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Impressionen (Primavera Sound in Barcelona, 2014) © Sarah Ciminski

Zum 14. Mal versammelte das Primavera Sound in diesem Jahr ein einmaliges Line-Up in Barcelona. Vom 27. Mai bis zum 1. Juni spielten weit über 200 Bands auf über 20 Bühnen, die über die gesamte Stadt verteilt waren, insgesamt beinahe 350 Konzerte. Neben den vielen Highlights schleichen sich aber auch immer wieder Zweifel ein, ob der gewählte Weg der kompromisslosen Expansion der richtige ist.

Wer regelmäßig die zahlreichen Berichte zum Festivalsommer auf dieser Seite liest, für den dürften es mittlerweile Old News sein: Das Primavera Sound in Barcelona hat sich in den letzten Jahren vom Geheimtipp im Schatten der großen spanischen Events wie Benicassim und Sónar zum Line-Up-Titanen in der europäischen Festivallandschaft entwickelt.

Immer internationaler

Dafür spricht nicht nur der Fakt, dass fast jede der legendären Bands, die sich im Zuge der Reunion-Welle von 2012 und 2013 die Ehre gaben (Pulp, Refused, Sunny Day Real Estate etc.) ihren ersten Halt in der Alten Welt an der Küste Kataloniens machten.

Auch der zunehmende Anteil an Besuchern, deren Zunge weder das Katalanische noch das Spanische beherrscht, spricht für die steigende Beliebtheit in den Heimatländern von Reading, Glastonbury, Øya, Roskilde und Rock am Ring

Warmes Wetter, saubere Schuhe

Im direkten Vergleich zu den genannten Granden der Festivalwelt hält das Primavera Sound neben dem interessantesten Line-up auch so manchen anderen Trumpf in der Hand, der nur schwer auszustechen ist. Das Klima ist in diesen Breitengraden im Vergleich zu den Weltuntergangsszenarien, die sich auf so manchem Zeltplatz in den nördlichen Gefilden des Kontinents abspielen, selbst zu seinen schlechtesten Momenten eine karibische Idylle.

Wenngleich das Thermometer dieses Jahr nachts wieder kaum über 15 Grad kletterte und ein kleiner Regenschauer am Freitag kurz die Gemüter trübte, ging man dank des komplett schlammfreien Geländes mit einigermaßen sauberen Schuhen nach Hause. 

Futuristische Wahnvorstellungen

Überhaupt sollte an dieser Stelle kurz der Parc del Forum, das Festivalgelände, Erwähnung finden. Dieser Realität gewordene Traum eines griechischen Architekten mit futuristischen Wahnvorstellungen muss sich höchstens Ferropolis in Sachen spektakulärer Kulisse geschlagen geben.

Laurent Garnier in einem riesigen Amphitheater voller Menschen ging mindestens genauso in die Beine wie in der Maimarkthalle. Das QOTSA Set fügte sich nahtlos zwischen Meer auf der einen und der Skyline aus Wolkenkratzern auf der anderen Seite. Und sich Mogwai oder Godspeed You! Black Emperor auf einem langsam ansteigenden Grashügel anzuschauen, der eigentlich nur ein ins Nichts ragender Betonsplitter ist, lässt Modernismuskritik zum Volkssport werden.

Enorme musikalische Bandbreite

Auf insgesamt elf Bühnen verteilten sich die weit über 200 Bands an den drei Tagen des Hauptevents im Parc del Forum. Die Spannbreite war immens und sucht nicht nur in Europa ihresgleichen. Wo sonst kann man innerhalb von 24 Stunden das komplette Spektrum zwischen der perfekten Harmonie von Blixa Bargeld & Teho Teardo und Deafheavens fugenloser Wand aus akustischer Gewalt abarbeiten?

Die harmonische Verschmelzung der Extreme war sogar innerhalb eines Konzerts erlebbar, wenn die Grabesstimme des besagten Herrn Bargeld vor einem elfköpfigen Streichquartett in einem riesigen Konzertsaal mit 3500 Sitzplätzen von Tod, Verzweiflung und den Schrecken des Lebens dröhnt, während zu seinen Füßen ein kleines Mädchen im rosafarbenen Kleidchen mit dem Mikrokabel spielt.

Die Unmöglichkeit, alles zu sehen

Dazwischen passieren Konzerte von Shellac, Chvrches, The Dismemberment Plan und Chromeo, die das Gefühl aufkommen lassen, dass ausnahmsweise auch mal die Personen auf der Bühne angenehm überrascht sind, von dem, was sich ihnen da bietet.

Natürlich trifft man auch auf das Gegenteil, wenn zum Beispiel Headliner wie Nine Inch Nails bestenfalls eine Show unter vielen abliefern oder Cloud Nothings ein wahnsinniges Konzert vor einer tobenden Menge spielen, aber dann mit einem recht gelangweilten "Enjoy the rest of the evening" von der Bühne schlurfen.

