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Impressionen Sonntag (Maifeldderby, 2015) © Achim Casper

Fünf Jahre Maifeld Derby und dazu (beinahe) Kaiserwetter. Die Festivalperle auf dem Mannheimer Maimarktgelände war auch 2015 wieder ein Hochgenuss.

Ist denn der Zirkus in der Stadt? Wer auf das Gelände des Maifeld Derby Festivals kommt, sieht Zelte vor sich. Riesiges "Palast-Zelt", kleineres "Brückenaward-Zelt" und dazwischen die große Fackelbühne für die Open Air-Shows. Hier wird überall gefeiert, doch wer ab und zu etwas Ruhe benötigt, begibt sich zum "Parcours D'Amour" im einen Steinwurf entfernten Reitstadion und lauscht den sanfteren Klängen.

Lust auf Musik

Geboten wird also immer etwas, und wer grad keinen Bock auf Musik hat, kauft ein paar Siebdrucke oder macht mit bei der sogenannten Steckenpferd-Dressur mit. Dort dürfen Erwachsene das Holzpferd aus vergangenen Kindertagen endlich einmal über ein richtiges Reitareal jagen.

Auch Poetry Slam und Kurzfilme dürfen nicht fehlen, aber das Wichtigste ist natürlich die Musik, für die alle hier sind. Und die legt am Freitag, dem ersten Tag des Maifeld Derby Festivals, schon ordentlich los. Den Anfang macht die junge Mannheimer Band Clayd, die mit ihrem epischen Indie-Rock einen überzeugenden Auftritt hinlegt.

In Russia Joy Division is listening to you

Dass Sonic Youth das Leitbild der See Through Dresses sind, kann man bei ihrem Auftritt im Brückenaward Zelt deutlich heraushören. Sogar die Bühnenshow der Amerikaner ist an das große Vorbild angelehnt. Ansonsten bietet die Band aus Nebraska solide Festivalkost, die für Shoegaze-Freunde auch daheim hörbar ist.

Wer sich kurz danach auf dem Parcours D'Amour einfindet, erlebt die eindringliche Stimme der jungen Irin Soak. Nur bewaffnet mit ihrer Gitarre beweist sie, warum sie in England viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Zuschauer lauschen andächtig.

Motorama waren schon im letzten Jahr auf dem Maifeld Derby vertreten, begeisterten damals aber so die Meute im kleinen Brückenaward-Zelt, dass sie 2015 gleich noch einmal kommen wollten und sollten. Wer sich fragt, welchen Einfluss Joy Division in Russland hatten, erhält die Antwort von der Band aus Rostow am Don auf der Fackelbühne präsentiert. Gut ist, dass sich Motorama nur an den herausragenden Joy Division-Songs orientiert zu haben scheinen. Weniger gut ist, dass die Band dadurch auch ziemlich überraschungsarm ist.

Nur für Kenner

Gisbert zu Knyphausen gehört am ersten Tag des Maifeld Derbys für viele zu den Highlights, wenn auch nicht für alle. Die Fans und Kenner feiern die Show des Rheingauers im großen Palastzelt, der Rest hört 65 Minuten lang ein und denselben Song. Dass zu Knyphausen mal mit, mal ohne Kid Kopphausen-Band auf der Bühne steht, ändert daran nichts.

Gleichzeitig spielt Morgan Delt im Brückenaward-Zelt vor der versammelten Meute und bietet abwechslungsreichere Kost. "Psych-Pop" stand im Programmheft des Festivals. Auch auf Platte klingt der Mann, als hätte er einen Soundtrack für einen kunterbunten Drogenfilm aus den 70er Jahren geschrieben. Live kommt noch eine Portion Rock oben drauf. Retro bleibt es immer.

Das Hipsterherz zerspringt vor Freude

Kurze Zeit später surfen wir auf der nächsten Retrowelle. Diesmal sind die Beach Boys an der Reihe beziehungsweise ihre Enkel, die Allah-Las aus Kalifornien. Die machen Surfpop und mischen (mal wieder) eine gehörige Portion Shoegaze, Garagenrock und ähnlichen Krempel unter. Das Hipsterherz zerspringt vor Freude, der Rest hat aber auch Spaß.

