Eines der innovativsten Festivals in Europa: Das Primavera Sound setzt jedes Jahr Maßstäbe, wenn es darum geht internationalen Newcomern und Legenden der Musikwelt auf seine Bühne zu holen.

Eines der innovativsten Festivals in Europa: Das Primavera Sound setzt jedes Jahr Maßstäbe, wenn es darum geht internationalen Newcomern und Legenden der Musikwelt auf seine Bühne zu holen. © Dani Canto

Obwohl das Primavera Sound in diesem Jahr bereits zum zwölften Mal stattfindet, ist es bei den wenigsten Fans von Southside, Rock am Ring und Konsorten auf der Festivallandkarte zu finden. Mit Barcelona verbinden die meisten Deutschen immernoch Partyurlaub, den Albtraum der Bayern und bestenfalls das Sònar. Neben diesem Treffen des Who-Is-Who der elektronischen Musik zählt das Primavera dank eines Gespürs für sich anbahnende Hypes und eines der diversesten Line-Ups Europas jedes Jahr zu den Größten und prestigeträchtigsten Festivals weltweit.

{image}Die ersten Schritte nachdem man aus der Metro steigt führen zwischen den Wolkenkratzern der Hotels und Bürogebäude des neuen Barcelonas und vorbei an einem der bekanntesten Skatespots unter dem Schatten der schwarzen, wuchtig-kantigen Architektur des Auditoriums. Weiter geht es über eine kleine, vollkommen asphaltierte Anhöhe, um die zahlreichen Schranken zu passieren, die den Besucher von einem der vielseitigsten Festivals Europas trennen. Direkt nach der letzten Ticketkontrolle fällt der Boden dann sanft zum Meer hin ab. Nach einem kurzen Weg vorbei an den üblichen Gemischtwarenläden und Fressbuden, öffnet sich ein gewaltiges Amphitheater zum Meer hin, in dessen Zentrum die Ray-Ban-Stage, eine der drei Hauptbühnen, trohnt.

Da das Primavera Sound eines der wenigen Festivals ohne Campingmöglichkeit ist, residieren die Besucher des Festivals gezwungenermaßen in den unterschiedlichsten Unterkünften verteilt über die Stadt. So wird aus dem musikalischen Highlight auch immer ein kulturelles, da die wenigsten sich der Faszination der Metropole am Mittelmeer entziehen können. Von daher erreichen die wenigsten das Festivalgelände im Parc del Forum rechtzeitig, um die ersten Bands zu erleben. Folglich steht mit den Archers of Loaf auch schon der zweite Act dieses Abends auf der Ray-Ban-Bühne.

{image}Die Band aus Chapel Hill ist musikalisch in die Indiewelle der 90er einzuordnen und reitet seit 2011 mit zahlreichen anderen Bands die Reunion-Welle, die sich gerade über der Musikwelt bricht. Bei so mancher Frucht dieses neuen Trends stellt sich nicht zu Unrecht die Frage nach der Notwendigkeit dieser teilweise in eine Zumutung ausartenden Lust an der Leichenfledderei. Zwar finden sich weitaus grausamere Exemplare der Gattung Reunion als die Archers, allerdings wird bei dem Gig deutlich, warum sie nie mit dem Erfolg von Modest Mouse oder dem Kultstatus von Pavement gesegnet wurden. Beliebiger Indie-Rock, von etwas in die Jahre gekomenen Herren aufgewärmt funktioniert eben nur, wenn man sich auf eine Legende berufen kann. Daran änderte auch der viel zu laut und höhenlastig abgemischte Sound nichts.

Wieso sich also hier aufhalten, wenn nur wenige Meter weiter mit Grimes der aktulle Liebling der Hipsterpresse auf der Pirchfork-Bühne zu bestaunen ist. Nach einem kurzen Weg entlang an künstlichen Meerwasserpools, findet sich der Besucher auf einer weitläufigen Betonfläche wieder, die in der Mitte durch eine hunderte Stufen zählende Treppe geteilt wird und an den übrigen drei Seiten von Wasser umgeben ist. Während rechts der Stufen Field Music die Vice-Bühne bespielen, kämpft der Shootingstar des Dream-Goth-Synthie-Pop links davon auf der Pitchfork-Bühne mit technischen Problemen. Sphärisch umfasst den Sound, der das letzte und erfolgreichste Album der Kanadierin auszeichnet, wohl am besten. In der Intimität eines Clubs funktioniert dieses Umarmende der vielen Loops und ihrer ins ätherische treibenden Stimme vermutlich auch. Auf einem Openair-Festival direkt am Meer und bei hellem Tageslicht können allerdings auch die nach drei Songs auf die Bühne taumelnden Animateusen nichts an der Schmalbrüstigkeit der Tracks ändern, die sich ins Nichts verlieren.

