Das Gelände des Kunst!Rasens ist herrlich gelegen. Nach einem kurzen Spaziergang durch die Rheinauen gelangt man zum Konzertgelände. Je näher man dem Eingang kommt, desto häufiger sieht man Gestalten in Schwarz in die gleiche Richtung steuern und wird daran erinnert, dass die Ruhe der weitläufigen Parkanlage bald von elektrischen Gitarren durchdrungen sein wird.

Das Gelände ist weitläufig genug, so dass es nie zu Gedränge und Wartezeiten kommt – außer vielleicht am Bierstand. Auch das Wetter spielt mit und die grauen Wolken am Himmel verziehen sich pünktlich zum Beginn der ersten Band, Haken.

Nicht zuviele Haken schlagen

Die UK-Band zeigt technisches Können und ein vielfältiges Repertoire. Von allen Bands des Abends sind sie die progressivste, besonders fallen die vielen abrupten stilistischen Wechsel auf, die die Band gelegentlich einbaut, ganz ähnlich wie es die Headliner Dream Theater gerne tun.

So bricht ein fuchsiges Gitarrenriff manchmal plötzlich in einen Jazz-Tonfall weg, auch ein operettenhafter Tonfall wird manchmal angeschlagen. Besonders bemerkenswert sind übergangslose A-capella-Passagen mit mindestens vier Bandmitgliedern. Besonders Leadsänger Ross Jennings weiß, was er tut. Doch sein Mikro ist ziemlich leise und seine Anteile recht gering gehalten, so dass er manchmal eher als bewegliche Bühnendeko fungiert.

Der Auftritt von Haken zeigt aber, dass technische Finesse, fortschrittliches Songwriting und eine saubere Performance nicht immer ausreichen. Die Songs von Haken verheddern sich manchmal in sich selbst und kommen nicht auf den Punkt. Daher gelingt es ihnen nicht besonders gut, das Publikum anzuheizen.

Devin Townsend versucht, das Publikum aufzulockern

Das Devin Townsend Project unternimmt einen neuen Versuch, das Publikum zu mobilisieren. Ihre Musik fällt etwas geradliniger aus und bietet Headbanger-Passagen mit durchgeknattertem Double-Bass, die aber meist vom Publikum nicht wahrgenommen werden. Stilistisch gehen einige Passagen in Richtung Disturbed, auch wegen Townsends charakteristischen rauen Gesang. Daneben kann der Sänger aber auch beeindruckend klar singen, klassisch fast, mit stark aufwallendem Tremolo.

Um das Publikum für sich zu gewinnen, setzt Devin Townsend zudem auf einen saloppen Tonfall, ständige Witzchen und Sprüche und eine durchlaufende Bildershow mit kurios bearbeiteten Bildern auf der LED-Wand. Die sorgen für den ein oder anderen Lacher, manche Witze wirken aber zu einstudiert, um wirklich authentisch lustig zu sein. Warum auch hier das Publikum noch nicht recht in Wallungen kommt, erfasst er selbst recht schnell: "Seid ihr alle für Dream Theater hier?" Die Menge wartet eben auf den Headliner.

Dream Theater legen kraftvoll los

Dream Theater steigen ein, wie man es erwartet. Nach einem Intro vom Band, während dem eine Videosequenz aller Albumtitel abläuft, geht es fulminant mit dem Song "Afterlife" vom ersten Album los. Gar nicht zum Gesamteindruck will aber der Einsatz von Sänger James LaBrie passen, der mit der hohen Stimmlage des Songs offenbar Schwierigkeiten hat. Seiner Stimme scheint etwas zu fehlen.

Beim ersten Solo von John Petrucci ist das aber wieder vergessen. Hier gilt, was sich insgesamt über die Performance der Instrumentalisten an dem Abend sagen lässt. Sie sind eine Band von Ausnahmemusikern und entsprechend souverän präsentieren sie ihre Songs auch live. Dream Theater spielen gelassen, technisch einwandfrei und routiniert aufeinander eingestimmt. Davon ist das Publikum zu Recht begeistert.

Wer noch nie bei einem Dream Theater-Konzert war, bemerkt schon beim zweiten Song, dass es sich hier nicht um ein typisches Metalkonzert handelt. Die Zuschauer gehen nicht über verhaltenes Mitfeiern hinaus, sondern viele sind offenbar vor allem zum Zuhören gekommen. Progressive ist die Kammermusik des Heavy Metal. Viele im Publikum schauen und hören aufmerksam zu, es wird kaum gepogt, mitgegrölt oder die Haarpracht geschüttelt. Oder liegt es daran, dass es Dream Theater nicht gelungen ist, ihre Zuschauer abzuholen und mitzureißen?

