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Sam Ryder (Live beim SWR3 New Pop Festival 2022) © Erik Winkes

Selten war die Anzahl an großen Stimmen beim SWR3 New Pop Festival so dicht wie 2022. Bis auf eine fragwürdige Show und einen noch unerfahrenen Newcomer haben alle Künstler und Künstlerinnen bombastisch abgeliefert.

"Zurück zum Ursprung" könnte das Motto des SWR3 New Pop Festival 2022 lauten. Nach der Pandemieausgabe 2021 stehen alle wieder eng beieinander, das Theater ist wieder offen und auch die Partynächte sind wieder da. 

Neu ist nur die Nutzung der Konzertmuschel am Kurhaus. Diese dient erstmals als Open Stage für Interviews und die freien Konzerte wie etwa der gefeierte Auftritt von Sophie Scott, der Sängerin von Sophie & The Giants. Das gibt dem Gelände vor dem Kurhaus mehr Raum, da die Sonderbühne nun nicht mehr im Weg steht. Definitiv eine Verbesserung.

ClockClock startet mit Enthusiasmus

Für den jungen Musiker aus der Pfalz wird ein Traum wahr: ClockClock darf das SWR3 New Pop Festival 2022 eröffnen. Die Aufregung darüber wie auch über die bevorstehende erste Tour 2023 merkt man ihm deutlich an. Er braucht ein paar Songs, um voll in Fahrt zu kommen.

Dabei hilft ihm der eingängige Song "Brooklyn". Der Elektro-Dance-Hit des Musikprojekts Glockenbach hat es 2022 zum internationalen Erfolgshit gebracht mit ClockClock als Stimme zum Sound. Das Publikum geht diesen Song voller Leidenschaft mit.  

Sein Talent zeigt sich in den dramatischen Songs, wenn sich der ganze Sound um seine Stimme herum aufbaut. So verpackt er seine tief dröhnende Stimme in eine fesselnde Dramatik, während von hinten der Keyboardsound diese Stimmung untermalt und verstärkt.

Dennoch erkennt man phasenweise, dass ClockClock samt Band noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen. Sie packen das Publikum immer mal wieder, aber zwischendurch bricht diese Verbindung auch ab. Mit "Sorry", dessen eingängige Melodie seit Monaten durch das Radio läuft, entfacht er gegen Ende nochmal den vollen Enthusiasmus des Publikums. Es ist der meist gefeierte Song des Konzerts. 

Soul Deluxe von Joy Crookes

Joy Crookes erzeugt im Theater vom ersten bis zum letzten Song eine prickelnde Atmosphäre, die jeden Zuschauer erfasst und mittanzen lässt – ob er will oder nicht. Denn Joy Crookes will das Publikum in Bewegung sehen, das macht sie direkt am Anfang klar. Ob mit dem Funky Groove von "Wild Jasmine" oder bei den großen Soul-Balladen, die an die legendären Jazz-Clubs alter Tage erinnern, Joy Crookes entfacht mit ihrer gleichermaßen gefühlvollen wie kraftvollen Stimme ein Feuerwerk. 

Auch an der Gitarre glänzt sie gemeinsam mit ihrer spielfreudigen Band. Der elektrisierende Sound von "Poison" geht durch den ganzen Körper und bei "Don't Let Me Down" singt sie mit dem begeisterten Publikum und scherzt: "It sounds good with the German accent".

Nach dem tanzbaren Disco-Soul folgt am Ende ihr großer Hit "When You Were Mine". Das ganze Publikum rastet aus, steht auf den Rängen und klatscht Standing Ovations. Trotz der verweigerten Zugabe ein Highlight des New Pop Festivals. 

Teenieschwarm Myle überzeugt 

Sunnyboy Myle steht vor allem bei den jungen Mädchen hoch im Kurs. Dabei hat er nicht nur ein charmantes Lächeln, sondern überzeugt auch mit seiner Musik. Mit Schmelz in der Stimme und rockigem Gitarrensound eröffnet er sein Konzert. Aber auch bei den Balladen zeigt er, dass er nicht nur gefühlvoll, sondern gerade in den hohen Tönen auch extrem kraftvoll singen kann.

Besonders heraus sticht dabei die dramatische Inszenierung von "Overkill", bei der er sein ganzes Stimmpotenzial in der hohen Tonlage entfaltet. Ganz persönlich ist der Song "That Other Boy", der von der neuen Beziehung seiner Ex-Freundin handelt. Am Ende begeistert er das Publikum mit seinem Hit "Not Ready" und hat das Kurhaus echt gut gerockt.

Stimmgranate Sam Ryder explodiert 

Als Sam Ryder in seinem Space-Anzug auf die Bühne kommt, ist der Jubel im Festspielhaus schon enorm. Bereits der erste Song "Tiny Riot" lässt die Stimmung explodieren und setzt ungebändigte Energie in seiner Stimme frei. Ein Gefühl wie ein Donnerschlag. Eine Halle mit Handylichtern illuminieren kann jeder. Sam Ryder jedoch steigert das nochmal. Er lässt die Zuschauer mit Handylichtern auf und ab hüpfen wie einen sich auf und ab bewegenden Pegelausschlag an einem Equalizer.

