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Henry Rollins (live in Heidelberg, 2023) © Johannes Rehorst

Spoken Word-Meister Henry Rollins ist 2023 endlich wieder auf Tour – und er hat viel zu berichten. Nicht unbedingt von neuen Reisen, sondern von persönlichen Erlebnissen während der Pandemie. Und die haben es in sich.

Henry Rollins hat wie der Rest der Welt zwei Jahre Pandemie hinter sich. Für Rollins, den nimmermüden Weltreisenden, der aus jedem Tag das Maximum herauszuquetschen versucht, war diese Zeit vermutlich härter als für manche andere.

Dem Ende nahe

Rollins wird bei seiner zweieinhalbstündigen Spoken Word-Tour im gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Heidelberger Karlstorbahnhof nicht müde, die "anti-science-gang", die sich nicht zum Tragen einer Maske oder zum Impfen herablassen wollte, für seine erzwungene Pause und den Verlust seines ereignisreichen Lebens zu kritisieren: "Because freedom", spottet er.

Nun ist die Coronakrise vorbei, aber in der Zwischenzeit hat sich einiges verändert, auch im Leben von Henry Rollins. Es scheint vor allem, dass er seine eigene Sterblichkeit eine größere Bedeutung für ihn gewonnen hat, natürlich in der ihm eigenen Weise: 117 Jahre sei er alt, nur 4 Monate jünger als Joe Biden. Spätetens im September sei sein Leben vorüber, sagt der tatsächlich 62-jährige ohne erkennbares Augenzwinkern voraus.

Kein Auge trocken

Ein Großteil des Abends nehmen aber zwei längere Geschichten ein, die in Rollins-typischer, sprachlich kreativer und wortgewaltiger Weise vorträgt. Zum einen starben sein Stiefvater und seine Mutter, zum anderen wurde er in seinem Haus in Los Angeles Opfer eines Stalkers bzw. Einbrechers, der sein Leben ziemlich auf den Kopf stellte.

Wer nun glaubt, die Show habe einen nachdenklichen, introspektiven Charakter angenommen, irrt. Rollins präsentiert die Erlebnisse mit seiner gewohnten schnellfeuernden, keine Auge trocken lassenden Energie – und ohne jede Nachdenklichkeit und Melancholie.

Ein absurdes Ende

Seine verstorbene Mutter charakterisiert er wenig schmeichelhaft als hysterisch, überdreht und gänzlich überfordert, so dass sie eher einer Karrikatur denn einer realen Person gleicht. Viel Kontakt hatten sie in den letzten Jahren nicht, so dass er nicht einmal an ihrer Beerdigung teilnahm – anders als sein lebenslanger Freund Ian MacKaye von Fugazi.

Dieser berichtet ihm Monate später von der Farce, die sich bei ihrer Bestattung abspielte. Zum Verstreuen der Asche seiner Mutter im Rock Creek Park in Washington D.C. hatten Rollins' Stiefgeschwister eigens biologisch abbaubare Säckchen erworben, in die sie die Asche gefüllt hatten. 

Als sie die Asche in den Rock Creek streuen wollten, stürzten sich Enten auf die weißen Säckchen und verspeisten sie, während die entsetzten Trauergäste sie davon abhalten wollen. Die Absurdität der menschlichen Existenz wurde selten besser illustriert als in dieser Geschichte, die den Saal mit brüllendem Gelächter füllt. 

Der Feind in meinem Haus

Deutlich länger ist die Geschichte eines finnischen Stalkers, der Henry Rollins in seinem Haus in Los Angeles mitten in der Nacht aufsucht und später sogar in sein Haus einbricht. Der junge, offensichtlich geistesgestörte Mann entgeht nur durch Abschiebung und Einreiseverbot einer mehr als zehnjährigen Haftstrafe.

Es gibt Besucher, die diese Geschichte als langatmig empfanden. Sie hat aber ihren Platz in Rollins' Werk, knüpft sie doch an seine Fähigkeit an, relativ kurze Begebenheiten mit jeder Menge Twists und Turns zu verbinden und aus ihr abendfüllende Unterhaltung zu machen. Man denke nur an "Eric, The Pilot".

Persönlicher, auf Umwegen

Abgesehen davon gibt es viel von dem, was Rollins schon immer auszeichnet. Kluge Beobachtungen, tiefe Einsichten in die menschliche Existenz, die ungebrochene Beschwörung der Menschlichkeit und die Hoffnung, das Jahrhundert werde besser enden, als es angefangen hat.

Jedenfalls erhalten die Zuschauer bei allem Humor Einblicke in Henry Rollins komplexe Persönlichkeit, einschließlich seiner Ängste. Die Geschichte mit dem Stalker aus Finnland hat jedenfalls eine große Veränderung bewirkt. Henry Rollins hat Los Angeles verlassen und lebt jetzt in Nashville, TN.

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