für mich wichtig ist? Wie gesagt finde ich es aber positiv, wenn sich solche Widersprüche heutzutage mehr und mehr auflösen.

regioactive.de: Das ist eine Auffassung, der wir uns gerne anschließen. Vielen Dank für Ihre Zeit und das ausführliche Gespräch.

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