Headliner des ersten Festivaltags ist schließlich José González. Der Schwede steht, wie bereits Gisbert zu Knyphausen und Soak mit Akustikgitarre auf der Bühne, spielt mal mit, mal ohne Band im Hintergrund. Ein großes Publikum nur mit seiner Stimme und einer Gitarre zu unterhalten, ist keine leichte Aufgabe. Aber dank eines stimmigen Sets mit nur kleinen Längen schafft es José González, dieses Kunststück zu vollbringen.

Im zweiten Teil: der Samstag mit Sizarr, Foxygen, Mogwai und vielen Entdeckungen!

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Das gute Wetter hält am Samstag weiter an, und auch wenn das Festival-Volk am Nachmittag eher träge in die Puschen kommt, diejenigen Besucher, die neugierig auf Neues sind, werden wie immer gut unterhalten.

Wir starten in den Festival-Nachmittag mit den Traded Pilots aus Berlin: Das Trio mit deutsch-israelisch-kanadischen Wurzeln singt nach eigenem Bekunden eigentlich meistens Songs über Ex-Freunde. Dass diese aber durchaus Grund zur Freude bieten können – jedenfalls musikalisch – erweist sich auf dem Parcours D’Amour.

Parcours der Entdeckungen

Weg von harmonischer Mehrstimmigkeit und schwelgerischen Streicherklängen führen im Anschluss Joe Haege aus Portland und Fritz Brückner aus Leipzig alias Vin Blanc/White Wine. Rumpelnde Percussion-Parts, Ausflüge ins Publikum und eine schweisstreibende Performance des Tu Fawning-Gitarristen bringen mächtig Leben auf die sonst eher beschaulichen Parcours-Ränge.

Mit Amish Winehouse steht danach nicht nur die Band mit dem unernstesten Namen im Line-up auf der Bühne, sondern auch eine der ruhigsten. Der Parcours D’Amour ist wie geschaffen für die ätherischen, fragilen Akustik-Gespinste, die das belgische Trio mit Orgel, Akustikgitarre und einer in homöopathischen Dosen eingesetzten E-Gitarre in die Mannheimer Vorabendluft webt. Schön und melancholisch zugleich.

Düsterer Pop im Zelt

Heraus aus der Sonne und hinein ins diffuse Dunkel des Palastzeltes, wo sich eine respektable Menge versammelt hat, um dem Düster-Pop von The Soft Moon zu frönen. Der hat vor kurzem bereits Depeche Mode so überzeugt, dass sie Luis Vasqzez und seine Mitstreiter kurzerhand zum Tour-Opener auserkoren.

Dass Dave Gahan und Co. unweigerlich zu den Haupteinflüssen des inzwischen zur Band herangewachsenen Ein-Mann-Projekts zählen, ist nicht zu überhören und im Hinblick auf Optik und Ästhetik der Performance auch nicht zu übersehen. Doch vor allem die ausufernden perkussiven EDM-Parts versöhnen wieder mit dem Vorwurf des bloßen Epigonentums.

Wo ein Kreis kein O ist

Im Brückenaward-Zelt hat derweil ein illustres Grüppchen auf der Bühne Platz genommen – bezeichnenderweise im Kreis. So – nämlich O – heißt auch die Band. Eine große Kesselpauke und eine Drehleier ließen im Vorfeld schon erahnen, dass das was nun kommen wird, keine musikalische Alltagskost ist.

Und in der Tat. Während die Laufkundschaft zu großen Teilen nach einigen Minuten das Zelt wieder verlässt, bekommen die verbliebenen Zuhörer von den sieben Musikern ein intensives Wechselbad aus lauten und leisen, wütenden und sanften Klängen um die Ohren gehauen. Eine vollkommen runde Sache

Endlich hat auch Landau etwas zu bieten

Kanadische Bands erkennt man mittlerweile schon aus drei Kilometern Entfernung: Hier eine Prise Folk, dort ein Häufchen Indie, eine Fingerspitze Pop und Rock und fertig ist der Zuckerkuchen aus dem besseren Amerika. Abgerundet wird alles durch bittersüße Melancholie in den Texten und große Melodien. The Rural Alberta Advantage haben dieses Hitrezept kaum abgeändert und zaubern so auf der Fackelbühne ein Lächeln in die Gesichter der Zuschauer.

Noch melancholischer wird es bei Sizarr. Die Landauer könnten auch von den letzten Abenteuern der Glücksbärchis im Knuddelwald singen und trotzdem würden in der ersten Reihe vor der Bühne bittere Tränen fließen. Perfektere Indie-Pop-Songs kann man derzeit kaum hören. Gut für Landau, endlich kann die Stadt etwas zur Welt beitragen.

