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Whalerider (live beim 2. Mannheimer Winteraward) © 2013, Anna M. Martin

Auf dem Papier mag das Team des Brückenaward Mannheim e.V. vom losen Interessenverband einiger kulturell begeisterungsfähiger Individualisten zum Verein mutiert sein, vor Ort gab's am 19. Januar anstatt Meierei aber einen sensationellen Konzertabend im prall gefüllten großen Saal des Forums zu erleben. Mit von der Partie waren die Bands The Hirsch Effekt, Juvenalis, Livin Desert, Whalerider, Watered, Apach-o-matic und die Boobams.

Zum frühen Auftakt um 17 Uhr spielen Livin Desert, die in Stilistik und Aussehen stark an die Musik der 1970er Jahre anknüpfen. Krautrock und Fusion-Jazz mit außereuropäischen Einflüssen sind offensichtliche Kennzeichen ihrer Musik, die sich durch einen von der Rhythmusgruppe angetriebenen dichten Bandsound auszeichnet.

Saxophone und eine elektrisch verstärkte Violine nehmen eine herausragende Rolle in der sich beständig im Fluss befindlichen Musik ein. Man erwartet schon, Haschschwaden durch die Halle ziehen zu sehen, aber das passiert nicht.

Ein besonderer Konzertabend nimmt Gestalt an

Wie es bei den Mannheimer Brücken- und Winterawards üblich ist, wurde auch diesmal die Reihenfolge der Auftritte erst kurz zuvor gelost. So sollen alle Bands die Chance erhalten, vor zahlreiche anwesendem Publikum aufzutreten. Diesmal wäre das fast nicht nötig gewesen, denn schon während Livin Deserts Gig zeichnete sich ab, dass dies ein besonderer Abend werden sollte: Das Publikum kam früh und zahlreich.

Das zweite Los ging an die Band Juvenalis, die man in der Tiefenschwärze der Bühne nur schwer erkennen kann. Ihr rockiger Sound erreicht allerdings mühelos den letzten Winkel des Saals. Dadurch wird schnell klar, dass die Band noch am Anfang ihrer Entwicklung steht. Ihr musikalisches Konzept ist noch nicht komplett ausgereift, was sich darin zeigt, dass der durchaus hörenswerte instrumentale Bandsound nicht wirklich mit den Screams des Sängers zu harmonieren scheint. Das stimmige Gesamtbild fehlt noch, aber die "Awards" brauchen doch auch genau solche vielversprechenden Nachwuchsbands auf der Bühne, um die Klammer zum umfassenden Konzept zu schließen.

Den Auftritt der Newcomer konstrastierten im Anschluss die Boobams, die sich zwar selbst erst vor kurzer Zeit gründeten, deren Bandmitglieder aber allesamt schon über viel Erfahrung in anderen Bands und Projekten sammeln konnten. Ihren Stil verorten sie selbst im Bereich der 90er-Indiemucke, doch mit einer Mischung aus prägnantem Minimalismus und kreativem Ideenreichtum gehen sie deutlich darüber hinaus. Spannungsvolle, sich über mehrere Zeilen entwickelnde Melodiebögen legen sich über die zu den Songs jeweils passend gestimmte Gitarre, die dadurch gleichzeitig so schön wie schräg klingt und außer einer dezenten Verzerrung ohne weitere Effekte auskommt. Schlagzeug und Bass harmonieren traumhaft und liefern ein präzise agierendes Fundament.

Gäbe es Tickets, dann wäre heute ausverkauft

…gibt es aber nicht. Zum Konzept der Veranstaltungen des Brückenaward-Teams gehört auch, dass dies alles bei freiem Eintritt stattfindet. regioactive.de spendete wie gewohnt wieder Freibier, freiwillige Helfer brachten Leckereien zum Essen mit, und überhaupt kann man als Selbstversorger seine eigenen Getränke zu den Veranstaltungen mitbringen. Wer kann, der spendet einen freiwilligen Betrag. Davon werden die Fixkosten bezahlt und bisher blieb auch immer etwas übrig, das guten Zwecken zugeführt werden konnte.