Aber selbst im Falle einer solchen Enttäuschung oder angesichts der schieren Menge an sehenswerten Konzerten, die zeitlich in Einklang zu bringen ein Ding der Unmöglichkeit ist, bietet das Primavera Sound einen Trost.

Ausdehnung in die Stadt

Ganz in der Tradition von innerstädtischen Festivals wie dem Reeperbahn Festival oder dem SXSW, hat sich die 14. Ausgabe des Primavera Sounds noch weiter in die katalanische Hauptstadt hinein ausgedehnt. Neben dem Hauptevent, das von Donnerstag bis Samstag auf dem direkt am Meer gelegenen Areal stattfindet, treten sowohl vor, als auch während und nach dem Festival zahlreiche Bands ein weiteres Mal in den verschiedensten Venues und Open-Air-Locations auf.

Insgesamt fast 350 Konzerte verteilten sich auf sechs Tage und sollten sich bei den elf Bühnen im Park del Forum mal zwei Konzerte in die Quere kommen, bestand dank der Mehrfachauftritte zahlreicher Bands trotzdem die Chance, jeden Künstler auf der Liste abzuhaken.

Konflikte mit der Security

Shellac etwa begeisterten im BARTS, einem alten Theater, bereits am Mittwoch Abend mit einem perfekt ausgewogenen Set, das auch Platz für einige neue Songs des bald erscheinenden sechsten Albums bot.

Zwar kam es nach der Show zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Security und The Ex, die zuvor auf der Bühne standen, was zum Glück aber keine Auswirkungen auf die Performance der beiden Bands tags darauf hatte. Auch Chromeo, Ty Segall und Cloud Nothings brannten zur Abschlussshow im Salta Apolo, ebenfalls einem alten Theater direkt gegenüber des Barts, ein weiteres Mal das Haus nieder.

Im zweiten Teil widmen wir uns der wachsenden medialen Präsenz des Primavera Sound und beschäftigen uns mit dem konsequenten Expansions- und Kommerzialisierungskurs des Festivals.

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Wachsende mediale Präsenz

Was Besuchern des SXSW und des entsprechenden Pendants in Hamburg ebenfalls bekannt vorgekommen sein dürfte, war die zum fünften Mal stattfindende Musikmesse PrimaveraPro. Dieses Meeting des internationalen Musikbusiness lockte dieses Jahr über 2000 Professionelle aus über 50 Ländern nach Barcelona.

Entsprechende Kooperationen mit den Events aus Austin und Hamburg fanden neben zahlreichen Showcases entsprechend auch statt. Generell scheint die Medienaufmerksamkeit in diesem Jahr stark gewachsen zu sein, wie man anhand der gestiegenen Präsenz in den üblichen Onlinemedien sowie der Liveübertragung fast aller Konzerte über Arte und Spiegel Online erkennen kann.

Konsequente Expansion

Allerdings hinterlässt dies auch einen etwas bitteren Nachgeschmack. Bereits im Vorjahr wurde dem Festival durch die Verlegung der ATP-Bühne auf den angrenzenden Parkplatz die beste Konzertkulisse geraubt, was auch Shellacs Steve Albini bemängelte. Durch die Vergrößerung des Geländes auf beinahe das Doppelte hat das Festivalareal zudem seinen kompakten Charakter verloren und ein Fußweg von über 20 Minuten zwischen der Vice und der Heineken Bühne kann dazu führen, ein Konzert zu verpassen.

Auch das Ersetzen von lokalen Sponsoren durch multinationale Firmen (aus Estrella Damm vor dem Primavera Sound wurde erst San Miguel, jetzt Heineken...) scheint vor allem der Maxime des Wachstums geschuldet zu sein. Konzerte wie das von The Mae Shi 2009 oder den Sleigh Bells 2012, die nicht nur das Publikum, sondern auch die Bands sprachlos zurückließen, sind eine Seltenheit geworden.

Wachstum um jeden Preis?

Die Spirale aus Hype und Kommerzialisierung zugunsten von ungezügeltem Wachstum dreht sich in den letzten Jahren immer schneller und die Veranstalter des Primavera Sounds scheinen sich dem nicht in den Weg stellen zu wollen. Setzt sich dieser Trend fort, wird in wenigen Jahren von dem ursprünglichen Charakter, der dieses Festival so besonders machte, wenig bis nichts mehr übrig zu sein.

Waren vor wenigen Jahren die auf anderen Festivals so weit verbreiteten "Auffallen um jeden Preis"-Kostüme noch eine Seltenheit, verdrängen diese zusehends die normalen Besucher und Musiknerds. Noch lockt das makellose Line-Up auch weiterhin wirkliche Musikfans nach Barcelona, aber die saufende Partycrowd bedroht auch hier ein selten gewordenes Biotop in der Musikwelt. Und das Wetter wird auch von Jahr zu Jahr schlechter...

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