Oval

Oval © Thrill Jockey Records

Titel wie "O", "Ah!" und "Oh" zeigen schon beim Lesen, dass Oval etwas mehr vom Hörer verlangt als der gewöhnliche Durchschnitts-Electrokünstler. Das Konzert im Heidelberger Karlstorbahnhof im Rahmen des Enjoy Jazz Festivals in den letzten Oktobertagen hat das eindeutig bewiesen. Dass dabei aber auch einige Zuschauer frühzeitig vergrault wurden, sollte nicht weiter stören.

{image}Kein Wort gesprochen, eine knappe Stunde gespielt und dann wieder genauso schnell und lautlos verschwunden, wie vorher auf die Bühne gekommen. Markus Popp, besser bekannt als Oval, macht es mit seiner Musik nicht nur dem Hörer, sondern auch dem Konzertbesucher nicht leicht. Ein Brocken wurde im Karlstorbahnhof serviert, der danach erst einmal verdaut und eingeordnet werden musste. Was bei Oval überhaupt schlecht zu machen ist, gerade jetzt, wo Popp das Projekt fast vollkommen neu erfunden, ja sogar nach eigener Aussage sein zweites Debütalbum geschaffen hat. Das hat mehrere Ursachen: Zum einen veröffentlichte der Berliner beinahe zehn Jahre nichts, lässt man einmal die Zusammenarbeit mit der japanischen Sängerin Eriko Toyada im Jahr 2003 beiseite, die nebenbei bemerkt ebenfalls sehr hörenswert und zu empfehlen ist. Aber selbst danach hat es ganze sieben Jahre gedauert, eh uns ein wirkliches Lebenszeichen von Popp erreicht hat.

Dieses Lebenszeichen war die EP Oh, im Frühjahr des Jahres erschienen und noch vor offiziellem Verkaufsbeginn ausverkauft (man kann sie aber natürlich noch digital erwerben). Sie gab bereits einen ersten Ausblick auf den Sound, den der Berliner mit dem vor kurzem erschienenen Album O ausufernd zelebriert hat. Und mit ausufernd ist vor allem die schiere Zahl gemeint, denn auf dem Doppelalbum versammeln sich in zwei Stunden beinahe 70 Titel. Damit kommen wir auch sofort zur zweiten Ursache des Neuanfangs, nämlich Markus Popps neuer Herangehensweise an Musik, die den gesamten Klang von Oval stark verändert hat. Weg von den alten Markenzeichen, dem Knistern, Stottern und Knacken; Weg von den mit Filzstiften bemalten CDs. Sogar weg von den selbstausgetüfftelten Computerprogrammen, um das alles zu mixen. Es ging hin zu selbst eingespielten Aufnahmen von Schlagzeug, Gitarren und sonstigen Instrumenten, die er jetzt auf normal erhältlicher Software mit einem in die Jahre gekommenen Dell-Rechner aufbereitet, was man auch live sehr gut sehen konnte.

{image}Wo wir gerade bei live sind: Auf der Bühne steht eigentlich nichts. Vier Lampen und ein Tisch, darauf etwas Equipment, wurden versammelt. Im Grunde aber nur der schon genannte Laptop. Wer erwartet hat, dass Popp irgendwie mit Drummer und Gitarrist auftaucht, hat sich getäuscht. Wer erwartet hat, dass hier eine große avantgardistische Bühnenshow aufgezogen wird, hat sich getäuscht. Wer überhaupt im Vorfeld etwas erwartet hat, hat sich wahrscheinlich auch getäuscht. Popp zieht sein Ding durch und stürzt den Hörer ohne Vorwarnung in seinen Soundkosmos, wobei der Begriff hier wie die Faust aufs Auge passt. Teilweise klingen die Songs oder Fragmente, als würden sie nicht von hier stammen. Im stetigen Wechsel zwischen laut und leise wird man zuerst langsam an die Klänge gewöhnt, bis dann sofort darauf der schrille Weckruf in Form einer undefinierbaren Soundexplosion erfolgt. Seltsamerweise klingt das alles zwar mechanisch, fügt sich dann aber doch in ein organisches Ganzes. Kann man das überhaupt einleuchtend beschreiben? Man muss es wohl oder übel selbst hören.

{image}Vom Abend bleibt musikalisch wenig hängen, mehr als ein paar bekannte Stellen sind nicht herauszuhören. Alles scheint eher Soundteppich zu sein. Ein Kritiker hat zur EP Oh geschrieben, dass es sich um ein Skizzenbuch voller Klänge handelt, das im Endeffekt ein einziger langer Song ist. So auch dieses Konzert, ein einzelner Song geistert etwas mehr als eine Stunde durch den Saal. Dem Publikum ist das teilweise zu viel, einige verlassen nach kurzer Zeit den Saal, andere halten etwas länger aus, um dann doch zu verschwinden. Der Brocken auf der Bühne bleibt. Schlagzeug bietet auf vielen Songs den Boden, auf dem sich sich alles entfaltet: Polyrythmisch, jazzig, avantgardistisch. Dazu direkt neben der Spur Soundeinwürfe, die einem diesen schönen Boden gleich wieder unter den Füßen wegziehen. Oval lässt einem keine Ruhe, das Programm von Markus Popp hat auch mit seinen neuen Veröffentlichungen und live auf der Bühne die alte Funktion beibehalten: Musik hinterfragen, wie und warum sie gemacht wird. Und es funktioniert, man stellt sich am Ende Fragen.

Zum Schluss ein Schmankerl: Oval hat zwei kostenlose EPs veröffentlicht, Ringtones kann man sich hier, Ringtones II hier von der Seite des Labels herunterladen. Wem das gefällt, der sollte direkt zur Schallplattenversion vom aktuellen Album O greifen, die nicht nur optisch großartig ist. Am Ende noch das sehenswerte Video zur Single Ah!, das sich hier finden lässt.

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