Bevor das passiert, führen Watered das Publikum aber im positiven Sinne erstmal an seinen Ruhepuls. Die Karlsruher bestechen durch versiert dargebotenen Post-Rock mit breiten Klangflächen und verwandeln das Geschehen im Forum in einen Film, zu dem sie die passende Musik beitragen. Die erneut starke Performance von Projector Pearson, der mit seinen alten Analog-Diaprojektoren für spektakuläre Visuals sorgt, unterstütze den Auftritt von Watered ideal.

Apach-o-matic fordern im Anschluss zum Tanzen auf. Mit ihrem Surf-Rock alter Schule und bester Tradition befördern sie das lebhafte Treiben vor der Bühne, wo sich mittlerweile schon jene glücklich schätzen müssen, die es überhaupt noch bis dorthin schaffen.

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Revitalisierung der Szene

Der außerordentliche Zuspruch des Publikums sorgt dafür, dass es im Saal zeitweise weder vor noch zurückgeht. Das allein ist Ausdruck der Wertschätzung des Winterawards, der in kurzer Zeit zahlreiche Fans und Unterstützer gewonnen hat. Die Besucher mögen in der Mehrzahl junge Konzertgänger sein, doch ebenso erfreuen sich die "Awards" großer Beliebtheit bei alten Bekannten der Mannheimer Szene.

Da sind jene, die mit dem Siberiano schonmal vergleichbares aus der Taufe hoben und andere, die sich schon lange etwas ähnliches wie das Sulphur Sonic zurück wünschten, da sind die Kneipenstammgäste der Jungbusch-Szene ebenso wie zahlreiche Musiker, die mit ihren Bands und Projekten auch auf diese Bühne passen würden.

Schafft man's mal nicht in den vollen Saal, so bieten sich im Vorraum oder vor den Türen des Forums ausreichend Gelegenheiten auf Smalltalk, Austausch, Fachsimpelei, Flirts oder einfach nur das ein oder andere Prosit. Solche Gelegenheiten sind durchaus selten. Um so höher scheint das Potenzial, dass diese Events zu einer echten Revitalisierung der Szene sorgen könnten.

Auflösung von Grenze-Grenzen

Drinnen stehen nun Whalerider auf der Bühne und präsentieren sich mit einem wuchtigen Sound und schweren Riffs. Sie rücken Stoner in die Nähe des Doom und der Weg zu den von ihnen selbst referenzierten Melvins scheint auch kein weiter zu sein. Die erstaunlichste Band des Abends sind jedoch The Hirsch Effekt. Wer nach Musik sucht, die man so noch nicht gehört hat, der findet sie bei den drei Hannoveranern, die mit einem eindrucksvollen, begeisternden Konzert für einen grandiosen Abschluss des Winterawards sorgen.

Ihre Musik entzieht sich jeglicher Genre-Grenzen, hat Anklänge an Post-Rock (in den epischen Songstrukturen), Hardcore (in der gewaltigen Härte), Metal (im Willen des Publikums zum Headbangen) – und besonders wichtig: Pop. Denn tief unten in der schwarzen Seele dieser Musik schlummert eine geniale Popband, die in Form großartiger Melodien immer wieder an die Oberfläche bricht. Der famose Schlagzeuger Moritz Schmidt spielt übrigens erst seit wenigen Wochen in der Band, aber es wirkt so, als sei er schon seit Jahren dabei.

Hut ab vor diesem Winterward

Die Organisatoren dieses Winterawards verdienen für ihre professionelle Arbeit, ihre Kreativität und ihren Einsatz höchste Anerkennung. Wer eine der interessantesten Veranstaltungen der Mannheimer Musikszene unterstützen will, der kann Mitglied im Brückenaward e.V. (Kontaktdaten auf der Webseite) werden oder die gute Sache durch Spenden unterstützen.

Interviews, Berichte, Fotogalerien und mehr zu den Brücken/Winterawards: Auf unserer Themenseite erfahrt ihr noch mehr!

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