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Ein etwas lebloses Konzert

Die musikalisch saubere Performance klingt klinisch präzise, so als käme es direkt von der Platte – aber auch nicht mehr. Auch die Bühnenpräsenz der Band hält sich in Grenzen, die Musiker bewegen sich anscheinend kaum mehr als nötig, niemand interagiert mit dem Publikum und auch die Soli, vor denen die meisten Musiker vermutlich den Hut ziehen müssten, kommen und gehen relativ freudlos.

Das überragende Basssolo in "Metropolis Pt.1" weht kurz vorbei und wenn die Fans das mit Jubel honorieren, scheint Bassist John Myung es kaum zu bemerken. Keyboarder Jordan Rudess erscheint einmal im Verlauf des Konzerts mit seiner Keytar am vorderen Bühnenrand, um sich feiern zu lassen, doch das bleibt die einzige wirkliche Form einer Bühneneinlage.

Krankheit als limitierender Faktor

Das ist etwas wenig, wenn man bedenkt, dass Dream Theater eigentlich auf 30-jähriger Jubiläumstour unterwegs sind. Den Grund für das alles offenbart James LaBrie nach dem zweiten Song: "Ich fühle mich beschissen", erzählt er dem Publikum, "aber ich werde trotzdem 150 Prozent geben." Auch wenn das die Fans begrüßen, kann seine Stimme nicht verbergen, dass er angeschlagen ist.

Aufgrund des Jubiläums haben sie die Setlist so angelegt, dass sie einen Song von jedem ihrer 13 Alben spielen wollen. Das freut das Publikum sehr, denn so gibt es Abwechslung und es ist für Fans jeder Generation etwas dabei. Zudem kündigen sie auf dem Konzert auch ein neues Album Anfang 2016 an, inklusive einer Deutschlandtour. Die Fans sind ob dieser Nachricht erwartungsgemäß aus dem Häuschen.

Der Höhepunkt kommt spät

LaBrie hält sein Versprechen und gibt alles, was er hat. So schafft er es sogar, beim Piano-solo-begleiteten Anfang der Ballade "The Spirit Carries On“ die nötige Emotionalität zu vermitteln. Beim 8. Song "As I Am" kommen Band und Publikum dann doch langsam auf Touren. Auch bei "Panic Attack" bleibt das Tempo hoch, der Song ist an sich schon ein Anheizer mit schnellen Rhythmen und sangbaren Melodien und erlaubt es LaBrie, seine James Hetfield-Seite zu präsentieren.

"Wither" drückt als retardierendes Moment noch einmal auf die Tränendrüse, bevor mit "Bridge In The Sky" der letzte Song des regulären Programms ins Haus steht. Danach verabschiedet sich die Band zum ersten Mal. Wer mitgezählt hat, kommt auf 12 Songs, was bedeutet, dass noch einer fehlt.

Als Nummer 13 spielen Dream Theater in der Zugabe "Behind The Veil". Dabei trägt Rudess seinen Tastenhexer-Hut und man denkt, dass jetzt nochmal ein bisschen aufgedreht wird, schließlich ist es noch früh. Um 21:45 fordert das Publikum eine zweite Zugabe, aber Dream Theater haben keine mehr in petto. Nach den angekündigten 13 Songs endet das Konzert nach weniger als dreieinhalb Stunden inklusive der Vorbands.

Etwas unspektakulär

Obwohl die Performance insgesamt technisch sehr gut ist und die Setlist schönen Abwechslungsreichtum zwischen Tempo, Melancholie und Virtuosentum bietet, bleiben doch einige Kritikpunkte. Die Show wirkt insgesamt etwas kühl. Vielleicht hat die gemischte Setlist auch den Nachteil, dass ein stringenter roter Faden fehlt. Einige Klassiker und Mitsing-Nummern wie "Pull Me Under", "Forsaken" oder "Outcry" hätten der Stimmung sicher gut getan.

Insbesondere der sehr antiklimatische Schluss stört einige Fans, denn das Konzert fällt doch sehr kurz aus. Die Krankheit von James LaBrie erklärt das, bedauerlich ist es dennoch. So konnten Dream Theater nicht das außergewöhnliche Erlebnis bieten, das man sich von einer Band dieses Ranges erhofft.

Setlist Dream Theater

Afterlife / Metropolis Pt.1 / Caught In A Web / Change Of Seasons (Auszüge)/ Burning my Soul / The Spirit Carries On / About to Crash / As I Am / Panic Attack / Constant Motion / Wither / Bridge in the Sky / Behind the Veil

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