Mit rasantem Tempo schwingt sich Sam Ryder bei "Deep Blue Doubt" in eine stimmliche Höhe, die in der Kopfstimme explodiert. Selbst auf den Rängen stehen alle Zuschauer und toben vor Begeisterung. Diese Stimmkraft entfesselt er auch bei der sanften Ballade "All The Way Over" und dennoch ist es ein Gefühl wie ein elektrisierender Peitschenschlag. Die feine, fast gehauchte Phrasierung des ABBA-Hits "Waterloo" wird ebenso gefeiert wie die Sommerhymne "July".

Der ganze Saal bebt zu den Klängen von Sam Ryder, während er Gitarre spielt. Der krönende Abschluss ist sein ESC-Hit "Space Man". Damit beendet Sam Ryder unter tobendem Applaus eines der besten Konzerte aller Zeiten beim New Pop Festival.

Traurig schöner Soul von Lola Young

Eines der ersten Zitate von Lola Young zu ihrer Musik lautet: "If you want avoid to start crying, don't come to my show". Sie präsentiert dem Publikum von Gefühl geladenen Soul - und zeigt damit das emotionale Gegenteil zur eher leichteren Darbietung von Joy Crookes. Lola Young reißt sich beim Singen die Seele aus dem Leib und schont dabei weder sich noch ihr Publikum. Die Musik hat trotz der emotionalen Härte Rhythmus und Groove, so dass jeder Song ausgiebig beklatscht und gefeiert wird. 

Man kann sich nicht lösen von einem Song wie "After Midnight", denn das Drama ihrer durchdringenden Stimme kriecht einem förmlich unter die Haut. Auf die kurz aufflammende Fröhlichkeit des Songs "Dopamine" folgt ihre neue Single "Annabelle's House". Sie spielt den Song akustisch, allein am Piano.

Wie auch bei "So Sorry" packt sie ihr volles Stimmvolumen aus und entfacht eine weitere Urgewalt an diesem Tag. Mit ihrer Hitsingle "Fake", den sie selbst an der Gitarre begleitet, endet ein weiteres Highlight des Festivals. 

Moncrieff wirbelt wie ein Tornado

Jedes Jahr sticht ein Act besonders heraus, den man vorher nicht auf der Rechung hatte. In diesem Jahr ist das Moncrieff. Der irische Sänger entert die Bühne wie ein Tornado. Er tanzt und springt mit einem Energielevel herum, als ob er das Kurhaus gleich komplett abreißen wolle. Kein Problem mit einem Song wie "Serial Killer". Jeder spürt, dass Moncrieff einfach alles gibt auf der, wie er selbst sagt, größten Bühne, auf der er je spielen durfte.

Aber selbst er spricht über harte Themen wie Selbstmordgedanken und dass vor allem die Jungs lernen müssen, über solche Gefühle zu sprechen. Am Ende ballert er mit seiner ungezügelten Energie alles raus bei seinem Hit "Warm" und das Publikum feiert den Song frenetisch ab. Ein echt gelungenes Party-Konzert.

An Leony scheiden sich die Geister

Das Konzert mit der weitesten Spannweite an Meinungen ist die Show von Leony. Der sehr seichte Dance-Pop wird von vielen Zuschauern im Saal enthusiastisch abgefeiert. Wenn man ihre Musik als eben das akzeptiert und einfach nur den Kopf abschalten will, kann das sogar gehen.

Dennoch stehen hinter der Qualität ihrer Show gleich mehrere Fragezeichen. Muss man die Lautstärke etwa so aufdrehen, dass die Band das Gesangsmikro übertönt? Oder gewinnt man als Künstlerin an Profil, wenn man dermaßen viele Cover-Versionen spielt?

Fraglos gut präsentiert sie ihren Hit "Remedy", eine wirklich elektrisierende Dance-Nummer. Später gibt es vor allem für die Fans der 1980er Jahre schwer verdauliche Kost. Da sie in Zukunft eng mit Dieter Bohlen bei DSDS arbeiten wird, covert sie konsequent auch "Brother Louie" von Modern Talking.

Die piepsig klingende Highspeed-Version als Dance-Pop verleitet innerlich nur zu einem Wunsch: Bitte lass wie durch ein Wunder Thomas Anders auf der Bühne erscheinen und ihr das Mikro aus der Hand nehmen. Letztlich basiert ja auch ihr anderer Hit "Faded Love" auf der Melodie des Erfolgssongs "Dragosta Din Tei". Ob man so eine Art Konzert haben will oder nicht, kann jeder für sich selbst entscheiden.

