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Jan Garbarek Group (live beim MaiJazz in Stavanger, 2019) © Andersen Øyvind

Jan Garbarek, John Scofield und Angélique Kidjo geben sich beim einwöchigen Jazz-Festival an der Westküste Norwegens die Klinke in die Hand. Das MaiJazz überzeugt mit freundlicher Club-Atmosphäre und hochkarätigem Programm.

Stavanger – gelegen an der Südwestküste Norwegens, mildes Klima, 130.000 Einwohner. In Europa war es lange die einzige Stadt dieser Größe mit einer direkten Flugverbindung nach Houston, Texas.

Das hat Gründe: aus den USA kam Ende der 1960er-Jahre das Know-how, um die gigantischen Ölvorkommen direkt vor der norwegischen Küste anzuzapfen.

Stavanger mit großen kulturellen Engagement

Folglich ist Stavanger gut betucht, das Kulturbudget ansehnlich. 2012 wurde ein eindrucksvolles neues Opernhaus mit zwei großen Sälen eröffnet.

Die Stadt leistet sich seit 1989 ein hochkarätig besetztes Jazzfestival, das seit einigen Jahren einwöchig im Frühjahr stattfindet: das MaiJazz. Die drei Haupt-Venues liegen nur wenige Minuten Fußmarsch von einander entfernt an einem See in der Stadtmitte.

Der Dienstag mit "Sco"

In einem der typischen weißen Holzhäuser ist das Kabaretttheater Stavangeren angesiedelt – dort tritt am Dienstagabend John Scofield mit seinem neuen Quartett Combo 66 auf. Der Gitarrist spielt seinen gewohnt bluesig-funkigen Jazz nun mit deutlich jüngeren US-Cracks wie Pianist Gerald Clayton.

Seit Jahrzehnten wird Scofield, genannt "Sco", dagegen von einer Ikone des funky Jazz-Drummings begleitet: Bill Stewart. Die vier brauchen ein wenig Einspielzeit, dann jedoch passt hier fast alles: die Grooves, die Soli, die Lässigkeit. Der immer ein wenig grimmig dreinschauende Leader ist in bestechender Form; die typischen Sco-Moves, bei denen er über die Seiten kratzt und Slide Guitar-ähnliche Effekte erzeugt, ohne je aus dem Takt zu fallen, sind zum Zungeschnalzen.

Erstaunlicherweise ist die 300er-Venue trotz Preisen von umgerechnet 40 Euro nicht ausverkauft – ein Schnäppchen in einem Land, in dem kein anständiges Bier weniger als acht Euro kostet.

Jazz pur – mit einer Ausnahme

Die besten internationalen und nationalen Jazz-Acts plus interessante Newcomer – das hat man sich beim Maijazz auf die Fahnen geschrieben. "Jemand wie Sting ist ein toller Musiker", sagt Festivalchef Hasse Andersen über die programmatische Fokussierung, "aber er passt nicht zu uns. Wir konzentrieren uns auf World und Jazz."

Auch R&B und Soul finden auf dem Festival kaum statt, sieht man einmal von dem energiegeladenen Auftritt der achtköpfigen Band der jungen Sängerin Sofie Tollefsbøl ab, die sich FIEH (ausgesprochen "Fia") nennt.

Ihr zackiger Funk hat genug Party-Elemente, um endlich auch jüngere Norweger in das zentral gelegene Folken zu ziehen. Ganz in orange gewandelt, begehrt sie mit ihrer Single "Glu" gegen die Bevormundung durch alte Säcke in der Musikindustrie auf: "All these old men can’t tell me what to do."

Jung und Alt

Obwohl die Stimmung überall gut ist, und niemand auf die Idee kommt, Künstlerinnen irgendetwas vorzuschreiben, ist der Altersdurchschnitt überall hoch. Das gilt auch beim feinen Konzert des Gitarristen Miles Okazaki, der vor gerade einmal 40 Zuschauern seine Solo-Versionen von Thelonious-Monk-Kompositionen zum Besten gibt: virtuos, anspruchsvoll, und aufs Angenehmste einlullend.

