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Peter Gabriel (live in Frankfurt 2023) © Torsten Reitz

Das Lebenswerk verwalten, den Zuschauern bieten, was sie wollen - das ist das Rezept vieler etablierter Stars. Anders Peter Gabriel: Bei seinem Konzert in der Festhalle Frankfurt stehen neue Songs von seinem noch unveröffentlichten Album im Mittelpunkt.

Schon vor der Halle zeigt sich die große Bandbreite des Musikgeschmacks der Peter Gabriel-Fans in der Kleidung der Zuschauer. Neben Shirts des Protagonisten sind Prog-Rock-Bands wie King Crimson, Van der Graaf Generator bzw. Peter Hammill oder anderer 70er-Jahre Größen vertreten.

Andere tragen Shirts von weitaus jüngeren oder musikalisch ganz anders gelagerten Bands wie The Cure oder den Flaming Lips. Peter Gabriel-Fans sind musikalisch ein bunt gemischter Haufen.

Ein großes Risiko

Peter Gabriel selbst ist bekannterweise nicht weniger experimentierfreudig. Seine aktuelle Tour ist eine bewusste Abkehr von den im Musikbusiness inzwischen üblich gewordenen Routinen, die darin bestehen, ein klassisches Album in Gänze aufzuführen oder gar den Zuschauern "nur die Hits" zu servieren.

Stattdessen spielt Gabriel nicht weniger als elf Songs seines neuen, noch unveröffentlichten Album "i/o". Fast alle Lieder hat der Engländer in den vergangenen Wochen in zwei unterschiedlichen Mixen vorab veröffentlicht. Noch erstaunlicher ist, dass fast alle Songs qualitativ überzeugen. Im fortgeschrittenen Alter scheint Peter Gabriel ein herausragendes Werk gelungen zu sein.

Starke neue Songs

Diese Lieder aber als "Alterswerk" zu bezeichnen, würde ihrer Klasse und vor allem ihrer Lebendigkeit nicht gerecht. Der Refrain des Titelsongs "i/o" ist fast unverschämt eingängig und andere Lieder wie "Panopticom" erinnern überraschenderweise an den Sound des frühen Peter Gabriel.

Selbstverständlich hat sich Peter Gabriel nicht völlig neu erfunden. Eine Ballade wie "Playing For Time" erinnert in Stil und Tempo stark an ältere Werke. Dennoch überrascht es, wie frisch die neuen Songs klingen, sei es die lebensbejahende Upbeat-Nummer "Road To Joy" oder der Gospel-Song "Live and Let Live".

Herausragende Band

Es ist sehr ungewöhnlich, dass die Mitglieder der Band eines Solokünstlers ebenso großen Applaus erhalten wie der Star der Show. Aber Tony Levin am Bass, David Rhodes an der Gitarre und Manu Katché am Schlagzeug sind eben keine normalen Bandmitglieder, sondern integrale Bestandteile eines Peter Gabriel-Konzerts.

Insbesondere wenn der charakteristische Glatzkopf Tony Levin im Mittelpunkt steht, ist der Jubel oft grenzenlos. Seine sympathische Art und seine integrale Rolle als Tieftöner (am Bass und als Sänger) sind längst legendär.

Als Sängerin erledigt Ayanna Witter-Johnson die anspruchsvollen Parts in "Don't Give Up" ordentlich, aber ohne ihre Vorgängerinnen wie Paula Cole vergessen zu machen. Peter Gabriels Stimme ist altersgemäß nicht mehr ganz so flexibel wie früher, aber immer noch ausdrucksstark genug für ein zweistündiges Konzert.

Das Wagnis zahlt sich aus

Peter Gabriel ist mit dem Konzept der neuen Tour ein großes Wagnis eingegangen. Wenn die elf neuen Songs nicht diese Klasse aufwiesen, wäre er damit möglicherweise sogar gescheitert, da alle nur "Solsbury Hill" herbeigesehnt hätten.

So begrüßt und bejubelt das Publikum aber auch die neuen Songs, die ja in Zeiten von Spotify und Youtube alles andere als ein Geheimnis sind.

Dass die großen Peter Gabriel-Klassiker wie "Sledgehammer" oder "Don't Give Up" bei den Zuschauern – und sogar bei den Bedienungen an den Getränkeständen – für Begeisterung sorgen, zeigt, wie unzerstörbar die Musik Jahrzehnte später noch ist.

Erhabener Abschluss

Zentrales Stück des Abends ist vielleicht aber "Red Rain", das mit einer für Peter Gabriel nicht untyptischen apokalyptischen Szenerie für Gänsehaut sorgt. Bei "Solsbury Hill" brechen dann alle Dämme und auch die Zuschauer auf den Sitzplätzen feiern im Stehen. 

Die Zugabe bietet dann mehr Gelegenheiten zum Abfeiern: Obwohl "In Your Eyes" in der Version der "Secret World Live"-Tour vermutlich auf ewig unübertroffen bleiben wird, ist die Version der aktuellen Tour mit den charakteristischen coolen Tänzchen von Gabriel, Rhodes und Levin immer noch mitreißend.

Mit "Biko" – einem der großen Songs gegen Rassissmus – endet das Konzert dann auf einer ernsten, aber erhabenen Note. Peter Gabriel dürfte mit dieser Tour viele positiv überrascht haben. Er hat eindeutig bewiesen, dass er auch im Alter von 73 live noch vollauf zu überzeugen vermag.

Setlist

Set 1: Hier kommt die Flut / Growing Up / Panopticom / Four Kinds of Horses / i/o / Digging in the Dirt / Playing for Time / Olive Tree / This Is Home / Sledgehammer
Set 2: Darkness / Love Can Heal / Road to Joy / Don't Give Up / The Court / Red Rain / And Still / Big Time / Live and Let Live / Solsbury Hill // In Your Eyes / Biko

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