Piefig ist das neue nicht-piefig

Wieder nach draußen, zur Fackelbühne unter freiem Himmel. Dass Brand New in den USA seit Jahren dick im Geschäft sind, ist kein Wunder: Man kann kaum amerikanischere Rockmusik machen. Nur noch eine Frage der Zeit, bis sie einen FIFA-Soundtrack bereichern dürfen. Jedenfalls bieten sie den Rockfans ausreichend Gelegenheit zum Abfeiern und Mitgehen.

Die Headliner Archive liefern sehr vertrackten Trip-Hop/Prog-Rock, auf den wir uns nur schwer einstellen können. Lieber widmen wir uns dem wilden Leben der Orgel in ihrem natürlichen Jagdgebiet: Die Schweizer Band Klaus Johann Grobe haut im Brückenaward-Zelt dem Publikum dick die Pfeifentöne um die Ohren. Krautrock, 60s, alles gekonnt vereinigt zu einem wunderbaren Bandsound. Da schwingen einige zu Recht das Tanzbein.

Wilde Bühnenshows – und gar keine

Foxygen versuchen es danach mit der Popversion einer amerikanischen Kirchenmesse auf der Fackelbühne. Sänger Sam France turnt auf der Bühne im Showmasteranzug umher, während neben ihn drei Damen an ihren Mikrofonständern überbordend tanzen. Musikalisch ist das nicht sonderlich erinnerungswürdig, aber der schiere Wahnsinn der Show beeindruckt.

Es folgt der Headliner am Samstag und nein, der Soundtechniker ist nicht inkompetent: Mogwai sind eine laute Band. Eine sehr sehr laute Band. Und sogar im großen Palast-Zelt auf dem Maifeld Derby wollen und sollen die Glasgower Postrocker auch den letzten Ohrenschmalz aus den Gehörgängen der Zuschauer dröhnen. Das muss so sein.

Faszinierend dabei ist, dass die Band ohne aufwendige Bühnenperformance auskommt und trotzdem eine grandiose Atmosphäre schafft. 80 Minuten lang werden wir von Sound umspült, dass der Tinnitus sich mit Fiepsen überwirft.

Abschluss mit Tanzbarem

Als die letzten Klänge des bandgewordenen Volumepedals verklungen sind, hat der geneigte Maifeld-Besucher entweder die Möglichkeit, sich mit dem neuerdings recht tanzbaren Sound von Von Spar im (Tanz)palast in Ekstase zu wippen oder einfach nur mit geschlossenen Augen gen Feierabend zu schlendern.

Wer es lieber etwas wilder hat, kann sich im Brückenaward-Zelt mit dem Lo-Fi-Post-Punk von Iceage und dem anschließenden Was-auch-immer-Wahnsinn von The Garden in die 80er beamen lassen. Da grüßen The Birthday Party und David Bowie gleichermaßen. Schönen Gruß zurück!

Im dritten Teil. Der Sonntag auf dem Maifeld Derby mit großkotzigen Österreichern, der neuen Pfälzer Welle, englischer Düsternis und irischer Extravaganz

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Tag drei beim Maifeld-Derby und wieder scheint die Sonne ... Und zwar so, dass Wanda-Sänger Marco Michael Wanda angesichts der überdurchschnittlichen Sonnenbrillendichte das Hallen-Herbstkonzert seiner Band folgendermaßen bewarb: "Dann sehe ich auch mal eure echten Augen."

Paul Wellers Erben

Aber bis die Ösis der Kurpfalz den Wiener Walzer (und das Singen) beibrachten, gab es erst einmal jede Menge zu hören: Taymir aus den Niederlande zum Beispiel. Selbstbewusst bis zur Schmerzgrenze und jugendlich ungestüm frönten die Holländer im Brückenaward-Zelt dem Mod-Sound in Reinkultur – Fred-Perry-Ausstattervertrag offenbar inklusive.

Glasklarer Sound, ein unfassbar tighter Drummer und ein Basser, der neben seinem Instrument einen derart arroganten Blick beherrscht, sorgen für Bonuspunkte. Auch wenn sich hier wie so oft die Frage stellt, warum es Kopien braucht, wenn es doch Originale gibt, Paul Weller wäre stolz auf seine Enkel im Geiste.

