Jochen Distelmeyer (2023)

Jochen Distelmeyer (2023) © Sven Sindt

Wer Blumfeld vermisst, hat in Jochen Distelmeyer als Soloact eine Alternative. Bei seinem Auftritt im Frankfurt Palmengarten überzeugt Distelmeyer als Sänger, Musiker und Entertainer, vermag aber seine alte Band nicht vergessen zu machen.

"Summer in the City" ist eine kleine, aber feine Konzertreihe des Mousonturms, die unter freiem Himmel in der Konzertmuschel im Palmengarten Frankfurt stattfindet. Beim vorletzten Konzert der Reihe sind die Zuschauerränge für den Auftritt von Jochen Distelmeyer und seiner dreiköpfigen Band gut gefüllt. 

Musiker und Comedian

Der Blumfeld-Frontmann spielt sich durch eine Auswahl aus zahlreichen Songs seiner aktuell wohl nicht aktiven Band, seinen Solo-Stücken und zahlreichen Covern, die er manchmal ausbaut oder kreativ in einzelne Songs einbaut.

Garniert wird der Auftritt von seinen launigen Ansagen: Er lobt Frankfurt und das Publikum, das Wetter, die Schönheit Hessens, erwähnt den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und berichtet von seiner Karriere als Comedian, zu der es leider, leider nicht kam. Andererseits war es vermutlich doch besser so.

Aus Apfelmann wird Äppelmann

Viel spannender ist doch die Musik. Für Fans von Blumfeld-Fans gibt es schöne Versionen von "Tics", "Graue Wolken", "Eintragung ins Nichts" und "Wir sind frei". Für den coolsten Moment sorgt aber "Apfelmann", das umstrittenste Lied, das Blumfeld je geschrieben haben, wie Distelmeyer immer noch etwas ungläubig erklärt.

Egal, ob man den Song für ein bierernstes Sozialportrait, einen misslungenen Gag oder einen hintersinnigen Witz hält, die leidenschaftliche Mitsing-Version stößt im Äppelwoi-seligen Frankfurt auf große Begeisterung.

Blumfeld sind besser

Die Blumfeld-Songs zeigen zweierlei: Mit der aktuellen, kompetenten Band aus Begleitmusikern könnte er die frühen Blumfeld Songs wie "Verstärker" nicht überzeugend spielen. Außerdem sind alle Blumfeld-Lieder (auch die späten, auch die umstrittenen) besser als alle Solo-Songs. 

Das ist eine bittere, vielleicht schmerzhafte Erkenntnis, bedeutet aber nicht, dass die neuen Lieder allesamt schlecht wären. Interessanterweise ist vor allem das bisher unveröffentlichte "Kismet" ein Highlight, ebenso wie der Opener "Zurück zu mir".

Nur die Liebe zählt

Insgesamt fehlt den Solo-Liedern aber die Ecken und Kanten der Blumfeld-Zeit. Ein weiteres Problem ist die unnötige thematische Einschränkung auf Liebe, Begehren und vielleicht auch angedeutete Sexualität.

Distelmeyer mag recht haben, dass die Kommunikation darüber gegenwärtig nicht mehr einfach möglich ist wie in früheren Zeiten und dass die Gesellschaft daran krankt, aber er muss es nicht allein auf sich nehmen, das zu ändern!

Unter Wert verkauft

Natürlich spielt Distelmeyer auch die obligatorische Coverversion von "Toxic", aber viel spannender, er streut in einen Song eine gar nicht schlechte Interpretation von Nat King Coles "Nature Boy" ein. Dazu zitiert er Joni Mitchell und The Smiths und erinnert an die in Deutschland fast unbekannte Sängerin Judee Sill. 

Nach kurzweiligen hundert Minuten verabschiedet sich Distelmeyer von seinem Frankfurt Publikum und entlässt die Zuschauer in die kühle Nacht.

Die anschließenden Gespräche zeigen neben der Freude über einen gelungenen Abend aber auch das Gefühl, dass Distelmeyer sich trotz seines Talents und seiner Fähigkeiten ein wenig unter Wert verkauft. Er scheint immer noch auf der Suche zu sein.

Alles zum Thema:

jochen distelmeyer