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Elton John (live in Mannheim, 2017) © Peter H. Bauer

Mit einem über zweieinhalbstündigen Auftritt auf dem Bowling Green in Wiesbaden verabschiedet sich ein gut gelaunter Elton John auf seiner Abschiedstournee von seinen Fans. Ganz so rund und stimmig, wie man vermuten könnte, ist das Konzert jedoch nicht.

Abschiedstourneen großer Stars haben seit Jahren Hochkonjunktur. Doch während es sich bei vielen davon lediglich um einen Marketing-Gag zu handeln scheint, um die Ticketverkäufe anzustacheln, bevor die nächste Konzertreise anläuft, nimmt man Elton John eine solche Ankündigung auch tatsächlich ab. 

Mit einem von seinem Klassiker "Goodbye Yellow Brick Road" inspirierten Programm ist die britische Institution derzeit unterwegs und kann sich über mangelnden Absatz zumindest in Wiesbaden kaum beschweren: Das Bowling Green vor dem Kurhaus ist restlos ausverkauft, als Elton John dort bei bestem Sommerwetter sein Stelldichein gibt.

Leicht daneben gegriffen

Zahlreiche Klassiker hat der "Rocket Man" bei seinem Auftritt in der hessischen Landeshauptstadt bereits in der Anfangsphase im Gepäck, angefangen mit dem Opener "Bennie & The Jets" über "I Guess That's Why They Call It The Blues". Allerdings trifft er zu Beginn dennoch weder bei der Songauswahl noch gesanglich immer die richtigen Töne.

Letzteres ist recht einfach zu erklären: Bis kurz vor dem Konzert war noch unklar, ob es überhaupt dazu kommen würde. Eine Stimmbandentzündung plagte Elton John, so dass sein Auftritt im italienischen Verona wenige Tage zuvor ausfallen musste – und es stand lange nicht fest, ob er die Bühne auf dem Bowling Green überhaupt würde betreten können.

In etwas anderem Licht betrachtet

Die Setlist stellt einen da schon vor etwas größere Rätsel: Warum hat sich der Weltstar dafür entschieden, im ersten Drittel der Show fast nur auf ruhigere Nummern zu setzen, die stellenweise geradezu vor sich hin plätschern? Neben "Rocket Man" ist das Highlight dieses Teils "Indian Summer" mit schwerem Text und großartiger Percussion von Ray Cooper.

Hinzu kommt das Problem, dass die Bühne vor dem Kurhaus in der prallen Sonne steht. So schön die Kulisse auch ist, so wenig funktional ist sie bei Sommerwetter. Wer nämlich weiter hinten sitzt, hat hat in der ersten Hälfte des Konzerts Schwierigkeiten, die psychedelisch angehauchten Animationen auf den Leinwänden zu erkennen.

Plötzlicher Schwung in der Kurstadt

Fahrt nimmt das Konzert dann ab dem zweiten Drittel auf. Bei "Levon" und dem vielleicht besten, weil epischsten Elton John-Stück "Funeral For A Friend / Love Lies Bleeding" flitzen die Finger des Weltstars und seines Keyboarders Kim Bullard nur so über die Tasten und die beiden Drummer Nigel Olsson und John Mahon sowie Perkussionist Ray Cooper brennen ein wahres Feuerwerk ab. 

An dieser Stelle darf man sich als Zuschauer allerdings schon fragen, warum beispielsweise "Burn Down The Mission" mit seinem furiosen Finale nicht bereits viel früher aufgetischt worden ist. Denn die Band um den früheren David Lee Roth-Basser Matt Bissonette und Aushilfsgitarristen John Jorgenson ist grandios aufgelegt und darf ihre Fähigkeiten nun demonstrieren.