{image}Weiter also, zu dem nächsten Reunionhighlight, dieses Mal auf der Bühne des Hauptsponsors San Miguel. Der Weg führt die Treppen hinauf und unter einem futuristisch anmutenden Solarzellendach aus Beton hindurch, das in absurdem Winkel über einer gewaltigen Brücke schwebt. Für The Afghan Wigs hieß es 2001 eigentlich Zapfenstreich, aber auch sie entschlossen sich 2011 dazu, ihre Fans noch einmal zu beglücken. Zwar werden die Wigs mit ihrem soullastigen Rock zu heutigen Zeiten keinen Innovationspreis mehr gewinnen, dennoch gehörte das zweite Konzert der Herren aus Cincinnati seit über zehn Jahren nicht zu der Rubrick Zombietheater. Solid, professionell und mit einer Verve, die jahrzehntelange Erfahrung durchscheinen lässt, hatte die Band um Frontmann Greg Dulli fast Cave & The Bad Seeds-Qualität.

Von hier aus ist es ein weiter Weg bis zur dritten Hauptbühne. Gesponsort vom Autobauer Mini, trägt sie zwar dessen Name, allerdings finden die Gemeinsamkeiten hier schon ihr Ende. Am anderen Ende des Festivals auf einem alten Parkplatz platziert, ist diese Bühne die entlegenste sowie unspektakulärste und entspricht dem, was man von deutschen Festivals kennt. Weite Fläche, riesen Bühne, staubiger Boden mit Bier und Fressstände ringsum. Lediglich der Hintergund, die Skyline von Sant Martí, dem modernsten Stadtteil Barcelonas, holt ein wenig der Atmosphäre zurück, die die übrigen Bühnen umweht.

{image}Death Cab for Cutie eröffnen direkt mit ihrem Opus I Will Posses Your Heart, dessen sich langsam aufbauende Songstrucktur einen wunderschönen Soundtrack zu dem sich der Bühne nähernden Besucherstrom gibt. Der Platz vor dieser Bühne bietet neben dem enormen Amphitheater um die Ray-Ban-Stage vermutlich den meisten zuschauern Platz und dieser füllt ebenso schnell wie der Opener an Fahrt aufnimmt. Bereits nach dem dritten Song erstreckt sich die Menge so weit, das die hinteren Plätze die Sekunden, in denen die PA den Dienst quittierte, vermutlich kaum von den windbedingten Verwehungen des Sounds unterscheiden konnten.

{image}Nach diesem Gig stand zum ersten Mal kein Ortswechsel an, da mit Beirut der in jungen Jahren als Wunderkind gefeierte Zach Condon die Bühne betrat. Neben einer Revue verschiedenster Blechbläser gab die Speerspitze der Balkanmusik in den nächsten 70 Minuten ein Pottpüree von Songs der letzten Alben zum Besten. Zwar lieferte die Band eine tadellose Performance ab, jedoch entzog die lieblose Bühne in der unspektakulären Umgebung der melancholisch-romantischen Musik des Amerikaners einen Großteil der Energie, die ihre Wirkung ausmacht. Auf einer der anderen Bühnen mit wesentlich mehr eigenem Charme hätten die Baladen sicher eine tiefere Wirkungskraft entfaltet.

Auf dem Rückweg zur Ray-Ban-Stage, wo bald mit Refused der ultimative Reuniongig über die Bühne gehen sollte, stolperte man aber unweigerlich über die einzige bis dato noch nicht besuchte Stage. ATP steht für die legendäre Festivalreihe All Tomorrow’s Partys und für regelmäßige Besucher des Primavera Sounds ist die ATP-Bühne die unbestrittene Perle. Hier hämmerten gerade Thee Oh Sees ihren psychodelischen Surf-Psycho-Garage in die Anlage. So einen Sound gepaart mit der hektischen Bühnenperformance kann nur produzieren, wer als ADHS-geplagter Jugendlicher in Kalifornien aufwächst. Um mit ein paar Adjektiven um sich zu werfen sei an dieser Stelle schnell, hektisch, grell, groovy, psycho, unglaublich tight und massenhaft Feedback angeführt, Ausnahmen bestätigen die Regel.

