Bruce Springsteen & The E Street Band (Live in Hockenheim 2023) © Rudi Brand
Die äußeren Bedingungen für das atemberaubend riesige Konzert von Bruce Springsteen und seiner E Street Band am Hockenheimring könnten nicht besser sein. Es ist trocken, nach einem Schauer am Nachmittag auch sonnig und angenehm warm, aber nicht zu heiß.
Im Motodrom funktioniert die Organisation einwandfrei, soweit sich das überblicken lässt – die Verkehrssituation haben wir gesondert behandelt. Hier soll es ab sofort um das eigentliche Konzert gehen. Das punktet übrigens – keine Selbstverständlichkeit am Hockenheimring – mit exzellentem Sound.
Wahnsinnige Konstanz
Vieles an diesem Abend wird in Erinnerung bleiben, beispielsweise die wahnsinnige Konstanz des knapp dreistündigen Konzerts. Es gibt eigentlich keine Schwachpunkte, kaum Überflüssiges. Dass der inzwischen 73-jährige Springsteen nicht mehr dreieinhalb Stunden spielt, sondern zweidreiviertel, ist in diesem Zusammenhang vielleicht ein Segen.
Und vielleicht ist es ebenso ein Segen, dass Springsteen auf dieser Tour keine Fanwünsche annimmt. Das hat auf der letzten Tour nicht immer optimal funktioniert – und wer ganz dringend den eigenen Lieblingssong hören muss, sollte vielleicht besser zu Hause bleiben und die Bootlegs von der 78er-Tour hören.
Eindrucksvolle Stimmung
Natürlich gibt es sie dennoch: die Schilder – und viel schöner: die Gesänge und die "Bruuuuuuce"-Rufe. Die Besucher haben jede Menge gute Laune mitgebracht und verausgaben sich teilweise völlig im Mitsingen, Tanzen, Hüpfen und Mitklatschten. In der zweiten Hälfte des Konzerts stehen auch auf den Tribünen die meisten Fans. Es herrscht eine eindrucksvoll harmonische Stimmung.
So viel positive Energie kann nur ein Konzert freisetzen – und Bruce Springsteen ist einer der wenigen Künstler, dessen Musik für Konzerte dieser Dimension wie gemacht ist. So viele mitreißende Hymnen hat kein anderer Musiker der Gegenwart zu verantworten.
Dazu ist Springsteen natürlich der geborene Frontmann. Besonders in der ersten Hälfte ist er fast ständig vor der Bühne unterwegs, klatscht Fans ab, unterschreibt Devotionalien und sorgt dafür, dass wirklich jeder voll dabei ist. Dabei wirkt er wie ein weitaus jüngerer Mann, so viel Energie und Lebensfreude versprüht er. Seine Stimme klingt klar und ausdrucksstark. Auch hier gibt es nichts zu meckern.
Starker Auftakt
Im Grunde signalisiert schon "No Surrender", dass es ein nahezu perfekter Abend werden wird. Die trotzige Botschaft des Songs erschallt über das weite Gelände – und alle wissen, dass sie solche Momente nur bei Springsteen erleben können.
Es geht stark weiter mit "Ghosts" und vor allem "Prove It All Night", das mit unbändiger Energie die Massen zum Ausrasten bringt. Die schelmische Jugendhymne "Darlington County" zaubert nach all diesen Jahren den Zuschauern ein Lächeln auf das Gesicht, bevor die E Street Band mit "Kitty's Back" in ihre Frühzeit zurückkehrt.
Überragende Musiker
Auf dem leider hierzulande immer noch zu wenig bekannten Album "The Wild, The Innocent and the E Street Shuffle" experimentierte Springsteen mit jazzigen Arrangements wie Van Morrison auf "Astral Weeks". Der Song ist also die ideale Gelegenheit für die E Street Band mit einigen verrückt-kreativen Soli ihre Klasse zu demonstrieren.
Springsteen ist ein großartiger Künstler, aber seine Kollegen von der E Street Band stehen ihm in nichts nach. Während der Boss einige überraschend wilde Gitarrensoli spielt, sorgt Max Weinberg für den unablässigen Beat, der die Musik vorwärts treibt. Mit Roy Bittan verfügt die Band über einen gänzlich unersetzlichen Pianisten, der oft zentral für den Sound ist.
Dazu kommt die unerreichte Gitarrenpower von Steven van Zandt und Nils Lofgren und die Energie, welche die Bläser, allen voran Jake Clemons, freisetzen.
Die eigene Sterblichkeit
Im fortgeschrittenen Alter tritt das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit naturgemäß stärker hervor. Daher geht Springsteen in einer langen Vorrede zu "Last Man Standing" darauf ein, dass er der letzte Überlebende seiner allerersten Band ist – eben der last man standing. Den Rückblick auf goldene Zeiten hat Springsteen aber auch schon vor vierzig Jahren in "Glory Days" gewagt, da war er gerade Mitte dreißig!
Der Song signalisiert aber nur ein kurzes Atemholen, bevor "Because The Night" den langen finalen Teil der Party einläutet. Das simple, aber effektive Lied bringt den Hockenheimring förmlich zum Beben. Das Lied, häufig als Coverversion von Patti Smith bezeichnet, ist im Übrigen ein Springsteen-Song, den Patti Smith zu dem weltweit populären Hit formte.
Der krönende Abschluss
Es ist kaum möglich, alle Höhepunkt zu behandeln, aber der Abschluss des regulären Sets mit dem (erneut) hymnischen "The Rising", dem durchpowernden "Badlands" und seinem vielleicht besten Song "Thunder Road" gelingt überwältigend gut.
Die Zugabe hält das Niveau mit einigen seiner größten Hits wie "Born To Run" und einem Viererblock mit Songs von "Born In The U.S.A." – ohne den Titeltrack, dafür mit einem kleinen Comedy-Skit über die "Viagra taking E Street Band".
Zum Abschluss bietet Tenth Avenue Freeze-Out Gelegenheit, die aktuelle Besetzung vorzustellen und alte Helden zu ehren. Und wie so oft folgt darauf noch eine zweite akustische Zugabe in Form von "I'll See You In My Dreams", das das Thema der Sterblichkeit wieder aufgreift.
Es ist der leise Abschied eines durchweg großartigen Abends, der alle Anwesenden begeistert in die Nacht entlässt.