Gut gelaunt und ausdrucksstark

Auch Elton John gibt sich in Wiesbaden trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustandes gut gelaunt. Mehrfach richtet er sich an seine vielen Fans, die ihn all die Jahre unterstützt und ihm bei den vielen Shows, die er so geliebt habe, das größte Gefühl gegeben hätten, das einem Musiker zuteil werden könne – Feedback und Resonanz auf seine Performances.

Zudem hält er vor "Believe" ein flammendes Plädoyer für billigere AIDS-Medikamente, gegen den Brexit sowie für mehr Liebe und Zusammenhalt auf der Welt. Die inzwischen besser sichtbaren Bilder auf den Videoleinwänden sind Zeugnis dafür, wie wichtig Elton John dieses Anliegen ist. Sie zeigen ihn bei seiner globalen Arbeit im Rahmen seiner AIDS Foundation.

Er steht noch

Die Endphase des Wiesbadener Konzerts mündet dann in einer Anreihung einiger seiner größten Hits: Vom poppigen "Sad Songs (Say So Much)", einer der wenigen 1980er-Stücke im Programm, über die Megaballade "Don't Let The Sun Go Down On Me" bis zum Rocker "The Bitch Is Back" ist hier musikalisch alles vertreten – nur hätte man sich diese Variation schon früher gewünscht.

Rührend ist auch die Geschichte, die Elton John kurz darauf erzählt. Er habe sich Ende der 1980er auf den Abgrund zubewegt, bevor er schließlich die beste Entscheidung seines Lebens getroffen habe: trocken und clean zu werden. Welche Nummer könnte da wohl besser passen als "I'm Still Standing", auch wenn dabei gesanglich nicht jeder Ton sitzt?

Persönliche Kämpfe im Backsteinambiente

Allzu viel übertriebener Pathos kommt Gott sei Dank allerdings nicht auf. Denn zunächst verabschieden sich Elton John und seine Band an einem sommerlichen Samstagabend standesgemäß mit "Saturday Night's Alright For Fighting" und von Kampfszenen geprägten Videoclips in rockiger Manier von ihrem Publikum.

Natürlich wäre aber kein Konzert der lebenden Legende komplett ohne seinen ersten Megahit "Your Song" und das der Tour ihren Titel gebende "Goodbye Yellow Brick Road". Die beiden Stücke gibt Elton John im Bademantel zum Besten, bevor er schließlich auf einer kleinen fahrbaren Bühne dem Bowling Green entschwebt.

Würdiger Abgang mit offenen Fragen

Die letzten beiden Drittel seines Wiesbadener Auftritts waren ein würdiger Abschied für einen Weltstar, der sich und seinem Publikum im Alter von zarten 72 Lenzen eigentlich nichts mehr zu beweisen hat. Elton John besinnt sich in diesem Teil seiner Shows auf alte Stärken und konzentriert sich (weitgehend) auf Material aus seiner Hochphase in den 1970ern. 

Ein leicht fader Beigeschmack bleibt am Ende dennoch. Warum hat das Konzert so lange gebraucht, um in Fahrt zu kommen? Aus welchem Grund lullt er die Zuschauer vor dem rockigen Finale ein – Standing Ovations bereits beim Betreten der Bühne hin oder her? Diese Fragen muss sich auch ein Elton John auf seiner letzten Tour gefallen lassen.

Setlist

Bennie & The Jets / All The Girls Love Alice / I Guess That's Why They Call It The Blues / Border Song / Tiny Dancer / Philadelphia Freedom / Indian Sunset / Rocket Man (I Think It's Going To Be A Long, Long Time / Take Me To The Pilot / Sorry Seems To Be The Hardest Word / Somebody Saved My Life Tonight / Levon / Candle In The Wind / Funeral For A Friend/Love Lies Bleeding / Burn Down The Mission / Daniel / Believe / Sad Songs (Say So Much) / Don't Let The Sun Go Down On Me / The Bitch Is Back / I'm Still Standing / Saturday Night's Alright For Fighting // Your Song / Goodbye Yellow Brick Road

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