Die Pfalz auf der Überholspur

Von wegen Provinz. Die Pfalz ist auf dem Vormarsch. Nach den Landauern von Sizarr steht nun mit Drangsal der nächste Act in den Startlöchern. Und schenkt man Deutschlands derzeit angesagtesten Indie-Produzenten Markus Ganter Glauben, dann ist Max Gruber das nächste große Ding.

Wirklich innovativ ist das, was der Herxheimer und seine noch blutjungen Mitstreiter im Brückenward-Zelt auf die Bühne bringen, zwar letzten Endes nicht und live muss vielleicht noch hier und da die Feile ran, aber die Marschrichtung stimmt: Wer The Smiths oder New Order mag, sollte mal rein hören.

Großkotzige Kettenraucher

Zurück im Sonnenschein sorgen gerade Waxahatchee mit chilligem Indierock auf der Fackelbühne für Lächeln und gute Laune und auf dem Parcours d’Amour haben es sich derweil Children bequem gemacht. Ein Spontankonzert im Vorjahr hatte dem Berliner Trio den Platz im diesjährigen Maifeld-Line Up beschert, und das Reitstadion ist genau der richtige Platz für ihre Sonntagnachmittagsmusik, mehrstimmig und mit viel Liebe zum Detail.

20 Minuten vor Ende des Konzerts bricht jedoch auf den Rängen des Parcours die große Aufbruchstimmung an. Wahre Scharen pilgern gen Fackelbühne, um eines der Highlights des Sonntags zu erleben. Wanda aus Österreich sind derzeit everybodys darling – und wenn man die Band gesehen hat, weiß man auch warum. Sympathisch großkotzig wie es eben nur Wiener können, nudeln sich die Jungs kettenrauchend durch ihr Set. Immer wieder macht ein "Amore" die Runde, lange bevor Sänger Marco endlich Bologna anstimmt und die Menge laut mitsingt. "Es ist schön bei dir" heißt es in "Stehengelassene Weinflaschen" – es war schön mit euch, sagen wir. Oder wie der Wiener sagt: leiwand!

Ansturm auf das Brückenaward-Zelt

Dann heißt es ab ins Palastzelt, wo Fink alle Befürchtungen zerstreut, dass das Zelt zu groß und bombastisch für den intimen und verletzlichen Sound des Engländers ist. Mit einer exzellenten Liveband zaubert Fin Greenall seine fragilen Songschönheiten in die Atmosphäre – mal düster-bluesig, mal einfach nur herzerweichend. In den repetitiven Rhythmen konnte man Zeit und Ort vergessen. Schön.

Ein letzter Blick ins Brückenaward-Zelt: Zum kleinen Finale hatten Brns (Brains) dieses in Dunkelheit gehüllt. Die Belgier heimsten mit großen Melodien und energischem Post-Rock mit Herz und Hirn ganz nebenbei den Besucherrekord im Brückenaward-Zelt ein: So voll war es selten zuvor. Am erstaunlichsten war es aber, zu sehen, wie Schlagzeuger Tim Philippe es fertigbringt, zu seinen vertrackten Beats auch noch so sauber und gerade zu singen. Nach dem hymnischen "Our Lights" lagen sich nicht nur die Brückenaward-Zelt-Macher in den Armen, sondern sicher auch einige Zuschauer – da wurde das kleine schnell zum heimlichen großen Finale – und das bei der zeitgleichen "Konkurrenz" auf der Hauptbühne.

Zum Abschluss alle Register gezogen

Den Extrapunkt für die extravagante Bühnenshow verdient dieses Jahr eindeutig Róisín Murphy. "Es wird heiß, schweißtreibend und heftig werden", hatte die Irin im Vorfeld angekündigt – alle drei Faktoren trafen zu. Dass die Ex-Moloko-Sängerin selbst dabei ordentlich ins Schwitzen kam, ist anzunehmen, so oft wie die Dame das Outfit wechselte: Von retro-futuristisch bis Varieté – Frau Murphy zog optisch wie musikalisch alle Register, gab sich mal lasziv mal burschikos.

Auch hier sorgte eine exzellente Liveband im Hintergrund dafür, dass die Beats saßen wie sie sollten und die Menge gab noch einmal alles. Glückliche Gesichter allenthalben, und bei der frenetisch erklatschten Zugabe "Non Credere" wurden auf der Empore eng umklammerte Stehblues-Pärchen gesichtet. Der Song war Programm, denn einige konnten sicher nicht glauben, dass das schönste Festival der Kurpfalz schon wieder Geschichte ist.

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