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M83 (Live beim Maifeld Derby, 2023) © Rudi Brand

Das Maifeld Derby 2023 präsentiert sich internationaler und stilistisch vielseitiger als je zuvor, ohne dabei seine Stärken zu vernachlässigen. Mit sehenswerten Auftritten von so unterschiedlichen Acts wie Sevdaliza, Surf Curse, Death Grips, Loyle Carner, Phoenix und Interpol sorgt es für ein ebenso anregendes wie entspanntes dreitägiges Festivalerlebnis. 

Von der Sonne verwöhnt zeigt sich das Maifeld Derby an allen drei Tagen. Insbesondere am Freitag und Samstag wird es trotz Dauer-Sonnenschein nicht zu heiß, so dass dem Festivalgenuss nichts im Wege steht.

Am Festivalgelände hat sich wenig geändert. Im Programmheft verspricht Organisator Timo Kumpf größere Veränderungen für das nächste Jahr, aber 2023 wirkt alles noch angenehm vertraut.

Weltumspannend

In musikalischer Hinsicht bietet das Maifeld Derby die gewohnt große Bandbreite, ist dabei aber noch internationaler, man könnte sogar sagen, weltumspannender geworden. Ein Beispiel dafür ist die israelische Musikerin Sevdaliza. 

Sie ist vor allem für ihren ätherischen Art Pop bekannt; zeigt während ihres Auftrittes im Palastzelt jedoch auch ihre lautere Seite: Mitten im Set verlassen ihre Musiker die Bühne, und Sevdaliza spielt ein Breakbeat-lastiges DJ-Set, nur um den Auftritt dann mit zwei weiteren "normalen" Songs zu beenden: Eine Absage an stilistische Kohärenz, die erstaunlich gut funktioniert, und auch vom Publikum begeistert aufgenommen wird. 

Von Indie-Rock bis hartem Hip-Hop

Kurz danach sorgen Surf Curse auf der Fackelbühne für wohlige Erinnerung an die großen Zeiten des US-Indie-Rocks in den 90ern und 00er-Jahren. Mit welcher Wollust die Band aus Reno, Nevada sich durch ihr kurzweiliges Set spielt, ist ein echtes Vergnügen. Anklänge an legendäre Bands wie Modest Mouse und Dinosaur Jr. kombiniert die Band mit augenzwinkerndem Humor und jeder Menge Leidenschaft.

Ganz andere Akzente setzt anschließend das experimentelle Hip-Hop-Trio Death Grips: Die Setlist konzentriert sich vor allem auf Material ihres Hit-Albums "No Love Deep Web", und auch, wenn der Auftritt unter einem recht undifferenzierten Sound leidet, schaffen Death Grips es mühelos, die manische Energie ihrer Studio-Aufnahmen live zu transportieren. Eines der freitäglichen Highlights, obwohl die Härte nicht jedermanns Sache ist.

Entdeckungen im Parcours

Auch in diesem Jahr ist der Parcours d’Amours wieder der Ort für neue Entdeckungen: Während am Freitag die schwedische Künstlerin Fagelle wohl eines der noisigsten Sets des Festivals spielt, bei dem sich atmosphärische Gitarrenparts und Björk-eske Vocals mit verzerrten Beats die Waage halten, umarmen Leya am Samstag die Stille.

Über die ruhigen, immer leicht dissonanten Klänge von Harfe und Geige schwebt die so expressive wie verletzliche Stimme von Sänger Adam Markiewicz und schafft so eine einzigartige, entrückte Atmosphäre.

Zwei Arten des Tanzens

Besonders schön ist es auf dem Maifeld Derby, wenn man die Musik bei angenehmen Temperaturen im Freien genießen kann. Noch schöner ist es, wenn die Musik die sommerlichen Vibes aufgreift, wie die von Sinkane. Die Musik des sudanesisch-amerikanischen Künstlers erinnert stark an eine entspannte Version von Sly and the Family Stone und lädt zum Tanzen und mitgehen ein.

Auch die Viagra Boys bringen das Publikum auf der Open-Air-Bühne in Bewegung, wenngleich auf gänzlich andere Weise. Statt Soul, Funk und Pop bieten sie energiegeladenen Post-Punk, der häufig stark an The Clash erinnert. Obwohl sich die Ideen der Gruppe recht schnell erschöpfen, ist es schwer, nicht von der ungezügelten Energie und der fast zirkushaften Bühnenpräsenz der Schweden mitgerissen zu werden.

Glanz im Palast

Mitreißend ist auch Loyle Carner, wenngleich wiederum auf andere Art. Wenige Hip-Hop-Acts der Gegenwart sind musikalisch so spannend und vielseitig wie der Engländer. Der Auftritt ist dermaßen überzeugend, dass Carner sogar selbst überrascht ist. "Ich glaube, das ist die beste Version des Songs, die wir jemals gespielt haben", entfährt es ihm. 

