Henry Rollins (Pressebild, 2018)

Henry Rollins (Pressebild, 2018) © Ross Halfin

Man muss Rita wirklich sehr dankbar sein. Viele verdanken ihr sehr viel, nämlich grandiose Unterhaltung irgendwo zwischen Tränen und Lachmuskelkater, gute Gedankenimpulse und die Erkenntnis, Teil von etwas Besonderem gewesen zu sein. Aber wer zum Teufel ist Rita?

Rita ist offenbar eine vielbeschäftigte Frau. Oder wie es Henry Rollins augenzwinkernd ausdrückt: "My long suffering travelling agent".

Wenn man von den Hummeln im Hintern ausgeht, die Rollins umtreiben, ist das wohl – wie so oft im Kosmos dieses Herrn – auch gar nicht besonders übertrieben. Man kann wohl sagen, dass die "leidgeprüfte Reisebürokauffrau" in Rollins Leben einen sehr wichtigen Anteil ausmacht.

Erzählen als Kunstform

Henry Rollins ist ein Phänomen, das nicht leicht in Worte zu fassen ist. Und das, obwohl das Wort – egal ob gesprochen, gesungen oder geschrieben – sein grundeigenes Element ist. Denn die Kunst, die der einstige Black-Flag-Frontmann und heutige Hans Dampf in allen Gassen inzwischen nahezu perfektioniert hat, ist hierzulande eher unbekannt: das Erzählen.

Rollins ist kein Comedian, er ist kein Reisejournalist, kein Polit-Agitator und kein Poetry-Slammer  – aber irgendwie halt doch. Momentan ist er unterwegs, um Urlaubsfotos zu zeigen. Nicht etwa Strandfotos oder Touri-Schnappschüsse. Denn egal, ob damals als Sänger im Moshpit überfüllter Clubs oder heute als Tourist – Henry Rollins ist immer mittendrin. Da, wo das Leben ist. Und oft auch da, wo es weh tut.

Bereits in früheren Programmen seiner Spoken Word-Touren waren seine ausführlichen  Reiseerzählungen stets ein Highlight. Inzwischen hat Rollins das Konzept ausgebaut und ein eigenes Programm daraus gemacht. Und was er früher mit Black Flag an Anarchie auf der Bühne zelebriert hat, ist auch in Wiesbadener Schlachthof Programm.

Nur scheinbar ohne roten Faden, aber mit viel Leidenschaft und Energie nimmt er seine Zuhörer mit auf eine Reise von der klirrenden Kälte Nowosibirsks in die Hitze der Sahara, in die Höhen Tibets und die Flusstäler des Niger in Mali.

Dauerfeuer

Alleine die Performance ist beeindruckend. Ganz in schwarz steht Rollins auf der Bühne, das Mikro dreimal um den muskulösen Arm gewickelt, und feuert seine Sätze in atemberaubender Geschwindigkeit ins Publikum – ruhig, betont, nicht aggressiv aber nonstop, über zwei Stunden lang. Zu jedem Foto gibt es nicht nur eine, sondern viele Geschichten plus noch viel mehr Abschweifungen, die allerdings nicht im Geringsten langweilig sind, sondern quasi das Salz in der Suppe.

So erfährt der geneigte (und konzentrierte) Zuhörer, wie sich Henry Rollins einmal zusammen mit Jello Biafra als Backgroundsänger von Nick Cave auf der Bühne wiederfand, sich Reisetipps von David Lee Roth holte oder wie das US-Militär ausgerechnet ihn, den Kriegsgegner, zu Auftritten rund um den Globus brachte.

Von Pinguinen und Flusspferden

Der Zuhörer hört außerdem von existentialistischen Pinguinen, von Kamelen im Konzertpublikum, lernt, dass die Tuareg die Hells Angels der Wüste sind und dass von Flusspferden gefressen zu werden eine wohl nicht ganz so ungewöhnliche Todesart ist, wie man als Mitteleuropäer denken mag. Doch, wie es Rollins ausdrückt: Lieber Tod durch Hippo mit 57 als mit 80 im Rollstuhl durch Pizza und Fernsehen.

Und einen roten Faden gibt es doch: Rollins leisen, oft subtilen Humor – keine Schenkelklopfer-Pointen, seine präzisen Beobachtungen und vor allem klare Botschaften: Wenn wir so weitermachen, dann bleibt bald nicht mehr viel übrig. Und dass Menschen überall auf der Welt gleich sind, egal ob in Phnom Penh, Damaskus oder Pjöngjang.

Licht und Schatten

Mit offenen Augen durch die Welt gehen ist Rollins Credo, obwohl nicht immer alles schön ist, was man sieht. Und so finden sich die Zuhörer auch in den Killing Fields von Kambodscha wieder, in den Slums von Kalkutta, in Panzerwracks auf dem Highway of Death in der irakischen Wüste oder in einem Hubschrauber über den Bergen Afghanistans, wo Schönheit dicht neben Grauen liegt. Und Menschen, Menschen, Menschen. Tote, lebendige, alte, junge.

In den Townships von Kapstadt treffen wir Kenny, der inzwischen an HIV verstorben ist. In New Orleans lernen wir Gayle kennen, dem Hurricane Katrina alles genommen hat. In Hanoi treffen wir Agent-Orange-Opfer, in den Müllkippen von Dhaka auf lachende Mädchen, die im Müll nach Nahrung suchen. Ein namenloser Bettler in Kalkutta, einen Soldaten an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Bilder die bleiben, die unter die Haut gehen, umso mehr, wenn man die Geschichte dahinter kennt.

Anfang zum Ende

Am Ende der Show steht ein Anfang: Ein altes Foto, vielmehr ein Schnappschuss in schwarz-weiß. Darauf zu sehen: Ein junger, kurz rasierter Mann, der mit irrem Blick in ein Mikro brüllt, links und rechts zwei ebenso wild agierende Gitarristen, ein Schlagzeug im Vordergrund. Für Henry Rollins ist dieses Foto ein besonderes. Es zeigt ihn bei seinem "Vorsingen" für Black Flag in New York.

Viele Jahre hat er diesen Augenblick nur im Kopf herumgetragen, ihn so oft erzählt, dass er es gar nicht glauben konnte, als Fotograf Spot ihm das Foto vor einiger Zeit schickte. Auch das Bild erzählt von einer Reise: Der eines 20-jährigen Eisverkäufers aus DC, der die Chance seines Lebens bekommt, in seiner Lieblingsband zu singen. Eine Reise, die ihn letztendlich auch nach Wiesbaden gebracht hat, wo er nun anderen Menschen von seinen Eindrücken berichten, sie zum Lachen und manchmal auch zum Weinen bringen kann. Ein guter Job eigentlich.

Fazit Nummer eins: Reisebilder anzuschauen kann also durchaus Spaß machen. Zumindest wenn derjenige, der sie gemacht hat, Henry Rollins heißt.  Und das zweite Fazit: Man sollte eben reisen, so lange es geht. Das freut sicher auch Rita.

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