Malik Harris als Alleinunterhalter

Die krasse Labertasche Malik Harris lässt sein Publikum von Anfang an allen Gedanken teilhaben. Er bindet sie ein in seine Musik, die er allein mit zwei Loop-Stations auf der Bühne vollführt. Heraus kommen energetische Rhythmen und rockige Gitarrenklänge. Es macht wirklich Spaß, diesem Vollblutmusiker zuzuhören. Besonders, wenn er mit seiner Akustik-Gitarre über die sphärischen Klänge der Basismelodie geht und so ordentlich Rhythmus in die Musik bringt.

Die emotionalste Atmosphäre entsteht bei "Faith", den er im Zuge der "Black Lives Matter" Bewegung geschrieben hat. Hier lässt er die Fans den Saal mit den Handys erleuchten. Positive Veränderungen in vielen Debatten haben "Time For Wonder" entstehen lassen. Am Ende feiert er mit seinem Publikum seinen ESC-Song "Rockstars". Dabei beweist er nicht nur seine Gesangsqualitäten, sondern auch seine Fähigkeiten im Rap-Part.  

Party-Granate Ray Dalton

Wie man richtig geil Party macht, zeigt beim zweiten Konzert im Festspielhaus Ray Dalton. Der energiegeladene Tanzbär rockt die Party schon mit dem ersten Hit "Can't Hold Us", den er einst mit Macklemore & Ryan Lewis aufgenommen hatte.

Genau so ballert er los bei seinem Hit "In My Bones", den er stimmgewaltig in den Saal donnert. Eine Wahnsinnspower als Sänger und Tänzer. Seinem Idol Amy Winehouse widmet er einen eigenen Song mit "Don't Make Me Miss You", eine gefühlvolle Ballade. Nur um sie dann mit "Valerie" noch einmal lebendig werden zu lassen.

Mit spielerischer Leichtigkeit sitzt er auch am Bühnenrand und lässt zu "Good Times, Hard Times" seine krachend durchdringende Stimme erklingen. Auch von einem frechen Break-Dancer lässt er sich nicht beirren und schiebt zu "Don't Worry" die nächste Partywelle an. Neu produziert hat er gerade mit Felix Jaehn das energetische Feuerwerk "Call It Love".

Dazu läuft er quer rein ins Publikum und begrüßt dabei seinen Kumpel Kelvin Jones. Am Ende drückt er mit "The Best Is Yet To Come" das Gaspedal nochmal voll durch, um als Zugabe ein zweites Mal "In My Bones" mit dem ausgeflippten Publikum abzufeiern. So geht Party.

Bow Anderson brilliert

Die junge Britin Bow Anderson ist das nächste Stimmwunder beim New Pop Festival 2022. Eine Stimmgranate mit Rhythmus und Power. Dazu fasziniert sie mit einer all umfassenden Körpersprache. Sie spricht nicht nur mit Armen und Händen, sondern ihr Gesicht zeigt eine aufreizend extrovertierte Mimik. Mit breitem Lächeln nimmt sie das Publikum für sich ein, um dann mit ihrer Powerstimme süßesten Popsound erklingen zu lassen. 

Oft angelehnt an den Sound der 1980er Jahre covert sie passend "Everybody Wants To Rule The World" von Tears For Fears. Sie singt es als ruhige Ballade, nur begleitet vom Keyboard, mit Inbrunst und einer Kraft, die tief von innen kommt. Ein Genuss wie auch der Song "Sweater", der laut Bow Anderson erste eigene Song "that makes sense for me".

Sie wechselt perfekt zwischen ausladender Balladenpower und tanzbaren Rhythmussongs hin und her, um am Ende mit ihrem Hit "20's" dem Publikum einen weiteren Ohrwurm einzupflanzen, der mit seiner eingängigen Melodie das Publikum mitreißt.        

Calum Scott als perfekter Abschluss

Der Brite Calum Scott schließt mit seinem charismatischen Auftritt das New Pop Festival 2022. Einfach wunderbare Musik zum Lauschen mit einer Stimme, die große Gefühle transportiert. Ob mit "Last Tears" oder "Boys In The Street", bei dem er offen über seine Homosexualität singt, er berührt das Publikum. Sie lauschen oft leise, um am Ende explosiv zu applaudieren. Wunderbar auch das Maroon 5 Cover "This Love". Es beginnt ganz langsam und innig, um dann explosiv das Tempo anzuziehen.

Abgefeiert wird natürlich die Dance-Hymne "Where Are You Now", die er mit dem belgischen DJ Lost Frequencies produziert hat. Calum Scott drückt stimmlich gewaltig durch auf die Tanzmelodie. Auch "Run With Me" bringt so ein gutes Gefühl auf, einfach die Augen schließen, lauschen und fühlen. Zum Abschluss gibt er mit seinem Hit "You Are The Reason" nochmal richtig Gas und lässt das Publikum dieses Konzert zum Höhepunkt treiben, bevor er Konzert und Festival mit "Dancing On My Own" beendet.  

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