Warpaint genießen auf der Fackelbühne ebenfalls großen Zuspruch. Der Move in Richtung fast unverschämt eingängigen Dream-Pop hat sich für die Band ausgezahlt. Wer sich noch an das noisige Debütalbum erinnert, mag der Energie früherer Tage eine kleine Träne nachweinen. Die meisten Fans scheinen aber mit dem neuen Stil gut klarzukommen.

Gute Laune aus Frankreich

Die französische Indie-Band Phoenix startet ihr Set mit "Liztomania", einem ihrer größten Hits – und sorgt somit direkt für gute Stimmung im Palastzelt. Auch sonst überzeugt die Band mit einem stimmungsvollen und energiegeladenen Auftritt sowie einer aufwändig gestalteten Bühnenshow.

Zwischendurch zückt Frontmann Thomas Mars ein Fernglas und lässt seinen Blick durch das Publikum schweifen. Das Bild, das das Glas erfasst, wird groß auf die Leinwand hinter der Band projiziert und lässt das Publikum so zum Teil der Show werden.

Am Ende wird Mars dann auch selbst zum Teil des Publikums. Immer noch singend taucht er in der Menge unter und in der Mitte des Zeltes wieder auf. Der Sänger balanciert auf den Händen seiner Fans, und crowdsurft dann – etwas besorgt dreinschauend – zurück zur Bühne um sich dort mit den anderen Bandmitgliedern von den Zuschauern zu verabschieden. 

Eskalation zu später Stunde

Als eine der letzten Bands im Hüttenzelt sorgen Pisse trotz fortgeschrittener Stunde noch einmal für ein bisschen Eskalation: Mit einer Setlist, die sich vor allem auf ihr 2020 erschienenes Album “LP” konzentriert, rumpelt die Band ihre Synthie-lastigen Songs herunter, ohne dem Publikum eine Möglichkeit zum Verschnaufen zu lassen. Ob "U.N.I.T.Y", "Komfortzone" oder "Vernissage" – die Hit-Dichte des Sets ist bis zum Ende hoch, und die Energie reißt auch in der Zugabe nicht ab. 

Überraschungen und Rückkehrer

Am Sonntag steht dann nochmal der Endspurt an, wobei viele natürlich dem Auftritt von Interpol, dem letzten Headliner, entgegenfiebern. M83 waren einmal eine sehr langweilige Live-Band, aber die Zeiten haben sich geändert. Ihre vornehmlich, aber nicht ausschließliche instrumentale Musik muss man wohl als "atmosphärisch dicht" bezeichnen, so sehr wogt sie über die Zuschauer im Palastzelt hinweg. 

Dem belgisch-ägyptischen Sänger Tamino gelang es bereits 2018, das Mannheimer Publikum zu begeistern – damals auf dem Parcour d’amour. Dieses Jahr steht er in Begleitung vier weiterer Musiker an Cello, Keyboard, Bass und Schlagzeug auf der Open-Air-Bühne. 

Zwischen Folk, Weltmusik und Pop

Tamino selbst wechselt während seines Sets zwischen Oud, elektrischer und akustischer Gitarre. Insgesamt bewegt er sich mit seiner Musik zwischen Pop, Indie-Rock, Weltmusik und Folk und überzeugt mit chiffrierten, metaphorisch aufgeladenen Texten. Besonders sind zudem die arabesken Einflüsse sowie gewisse melancholische Klänge, die sich durch alle seine Songs ziehen. 

Im Fokus des Auftrittes steht Taminos 2022 erschienenes Album “Sahar”. So performt er etwa die Songs "You Don’t Own Me", "Sunflower" und "Fascination". Aber auch sein 2017 erschienenes Debütalbum, mit dem Tamino sein Durchbruch gelang, ist mit "Cigar", "Indigo Night" und "Habibi" vertreten. Besonders bei “Habibi” überzeugt Tamino mit einer enormen stimmlichen Bandbreite und sorgt damit für einen beeindruckenden Abschluss.

Das große Finale

Schließlich gipfelt das Festival in dem Auftritt von Interpol, die mit ihrem fast neunzigminütigen Set einen Querschnitt der Musik ihrer gesamten Karriere, mit deutlichem Fokus auf die ersten beiden Alben bieten. Damit ist auch das Problem der Band benannt: An die Klasse dieser Songs konnten sie in den folgenden Jahrzehnten nur punktuell anknüpfen.

Neben ihren großen Hits wie "Evil", "Obstacle 1" und "Slow Hands" schleicht sich etwas überraschend auch "Leif Erikson" in die Setlist. Die Show insgesamt ist ordentlich, aber nicht überragend. Paul Banks ist – aus welchen Gründen auch immer – nicht der allerbeste Live-Sänger, da es ihm manchmal schlichtweg an (stimmlicher) Präsenz fehlt. Dennoch sorgen Interpol für viel Begeisterung im Publikum und damit für einen würdigen Abschluss.

Damit geht das Maifeld Derby 2023 zu Ende. Wir freuen uns auf 2024 und sind gespannt, welche Veränderungen uns erwarten.