Simone White

Simone White

Im bestuhlten Saal der Brotfabrik in Frankfurt haben sich etwa hundert Zuschauer versammelt, um das Konzert der amerikanischen Sängerin und Songwriterin Simone White zu erleben. Whites letztjähriges Album "I Am The Man" fand in der hiesigen Musikpresse ein wohlwollendes Echo, so dass man gespannt sein durfte, wie ihr Solokonzert verlaufen würde.

Vor ihrem Erscheinen übernimmt jedoch die deutsche Sängerin und Songwriterin Lucid die Aufgabe, die Zuschauer auf den Abend einzustimmen. Wenn man bedenkt, dass sie kurzfristig für den ursprünglich vorgesehenen Support-Act einsprang, kann man ihr für ihre Darbietung nur Respekt zollen. Die auf englisch singende Künstlerin erinnert musikalisch an Tori Amos, in manchen Momenten auch an Joni Mitchell.

Sie präsentiert ein abwechslungsreiches Programm selbstgeschriebener Lieder, die sie abwechselnd an Klavier und Gitarre vorträgt. Da Lucid nicht nur eine ausdrucksstarke, intensive Stimme besitzt, sondern auch in der Lage ist, melodische Songs mit guten englischen Texte zu schreiben, gelingt ihr ein überzeugender Auftritt, der vom Publikum mit wohlwollendem Applaus bedacht wird.

Im Mittelpunkt von Simone Whites Auftritt steht ihre einzigartige Stimme. Sie ist ebenso flexibel wie ausdrucksstark und durchdringt den Saal mit einer seltenen Intensität. In Abwesenheit anderer Instrumente bildet die akustische Gitarre ihre einzige Begleitung. Die dadurch auf ihre Essenz reduzierten Lieder entfalten im klaren, nuancierten Vortrag Simone Whites eine beeindruckende, faszinierende Kraft. Dank ihrer perfekten Phrasierung bewältigt sie die schwierigen Gesangspassagen ohne ersichtliche Mühe und erfüllt den gesamten Raum mit ihrem durchdringenden, aber stets harmonischen Gesang. Das Gefühl, das der Zuhörer empfindet, wenn sie ihre Stimme in die Höhe schraubt bis sie sich fast – aber eben nur fast – überschlägt, ist ein Erlebnis, das man unmöglich mit Worten beschreiben kann.

Das Repertoire des Abends besteht aus den Liedern ihres Albums I Am The Man, einigen weiteren Eigenkompositionen sowie Coverversionen von Folk- und Bluesklassikern, die teilweise auf der Vinylausgabe des Albums enthalten sind. Im Vergleich zu den Albumversionen besteht allerdings ein merklicher Unterschied: Nicht nur sind die Lieder aufgrund des Fehlens der Begleitmusiker kürzer und prägnanter, in der exzellenten Akustik der Saales gewinnt auch Whites Stimme an Intensität und Ausdruckkraft.

Was auf dem Album manchmal etwas allzu verhuscht und geglättet wirkte, tritt nun in seiner ganzen Schönheit hervor und verfehlt seine Wirkung auf das Publikum nicht. Viele der Lieder, die Simone White vorträgt, beschäftigen sich mit dem Thema des Verlusts (von Liebe, von Freundschaft, von Patriotismus, von Heimat usw.). Indem sie traditionelle und aktuelle Songs verbindet und damit eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, gelingt es ihr, dem Abend eine thematische Geschlossenheit zu verleihen, so dass das Konzert in seiner Gesamtheit und nicht nur als Abfolge von Liedern wirkt. Darin liegt vielleicht Simone Whites größte Leistung an diesem Abend.

Die etwa hundert Zuschauer lauschen der Musik wie gebannt. Kaum einer der Anwesenden spricht ein Wort, als ob sie befürchteten, dass jedes zufällige Geräusch die Magie des Augenblicks zerstören könnte. White scheint von der konzentrierten Stille zwischen den Liedern überrascht zu sein und sucht nach einer Verbindung zum Publikum: "Spricht hier jemand Englisch?", fragt sie und zupft nervös an ihrem Rock. Dabei bestand kein Grund zur Sorge: Der anfangs zurückhaltende Applaus steigert sich im Lauf des Abends zur Begeisterung.

Simone White scheint von ihrem kleinen Triumph fast überwältigt zu sein: "Als ich hinter der Bühne stand, habe ich gehofft, dass ihr aufhört zu klatschen – ich habe doch gar keine Lieder mehr, die ich noch singen könnte", erklärt sie sichtlich verlegen, als sie zur zweiten Zugabe die Bühne betritt. Um Summer Romance zu singen, benötige sie eigentlich eine Band. Ob die Zuschauer das wirklich wollten?

Durch einige Zurufe lässt sie sich überzeugen und zum einzigen Mal an diesem Abend bemerkt man eine gewisse Unsicherheit im Vortrag – kein Wunder allerdings bei einem Lied, das sie noch nie zuvor auf diese Weise gesungen hat. Mit ihrer genialen, durchdringenden Interpretation des Ewan MacColl-Klassikers Dirty Old Town setzt Simone White nach knapp siebzig Minuten den Schlusspunkt unter ein glänzendes Konzert. Es wäre schön, wenn man eines Tages sagen könnte, dass es den Auftakt zu glänzenden Erfolgen hierzulande dargestellt hätte. Verdient hätte sie es allemal.

Setlist: We Used To Stand So Tall – America in ’54 – Great Imperialist State – Mary Jane – Without A Sound – Haven’t Got A Penny To Pay Your House Rent Man – Roses Are Not Red – Soldier Sailor – Worm Was Wood – You May Be In Darkness – The American War – Sweetest Love Song – Blueprints – Why Is Your Raincoat Always Crying – I Am The Man – Candy Bar Killer – The Beep Beep Song – Bunny

1. Zugabe: Shots – (W.C. Handy-Song)
2. Zugabe: I Never Had Any Summer Romance – Dirty Old Town