Hagen Rether (live im Capitol Mannheim, 2009)
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Hagen Rether (live im Capitol Mannheim, 2009) Foto: René Peschel © regioactive.de

Für Hagen Rether ist "Langeweile" eins der Tabuthemen unserer Gesellschaft. Seinem Vorschlag, sich am 29. Juni in Mannheim drei Stunden lang zu langweilen, konnte er dennoch nicht gerecht werden. Der 43-jährige Kabarettist sprach über zahlreiche Ungereimtheiten in unserer Welt und konnte sein Publikum so nicht nur unterhalten, sondern nach dreieinhalb Stunden auch sehr nachdenklich in die Nacht entlassen.

"Unsere Großeltern haben gefroren, unsere Enkel werden wieder frieren.“

Dies ist eine von vielen Aussagen, mit denen Hagen Rether einen düsteren Blick auf unsere Zukunft wirft. Er erkennt, dass die Schuld an manchem Problem, über das sich aktuell beklagt wird, nicht nur bei Politikern oder Großkonzernen, sondern vor allem bei der Gesellschaft selbst liegt.

Gängige Doppelmoral ist für ihn ein Beleg: So gäbe zahlreiche linke Globalisierungskritiker, die nur Nike tragen und Wutbürger, die sich einerseits über Fluglärm beschweren, dann aber bei einem Brückentag sofort für 19€ nach Mallorca fliegen und sich im Flugzeug beschweren, weil es nicht einmal ein Mittagessen gibt.

Auch den durchaus beliebten Lohnvergleich zu einer Erzieherin zieht Rether auf eigene andere Art und Weise: Er vergleicht ihn nicht mit dem abstrakt hohen Gehalt eines Top-Managers, sondern mit dem eines Facharbeiters bei Daimler. Dass auch dieser das Dreifache verdient, sollte eigentlich noch trauriger stimmen.

Guttenberg vs. NSU

Rether wundert sich, dass die Menschen sich immer wieder über profane Dinge empören. Der Terror der NSU sei an den Stammtischen kein Thema, sondern werde einfach hingenommen.

Käme jedoch heraus, dass Karl-Theodor zu Guttenberg seine Doktorarbeit nicht selbst verfasst hat, entstünde ein riesiger Skandal.

Doch auch diese Skandale haben oft nur eine kurze Halbwertszeit. Im Sommerloch 2011 wurde zwar einige Zeit über die katastrophalen Zustände in Somalia berichtet – als dann aber die Kuh "Yvonne" ausbüxte, war davon in den Medien nichts mehr zu lesen.

Haben Sie Sommerreifen?

Hagen Rethers große Kunst besteht darin, dass er relevante gesellschaftliche Themen mit Profanem vermischt. So erzählt er auch von den verpassten Gigabyte-Wochen oder beschreibt in allen Details eine Fernsehdokumentation über die Herstellung von Leberkäse.

Auch darüber hinaus verleiht er seinem Programm eine starke Alltäglichkeit. In der ersten Hälfte putzt er sehr ausgiebig sein Klavier (welches er nur vor der Pause und am Ende des Programms tatsächlich benutzt) und isst in der zweiten Hälfte fünf (!) Bananen. Da er stets weiterredet, verleiht er seinen Aussagen eine gewisse Beiläufigkeit und auch eine Selbstverständlichkeit.

Auf diese Weise zeigt Rether, dass seine Ansichten nichts Besonderes darstellen, sondern einfach nur gesunden Menschenverstand verkörpern. Selbst eine Botschaft an Nichtwähler verpackt er in einen simplen Vergleich:

„Wählen ist wie Zähneputzen – wenn du’s nicht tust, wird es braun.“

Leise Töne

Besonders beeindruckend ist, dass Rether seine Stimme nie erhebt. Stets bleibt er sehr ruhig und überträgt diese Stimmung auch auf das Publikum. Zwar wird durchaus immer wieder gelacht und applaudiert, aber in vielen Momenten ist es auch komplett still, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass man sich selbst ertappt fühlt, wenn Rether etwa über die durch unseren Fleischkonsum ausgelösten Zustände in Schlachtbetrieben spricht.

Nach dreieinhalb Stunden geht der Abend dann zu Ende. Und auch wenn das Publikum mit sehr vielen Themen – die allesamt aufwühlen dürften – konfrontiert wurde, so scheint es am Ende keinesfalls ausgelaugt, sondern wahrhaft begeistert. Es bleibt der Wunsch, dass manche von Hagen Rethers Botschaften auch über Deutschlands Kabarettbühnen hinaus gehört werden.

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