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Vijay Iyer (live in Mannheim, 2017) © Manfred Rinderspacher

Das Vijay Iyer Sextett spielt in der Alten Feuerwache Mannheim im Rahmen von Enjoy Jazz 2017 sein einziges Deutschlandkonzert - und setzt dabei ein echtes Ausrufezeichen.

Ein Sextett – wie schön! Die Mehrheit des modernen Jazz spielt sich in Formaten von Solo bis Quartett ab, da erhält ein Sextett automatisch zusätzliche Aufmerksamkeit. Es ist aber keineswegs so, dass Pianist Vijay Iyer seine Band kurzfristig zusammengestellt hat – das Sextett besteht bereits seit sechs Jahren.

Das erste Album des Sextetts mit dem Titel "Far From Over" erschien kürzlich auf ECM und wurde nicht nur allerorts positiv besprochen, sondern auch von Medien rezensiert, die nur selten Jazzalben unter die Lupe nehmen wie dem US-Rolling Stone oder Pitchfork.

Bestechender Bandsound

Dementsprechend groß war das Interesse beim einzigen Deutschlandkonzert des Sextetts bei Enjoy Jazz 2017. Die Alte Feuerwache ist sehr gut gefüllt, auch mit Besuchern, die eine längere Anreise auf sich genommen haben.

Schon beim ersten Stück zeigt sich: Wie gut auch immer das Album ist, live gewinnt die Musik noch eine ganz andere Dimension hinzu. Der Sound des Ensembles ist bestechend: Funkig, lebendig, energetisch, aber auch perfekt ausbalanciert. In dieser Hinsicht erinnert das Sextett an die Bands des Pianisten Andrew Hill Mitte/Ende der 1960er Jahre.

Emotional und komplex

Dass der große Abstraktionist Andrew Hill ein Bezugspunkt ist, hat Vijay Iyer schon verschiedentlich hervorgehoben. Mit ihm teilt Iyer die Komplexität, aber auch die Schönheit der Kompositionen. Das ist Jazz, der sowohl mitreißend, als auch enorm komplex ist.

Die Musik besitzt durchaus einen funkigen Gehalt, lädt gelegentlich zum Mitwippen ein, aber versucht nicht die Zuschauer von den Sitzen zu reißen. Die Verbindung von Verstand und Emotion ist der Schlüssel zum Verständnis des Sextetts, dass es den Zuschauern nie leicht macht, ihnen aber auch einen Zugang ermöglichen will.

Herausragendes Ensemble

Abgesehen von Vijay Iyer, der Klavier und Fender Rhodes spielt, besteht das Sextett aus seinen Trio-Mitgliedern Stephan Crump (Bass) Marcus Gilmore (Drums) sowie aus Graham Haynes (Flügelhorn, Electronics) Steve Lehman (Alt- und Sopran-Sax) und Mark Shim (Tenor Sax).

Es handelt sich um herausragende Einzelmusiker, aber sie brillieren nicht durch ihre Soli, sondern durch ihr gemeinsames Spiel. Die Bandgröße eignet sich dafür ideal. Ein Sextett besitzt ein ganz anderes Volumen als kleinere Gruppen, erlaubt aber immer noch, die einzelnen "Stimmen" klar zu identifizieren.

Ein eigener Stil

Dazu gibt es ganz herausragende Momente, in denen die Band als Trio agiert und daraus langsam andere Instrumente einbezieht, bis ein gewaltiger, aber nie übermäßiger Bandsound die Halle durchdringt. Die beeindruckendste Komposition ist vermutlich "Wake", das aus einem elektronischen Teil über ganz leise Anfänge ein beeindruckendes Klangvolumen entwickelt.

Dass die Musik auch einen politischen Gehalt besitzt, macht Vijay Iyer in seiner Ansage klar. Die Komposition behandelt die in den USA häufigen Menschenrechtsverletzungen, unter denen vor allem Afro-Amerikaner leiden.

Tradition und Moderne

Die funkige Natur der Musik erinnert viele Beobachter an Miles Davis' elektrische Gruppen der späten 1960er bzw. frühen 1970er Jahre oder an Herbie Hancocks Fusion-Bands.

So nachvollziehbar der Gedanke ist, es ist nicht zu leugnen, dass Vijay Iyer aus der großen amerikanischen Jazz-Tradition einen eigenständigen Stil entwickelt hat, der sowohl zurückblickt als auch vorausschaut. Man kann ihm dazu nur gratulieren.

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