Hagen Rether (live im Capitol Mannheim, 2009)
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Hagen Rether (live im Capitol Mannheim, 2009) Foto: René Peschel © regioactive.de

Hagen Rether, der mit zahlreichen Preisen dekorierte politische Kabarettist aus Essen, machte zum ersten Mal Station in Mannheim. Das ausverkaufte Capitol war gespannt auf die "bitterbösen Pointen", die für den Abend mit Hagen Rethers aktuellem Programm "Liebe" angekündigt waren. Pointen fand unser Autor auch, aber über das "bitterböse" muss dann doch noch geredet werden. Eindrücke eines Lichtblicks in sonst trüben Gewässern, der trotzdem nur offene Türen einrennt.

{image}Geschenkt ist, dass das deutsche Kabarett heute größtenteils enttäuscht. Da reihen sich langweilige Wortspiele aneinander, die nur das mit vermeintlicher Pointe wiedergeben, was eh schon seit drei Wochen in den bekannten Schmierenblättern breitgetreten wird. Traurig und mehr als flach zeigt sich heute diese ganze hiesige Kunstrichtung, und es bewahrheitet sich wiedermal Sturgeons Gesetz: "Ninety percent of everything is crap". Aber was soll auch aus einer Kunstrichtung werden, die selbst im Feuilleton besprochen wird wie die Balzlaute der Bachstelze in einem Vogelkundefachbuch. Vom "bissigen intellektuellen Gaumenschmaus" ist da oft die Rede, der "schonungslos" auf Missstände hinweist und "an Zynismus kaum zu überbieten" sei. Da fragt man sich natürlich, welcher Tausendsassa jetzt antrabt und uns allen zeigt, wo der Hammer zu hängen hat. Doch am Ende kommt wie immer nur die Parodie auf Angela Merkel oder Ulla Schmidt, die einen resignieren lässt. Man glaubt manchmal, dass sich Mathias Richling geklont hat und uns nun noch den letzten Rest Hirn absaugen will. Dabei ist die Parodie an sich wunderbar, keine Frage – man sollte sie aber auch richtig einsetzen können. Unsere Hoffnung muss auf Sturgeons verbliebenen zehn Prozent liegen, zu denen sich auch Hagen Rether dazuzählen lässt, der mit seinem Programm "Liebe" unterwegs ist und am einem kalten Freitagabend, Frühlingsbeginn, auch in Mannheim gastiert.

{image}Zu diesen besagten zehn Prozent gehört er nicht dazu, weil er "bitterböse Pointen" ablässt, sondern weil er auch mit Themen arbeitet, die nicht jede Woche im Spiegel auf zwanzig Seiten platt getreten werden. Weil er nicht nur Politiker und den Rest der selbsternannten Elite schlecht dastehen lässt, sondern Gesellschaftskritik insgesamt betreibt. Rether hält uns den Spiegel vor die Nase und zeigt, dass eigentlich alles an uns liegt und nur wir die Dinge richtigstellen können. Wenn er minutenlang mantraartig wiederholt, wie unsere Kanzlerin vor einiger Zeit in einer Rede sagte, dass man etwas gegen Antisemitismus unternehmen müsse, ist das in erster Linie Kritik an uns allen – an der gesamten Gesellschaft.

Überhaupt herauszuheben sind seine sprachlichen Stilmittel, gepaart mit dem Klavierspiel am Rande. Rether beherrscht das, wovon die meisten Witzbolde heute nichtmal mehr träumen können: Stil und Sinn fürs Feine. Dass er mit der ganzen Sache vor einem wahrscheinlich eher linksliberalem Publikum offene Türen einrennt, ist natürlich auch geschenkt. Die Arbeit des Kabarettisten, jedenfalls des guten, ist an sich sowieso traurig, schließlich spricht er ja zu einem Publikum, das längst Bescheid wissen (sollte). Dass die Zuschauer aber danach trotzdem nicht entsprechend handeln können oder wollen, ist wiederum die andere Seite der Medaille. Recht hat er trotzdem, wenn er den Zynismus der Wurst im eigenen Darm anklagt oder an jeder Ecke darauf zeigt, dass der Großteil der Medien auf dem Prinzip "Brot und Spiele" basiert. An sich alte Hüte, auf die aber trotz allem immer wieder hingewiesen werden muss.

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Zu hoffen bleibt am Ende, dass sich diese Art des Kabaretts durchsetzt, auch wenn man mit Rethers Ansichten über Israel oder die Religionen nicht übereinstimmen möchte. Denn kontroverse Beiträge zur Gesellschaft sind immer besser als der hundertste Witz über die Abwrackprämie oder die Frisur irgendwelcher unwichtiger Politiker. Schließlich, und jetzt lassen wir ihn relativ frei auch nochmal zu Wort kommen, "haben wir dafür eigentlich keine Zeit".

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