{image}Schweren Herzens verließ man dieses Konzert dann vor dem letzten Song, denn um die Frage zu beantworten, ob es sich bei der bevorstehenden Refused-Show um die Auferstehung des Phoenix aus der Asche handelte oder doch um The Living Dead, musste jede Sekunde mitverfolgt werden. Doch bereits das epische Intro der Show ließ Böses ahnen. Ließ die Szenepolizei früher Ledersofas aus dem Backstageraum entfernen, inszenierten sich die Schweden jetzt auf großer Bühne als die Propheten des moralischen Verfalls der westlichen Welt. Auch wenn der Genuss der eignen Jugendhymnen hier der Faszination am Makabren ähnelte und nicht nur Tracks des Hitalbums, sondern auch von Songs To Fan The Flames Of Discontent ihren Weg in die Setlist fanden, so ließ doch einiges Raum für Kritik. Am störendsten war vermutlich, dass anstelle eines bissigen Refused-Frontmannes jemand das Mikro in der Hand hatte, der jahrelang Sänger bei The (International) Noise Conspiracy war.

{image}Oft fehlte der refused-typische keifende Biss in der Stimme und auch die akrobatischen Einlagen lagen irgendwo zwischen spätem Mick-Jagger-Peinlich und Revolutions-Ausdruckstanz. Dazu kam noch, dass manche Riffs scheinbar nicht mehr so richtig präsent waren, genausowenig wie der Sound der Leadgitarre, so dass die Songs teilweise wie schlechte Coverversionen wirkten. Kurz vor dem Ende des Gigs stellte sich noch die Frage, ob Refused wenigstens halbwegs ihre Integrität bewahren und New Noise, diesen ähnlich wie Smells Like Teen Spirit zu seiner eigenen Antithese totgespielten Dorfdiscohit außen vor lassen würden, oder ob sie der Versuchung dieses Rockstarmoments erliegen. Leider war letzteres der Fall und man verließ fluchtartig das Geschehen in Richtung ATP-Bühne, wo mit Wolves In The Throne Room das letzte zu erwartende Highlight dieses Abends die Düsternis heraufbeschweren würde.

Während also Refused die frühere Askese überwunden zu haben schienen und sich in ihrem Rockstar-Dasein suhlten, verkörperte der Auftritt der Metaller aus Olympia das genaue Gegenteil dieser Wandlung. Der Black Metal ist berühmt für seine extravagante Garderobe, die Selbstinszenierung seiner Protagonisten und die bedeutungsschwangere Symbolik von so ziemlich jeder Geste. WITTR dagegen kommen nach einem ca. zehnminütigen Intro auf die Bühne, greifen sich ihre Instrumente, legen diese nach einer Stunde ohne ein gesprochenes Wort zu verlieren wieder hin und verschwinden von der Bühne. Dazwischen entspannt sich ein fast droneartiges Crescendo aus Doublebass, Tremolo Picking und gekreischten Vocals, das sich mit tragenderen Parts abwechselt. Wer sich darauf einließ, konnte in der Tat den von der Band proklamierten meditativen Charakter der Songs erkennen. Black Metal typisch war hingegen die Lautstärke, aber auch die technische Perfektion und die annähernd perfekte Aussteuerung der PA.

{image}Nach diesem tiefgreifenden Grenzerfahrung erwarteten den Besucher neben einigen kleineren Konzerten eigentlich nur noch die DJ-Sets von John Talabot und Erol Alkan, aber wie so oft auf dem Primavera wartete der Abend noch mit einem unverhofften Highlight auf. Nach einer kurzen Stippvisite bei dem Live-Elektro von The Field auf der Pitchfork-Bühne, führte der Weg zufällig nach neben an, wo auf der Vice-Stage die Japandroids nachts um halb vier nochmal zeigten, wo der Hammer denn so überall hängen kann. Zwei grundsympathische Typen holen aus Schlagzeug und Gitarre so unglaublich viel mehr raus als The White Stripes, dass Mr. und Mrs. White nicht nur Hören und sehen vergehen dürfte. Irgendwo zwischen Punk-Rock und Garage spielt Brian King seine Gitarre über drei verschiedene Amps gleichzeitig, die auch separat abgenommen werden. So produziert die Zwei-Mann-Band  genug Krach, um dem viel zitierten startenden Jumbojet Konkurrenz zu machen. Das paart sicht mit einer Spielfreude und den Schrei-Along-Parts der Songs zu einer Show, die zum Ende des Tages nochmal das letzte von den Besuchern forderte.

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