Ein vielversprechendes Talent, das auch das Potential hätte, ein jüngeres Publikum anzulocken, ist die norwegische Sängerin Hildegunn Gjedrem. Sie ist in diesem Jahr überall in der Stadt das Werbe-Gesicht des Festivals und rechtfertigt das mit einer überzeugenden Pop-Gospel-Jazz-Performance.

Norwegischer Jazz-Star im ausverkauften Opernhaus

Am Freitagabend dann das Highlight dieses perfekt organisierten Festivals: das seit Wochen ausverkaufte Konzert von Jan Garbarek im direkt am Hafen gelegenen Opernhaus. Der weltberühmte norwegische Saxophonist spielt seit einigen Jahren mit Keyboarder Rainer Brüninghaus und E-Bassist Yuri Daniel, nachdem Eberhard Weber aus gesundheitlichen Gründen seine Karriere beenden musste.

Der Star der Show aber ist einer, der im Untertitel mit "featuring" angekündigt wird: Trilok Gurtu. Der indische Multiperkussionsinstrumentalist macht mit seinem 360-Grad-Setup selbst die ödeste aller konzertanten Egospielereien zum Ereignis: das Schlagzeugsolo. Ob perkussiver Scat-Gesang, Trommeln mit Plastikrohren und Wassereimern oder Tabla-Soli – Gurtu ist ein Naturereignis.

Erwartete man zuvor sanfte Jazz-Esoterik, bekommt man bei Garbarek, nicht zuletzt dank des Drummers, mächtige Latin-Fusion-Sounds. Der einzige, der kein längeres Solo spielt, ist Jan Garbarek, doch ist sein Ton noch immer vertraut melancholisch und volksliedhaft. Eine soulige Zugabe beweist, wie sehr der Saxophonist in der Welt des Sixties-Rock verwurzelt ist: "Had to Cry Today" von Eric Claptons Band Blind Faith.

Jazz mit afrikanischem Einfluss

Tags darauf bringt eine Frau aus Benin den zweiten Saal des Stavanger Konserthus zum Kochen: Angélique Kidjo. Die seit langem in New York City lebende Sängerin covert Talking Heads-Songs, singt aber auch in afrikanischen Idiomen. Ihre vierköpfige Band, aus der der Conga-Spieler Magatte Sow herausragt, reichert ihren World-, Jazz- und Latin-Sound mit flirrenden Afrobeat-Rhythmen an.

Vor der Zugabe kommandiert die 58jährige Kidjo, die die Beweglichkeit einer deutlich jüngeren Frau hat, dutzende Zuschauer auf die Bühne zum Tanzen. So viel Ekstase erleben introvertierte Norweger nicht alle Tage.

Historische Orte um Stavanger als Konzertkulisse

Den vielleicht schönsten Moment des Maijazz bietet dagegen ein Konzert der sehr viel leiseren Art. Torun Eriksen spielt an drei Tagen hintereinander Kleinst-Konzerte an historischen Orten rund um Stavanger. Am verregneten Mittwochabend des Festivals tritt die südnorwegische Sängerin im Wohnhaus eines 200 Jahre alten Leuchtturms auf, mit 360 Grad-Rundumblick auf das Meer.

Einziger Begleiter ist Eriksens langjähriger Weggefährte Kjetil Dalland, der dank seiner Künste an E-Bass und dem Gitarre-ähnlichen Mini-Bass keine weiteren Instrumente vermissen lässt. Er bildet den perfekten Kontrapunkt zu Eriksens hoher, glasklarer Stimme und ihren tiefschürfenden Songs, die nie gefühlig oder gar kitschig werden. Kaum ist der letzte Ton verklungen, reißen draußen die Wolken auf, und geben den ersehnten Sonnenuntergang frei.

Natur und Jazz – das passt einfach zusammen an Norwegens Südwestküste.