The Divine Comedy 2017

The Divine Comedy 2017 © Raphaël Neal

"Es gibt einen riesigen Markt für intelligenten Pop“, sagt mir der grauhaarige Roadie der Band The Divine Comedy nach dem Ende des Konzerts, „man muss nur dafür werben. Letztes Mal haben wir auf unserer Deutschlandtour nur in vier kleinen Klubs gespielt, diesmal schon in etwas größeren. Hoffentlich wird es nächstes Mal noch besser."

Das wäre der Band jedenfalls zu wünschen, denn sie spielte bei ihrem Konzert in der Alten Feuerwache am Donnerstag letzter Woche ein wirklich gutes und überzeugendes Konzert. Dennoch stand nicht sie allein im Mittelpunkt sondern auch ein spezieller Duke. Doch der Reihe nach:

Zwei besondere Nordiren

Der junge Mann mit dem Künstlernamen Duke Special stammt wie Neil Hannon aus Nordirland. Was sie bei allen Unterschieden verbindet, ist eine gewisse Exzentrik und eine genaue Kenntnis der musikalischen Traditionen ihrer Heimat. Damit meine ich weniger irish folk als vielmehr die vielfältigen Formen der Popmusik, die dort gepflegt werden und hierzulande nur wenig bekannt sind.

Duke Special heißt eigentlich Peter Wilson und tritt an diesem Abend lediglich mit der Begleitung von Drummer/Perkussionist Chip Bailey auf, der wie der verlorene Zwillingsbruder von Geoffrey Rush aussieht. In seinem ganzen Auftreten und auch in seiner Musik scheint es seine Absicht zu sein, die 1920er Jahre oder gar noch frühere Zeiten wieder aufleben zu lassen. Ein altes Grammophon verwendet er, um das jeweils erste und letzte Lied einzuleiten und ausklingen zu lassen.

Tom Waits im Zirkus

Der Duke selbst spielt Klavier, das er vermutlich selbst aus einem alten Schrank und einigen anderen Utensilien gebastelt hat, und singt mit einer Stimme, die in manchen Momenten geradezu unheimlich an Brian Molko von Placebo erinnert. Der Vergleich zu anderen klavierspielenden Songwritern wie Elton John oder Rufus Wainwright liegt nahe, verschleiert aber den Umstand, dass der Duke sein Klavier häufig als Rhythmus- und nicht als Melodieinstrument einsetzt.

Diese Kombination führt an diesem Abend dazu, dass die rhythmischen Elemente seiner Musik stark in den Vordergrund treten, so dass er an den frühen Tom Waits erinnert. An einen frühen Tom Waits, der mit der Stimme von Brian Molko singt und im Kabarett auftritt. Oder im Zirkus. Es fällt wirklich schwer, die Musik zu beschreiben, man muss sie erlebt haben. Das Publikum jedenfalls ist sichtlich angetan und applaudiert ausgelassen.

Textsicheres Publikum

The Divine Comedy sind eigentlich Neil Hannon und seine jeweilige Band. Er veröffentlichte sein erstes Album unter diesem Namen im Jahre 1993 und ließ seitdem sieben weitere folgen. In England und Frankreich hat die Band, die intelligente und aufwendig inszenierte Popmusik spielt, eine große Fangemeinde – in Deutschland ist sie hingegen eher weniger bekannt. Nichtsdestotrotz erscheinen zahlreiche treue Anhänger zum Konzert in der Alten Feuerwache.

Zu meiner Überraschung sind darunter viele Fans, die alle Texte zu kennen scheinen, lautstark jubeln und sogar tanzen – was Neil Hannon in nicht geringes Erstaunen versetzt. Mit den Worten: "Das ist jetzt unser sechstes Konzert, aber ihr seid bisher das beste Publikum" bedankt er sich und fordert das Publikum auf, auch den Mädchen zu applaudieren, die während des gesamten Konzertes getanzt haben. Diese Beschreibung zeigt schon, dass die Stimmung exzellent ist, so gut wie ich sie selten bei einem Popkonzert in Mannheim erlebt habe.

Vollkommen durchkomponiert

Wie auf den Alben der Band üblich schwankt die Stimmung zwischen elegischen, ruhigen Stücken und pompösen, swingenden Liedern, die Hannon mit seiner theatralischen, tiefen, melodiösen Stimme vorträgt. Er ergänzt seinen Gesang, indem er Textelemente mit Handbewegungen und Gesten illustriert. Die insgesamt sieben Musiker sind ein eingespieltes Ensemble, haben aber auch wenig Gelegenheit sich auszuzeichnen, weil Hannons Stücke so vollkommen durchkomponiert sind, dass sie wenig Raum für Improvisationen lassen. Das wirkt manchmal etwas zu routiniert oder kalkuliert, aber die enthusiastische Reaktion des Publikum reißt Neil Hannon und Band regelrecht mit. Ihre wachsende Spielfreude und ihr Vergnügen sorgen dafür, dass es ein außergewöhnliches Konzert wird.

Vom neuen Album "Victory For the Comic Muse" spielt er lediglich fünf Lieder, dafür erfreut er das Publikum mit enthusiastisch bejubelten Klassikern wie "National Express", "Becoming More Like Alfie", "Your Daddy’s Car", "Tonight We Fly" oder "Something For the Weekend".

Beeindruckendes Songwriting

Das neue Album mag insgesamt nicht zu seinen besten gehören, aber es enthält einige faszinierende Beispiele von Hannons Fähigkeiten, die – neben seinem kompositorischen Talent – vor allem in seiner genauen Beobachtungsgabe von Menschen und Situationen besteht, die er mit feiner Ironie darstellt. In "A Lady Of A Certain Age", stellt er die Verzweiflung und die Einsamkeit einer vermögenden älteren Witwe dar, die besseren Zeiten nachtrauert. "The Light Of Day" hingegen ist einer seiner schönsten, hoffnungsspendenden Balladen.

"The Plough" erzählt schließlich die bemerkenswerte Geschichte eines jungen Mannes, der sein Glück in der Stadt sucht, langsam die Karriereleiter einer Firma erklettert, dabei in moralische Konflikte gerät, die Antworten auf seine Fragen erst in der Religion und dann bei Revolutionären sucht und sich schließlich – die Manipulationen von außen durchschauend – zu eigenständigem moralischen Urteil und persönlicher Unabhängigkeit bekennt. Ich schreibe das deshalb in dieser Ausführlichkeit, weil mir nur wenige Beispiele einer so klugen musikalischen Darstellung einer Frage bekannt sind, die Menschen zu allen Zeiten bewegt hat.

"Es gibt einen riesigen Markt für anspruchsvollen Pop", sagt mir der grauhaarige Roadie der Band nach dem Ende des Konzerts, "man muss nur dafür werben". Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber wir arbeiten dran. Wir arbeiten dran!

Setlist (The Divine Comedy): Mother Dear – Becoming More Like Alfie – Bad Ambassador – The Light Of Day – When The Lights Go Out All Over Europe – Generation Sex – Lady of a Certain Age – Something For The Weekend – Diva Lady – Your Daddy’s Car – The Plough – Mastermind – Threesome – Don’t Look Down – Our Mutual Friend – Tonight We Fly – 1. Zugabe: To Die A Virgin – National Express – 2: Zugabe: Sunrise

http://www.dukespecial.com/

http://www.thedivinecomedy.com/

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