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Gorillaz (live in Hamburg, 2017) © Falk Simon

Die Gorillaz sind die erfolgreichste virtuelle Band der Welt. In der Max-Schmeling-Halle geben sie sich dafür erstaunlich echt.

Der Beginn des 21. Jahrhunderts war wohl der bestmögliche Zeitpunkt für das Projekt: 2000 erscheint mit "Tomorrow Comes Today" die erste EP der Gorillaz, das selbstbetitelte Debütalbum folgt im darauffolgenden Jahr und verkauft sich nicht weniger als 7 Millionen Mal. Das Besondere an dem Konzept: Die Bandmitglieder sind frei erfundene Comicfiguren.

Surreale Welten ohne Star-Kult

Das war einerseits als Kommentar auf die vorherrschende Celebrity-Kultur zu verstehen: eine Popband ohne (materielle) Substanz, mit Bandmitgliedern, die gar nicht echt sind. Einen waschechten Popstar hatten die Gorillaz natürlich dennoch in den Reihen, denn neben dem Zeichner Jamie Hewlett steckt Blur-Sänger und Songwriter Damon Albarn hinter dem Projekt, der dem virtuellen Frontmann 2-D auch seine Stimme leiht.

Die Welt der Gorillaz ist surreal, etwas verstörend, düster. Live spielt sie sich 2017 auf einer Leinwand hinter den Musikern ab, hinter den Menschen, die die Musik von 2-D, Noodlez, Murdoc und Russell zu Leben erwecken. "Humanz" heißt auch das neue Gorillaz-Album – ein Titel, der bei kaum einem anderen Künstler besondere Beachtung finden würde, im Cartoon-Kontext aber höchst ironisch wird. Es ist ein Album über düstere Zeiten in der echten Welt – unseren – von einer unechten Band, deren unechte Welt über die Leinwand flimmert.

Quer durchs 21. Jahrhundert

Da bekämpfen die vier Comichelden mysteriöse Wesen, Kampfflieger – und Bruce Willis. Durch die Videoclips, entstanden zwischen 2001 und heute, kann man sich schon einmal fühlen, als würde man zwischen den bisherigen Jahren des aktuellen Jahrtausends hin und hergeschickt. Die fiktive Gitarristin Noodles war zu Beginn der Bandstory auch noch ein Kind und wechselt dementsprechend auf der Leinwand ständig das Alter.

Die Setlist unterstützt den Zeitreise-Effekt. Songs der vier Alben werden gleichmäßig über den Abend verteilt. Die Show wird eröffnet von "M1 A1" vom Debüt und "Last Living Souls" von "Demon Days" (2005). Fast jede Single wird gespielt: "19-2000", das besonders bittersüße "On Melancholy Hill" und natürlich auch "Clint Eastwood" gegen Ende des regulären Sets und "Feel Good, Inc" bei der Zugabe. 

Vor und hinter der Leinwand

Auf der Bühne scharrt Damon Albarn eine vielköpfige Liveband um sich, alleine die Backing-Sänger sind schon zu sechst. Außerdem gibt es tatkräftige Unterstützung von zahlreichen Gästen, so wie auch die Alben stark auf Features setzen. Peven Everett ist da, um seine Stimme dem "Humanz"-Highlight "Strobelite" zu leihen, später übernimmt er bei "Stylo" den Part des verstorbenen Bobby Womack. Die Londoner Rapperin Lil Simz, die auch den Support übernahm, kommt ebenfalls zweimal auf die Bühne. Dann wären da noch Jamie Principle und Zebra Katz sowie die prominentesten Gäste, die New Yorker Hip-Hop-Legenden De La Soul.

Diese große – und flexible – Besetzung ermöglicht den heterogenen Stilmix, der inzwischen genauso sehr für die Gorillaz steht wie die dazugehörigen Cartoons: Trip Hop, Disco, Indie Pop, Rap. Die ursprüngliche Idee, mit den Musikern die gewöhnlichen Stars einer Band hinter fiktiven Figuren zu verstecken, ist dafür allerdings in den Hintergrund getreten und das wörtlich: Anfangs spielten die Musiker bei Gorillaz-Shows hinter der Leinwand mit den Animationen, jetzt ist es andersrum.

Der unbestimmte Superstar

Die Distanz zum Star auf der Bühne wurde also wieder aufgehoben. Ganz im Gegenteil sind Gorillaz-Shows zu einer Star-Revue geworden, eben weil die Liste an Kollaborateuren und Live-Gästen inzwischen so lang ist. Und auch Damon Albarns Performance als Gorillaz-Frontmann unterscheidet sich kaum von seinem Bühnenauftreten bei Blur, den Gang ins Publikum – also die direkte Konfrontation mit dem Star – inklusive.

In den besungenen Themen und ihrer Präsentation ist die erfolgreichste virtuelle Band erstaunlich real geworden. Ob echt oder unecht: Die Leidenschaft für die damit verknüpfte Musik kann man dem Publikum sicher nicht absprechen. Der Innensaal in der restlos ausverkauften (und riesigen) Max-Schmeling-Halle ist bis auf die letzte Reihe in ständiger Bewegung, auf den Rängen verhält es sich kaum anders. Hier spielen Superstars und dass nicht offensichtlich ist, wer genau diese Stars denn jetzt sind, lässt ja doch einen letzten Rest Ambiguität aufblitzen.

Setlist

M1 A1 / Last Living Souls / Rhinestone Eyes / Tomorrow Comes Today / Every Planet We Reach Is Dead / Saturnz Barz / 19-2000 / Superfast Jellyfish / On Melancholy Hill / Ticker Tape / El Mañana / Strobelite / Andromeda / Sex Murder Party / Out of Body / Garage Palace / Stylo / Clint Eastwood / We Got the Power // Hong Kong / Kids with Guns / Feel Good Inc. / Don’t Get Lost in Heaven / Demon Days

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