Die Band Nena auf einem alten Pressefoto Fotostrecke starten

Die Band Nena auf einem alten Pressefoto © 1983, CBS, Jim Rakete (Quelle: nenafan.de)

Dieses Jahr wird Nenas Debütalbum 30 Jahre alt. Veröffentlicht wurde es am 14. Januar 1983. Eine willkommene Gelegenheit, diese Platte nochmal aufzulegen und mit dem Abstand der vielen Jahre erneut hinzuhören.

West-Berlin, Frühling 1982. Eine muntere Truppe dreier junger Menschen versammelt sich auf Geheiß der beiden Spliff-Musiker Praeker und Heil im Studio, um mit dieser Wahlberlinerin aus Hagen, Gabriele Susanne Kerner, den Song Nur geträumt aufzunehmen.

Man wollte es mal auf Deutsch probieren, schließlich hatte man nichts zu verlieren. Zumindest Sängerin Nena nicht, denn die hatte erst jüngst mit ihrer Band The Stripes einen veritablen LP-Flop zu verzeichnen gehabt, der zugleich auch das Ende jener Band bedeutete.

Jetzt arbeitete Nena im Büro des Spliff-Managements und sichtete dort die Fanpost. So will es zumindest die Legende. Den tatsächlichen Umständen wohnt möglicherweise etwas weniger märchenhafter Zauber inne. Wie auch immer – an jenem Berliner Frühlingstag im Jahre 1982 wurde deutsche Nachkriegsmusikgeschichte geschrieben.

Alles andere als ein Flop

Zunächst interessierte sich für Nur geträumt aber keine Sau. Die Single lag wie Blei in den Regalen. Das änderte sich jedoch, als Nena (die Band) im August desselben Jahres einen Auftritt in Manfred Sexauers TV-Sendung "Musikladen" absolvierten. Von da an ging es steil bergauf und die Single notierte alsbald am oberen Ende der Charts.

Und dieser Lauf hielt an, mehr noch: der Nachfolgehit 99 Luftballons geriet zu einem noch viel größeren Smash und gelangte sogar über einige dubiose Kanäle nach Übersee. Dort fiel er in die Hände der in Los Angeles ansässigen DJ-Koryphäe Rodney Bingenheimer, der augenblicklich mehrere Narren an der Nummer gefressen hatte.

Der Rest ist Geschichte und für die nicht ganz Spätgeborenen unter uns sicher wohlbekannt: die deutsche Version erreichte Platz 2 der US-Charts und wurde damit zur erfolgreichsten deutschsprachigen Single der US-Chartgeschichte. Eine später veröffentlichte englischsprachige Version war ebenfalls erfolgreich.

NDW

Nena befanden sich auf Raketenkurs, keiner konnte sie stoppen und eine Neue Deutsche Welle ward aus der Taufe gehoben, die mit dem ursprünglichen NDW-Gedanken mehr oder weniger gar nichts gemein hatte. Doch diese Welle neuer deutschsprachiger Popmusik brauchte spätestens 1983 einen entsprechenden Namen. Das Debütalbum verkaufte sich prächtig und gab dem damaligen Zeitgeist scheinbar im Alleingang allerlei fette Nahrung.

Sogar ein Kinofilm musste bald darauf noch her, um die Marke "Nena" und deutschprachige Popmusik weiter zu etablieren. Für die Hagener "Göre" und "ihre Jungs" konnte es besser also nicht laufen. Und es lief ja bekanntlich dann auch noch einige Jährchen so, ehe es zum Bruch kam.

weiterlesen: Wir hören uns Nena nochmal an

Weiterlesen im 2. Teil ›

Teil 1  Teil 2  

Teil 1  Teil 2  

Der Nerv der Zeit

Hört man sich das Nena-Debüt heute an, ist man zunächst erstaunt, wie konventionell und altbacken es über weite Strecken klingt. Im Prinzip sind diese 12 Songs nichts weiter als Schlager-Updates, die unverkennbar den Geist der Wirtschaftswunderjahre in sich tragen. Angepasst natürlich an die seinerzeit aktuelle Strömungen und Gefühlslagen: Mauer, Friedensbewegung, Auf- und Abrüstung, Pershing-2, Punk, Zukunftsangst.

Jedenfalls trafen Nena mit ihren Songs den Nerv der Zeit der damaligen Bunderespublik mit geradezu absurder Brillanz. Handwerklich versiert waren sie ja und Nena traf eigentlich auch immer stets die Töne. Dennoch sind von den 12 Stücken auf dem Album aus heutiger Sicht aber mindestens zwei Drittel vergessenswert.

Textlich geht es ohnehin meist banal zu: Mädel ist unglücklich, trifft Jungen, beide fahren entweder bis ans Ende der Welt oder trennen sich schon auf halber Strecke. Man leidet natürlich nicht unter Gebühr, aber zur Katastrophe kommt es dann doch nie. Irgendwie geht es immer weiter und zur Not bleibt ja noch der jeweilige Augenblick. Schlager eben.

Zwischen Kitsch und Emotion

Es gibt allerdings auch Ausnahmen auf dem Album. Stücke, die merkwürdig zeitlos wirken und die den schmalen Grat zwischen Kitsch und Emotion richtig gut meistern. Eine wahre Perle auf der Platte ist beispielsweise Tanz auf dem Vulkan: Ein Kleinod aus Herzschmerz, schrägen Metaphern und süßer, somnambuler Melancholie, das erstklassig funktioniert und eine beeindruckende Facette kommerzieller, deutschsprachiger Popmusik darstellt.

Seltsamerweise ist dies auch das einzige Stück des Albums, bei dem Frl. Kerner einen Songwriter-Credit zugestanden bekam. Ob da wohl künftig noch mehr draus zu machen gewesen wäre? Keiner weiß es. Vollmond ist ein weiteres Highlight: "Heute ist Vollmond und die Nacht ruft nach mir, komm' mit mir tanzen und ich küss' dich dafür".

Wieder diese Schlagerzeilen, naiv und unbedarft, eingebettet in einen charmanten kleinen Popsong, der mit jugendlicher Unschuldsmiene und verträumter Einsamkeit zumindest die erste Phase der 80er sicher recht präzise umschreibt: Nacht, Tanzen, Küssen und im Hintergrund tickt stets so eine omnipräsente, imaginäre Uhr, denn "der Zauber hält nur eine Nacht lang".

30 Jahre ist's her

Nun geht das Nena-Debüt also in die Jubiläumsrunde. 30 Jahre soll das alles schon her sein. Und dass man sich darüber verwundert ans Haupt fasst und das alles gar nicht richtig glauben will, hat vermutlich weniger mit verklärender Nostalgie, als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass sich in diesen 30 Jahren musikalisch in Deutschland doch nicht sehr viel verändert hat.

Es stößt immer noch die alte Schlagermentalität auf breite Akzeptanz, manchmal mehr, manchmal weniger plump aufbereitet, aber im Gewand eines Popsong doch meist auf der Gewinnerseite. Und genau das war ja auch im Frühjahr 1982 der Fall, als die Rezeptur der altbekannten Gassenhauer nur leicht verändert werden musste, um den musikgeschichtlichen Zeitnerv ins Mark zu treffen.

Man tut sicherlich gut daran, sich Nena nochmal vor Augen (und in die Gehörgänge) zu führen, auch um nochmal so ein bisschen an dem mittlerweile sicherlich nur allzu gerne verdrängten "Gib Gas, ich will Spaß"-Flair knabbern zu können, denn: "Zeiten ändern dich".

‹ Zum 1. Teil

Teil 1  Teil 2  

Alles zum Thema:

nena