Depeche Mode (live in Mannheim, 2014)

Depeche Mode (live in Mannheim, 2014) © Rudi Brand

Alle scheinen sie gekommen zu sein: Anlageberater, Schüler, Mütter, Dreadlocks, die Ergrauten, die Teens... Depeche Mode gehören sicher zu den wenigen Bands, denen ein solcher Rundumschlag in Sachen Fans gelingt.

Ziemlich pünktlich entern die New Yorker The Bravery die Bühne und performen ihren bereits über ein Jahr alten, gleichnamigen Erstling, der hierzulande neben Bands wie Bloc Party oder The Killers leider etwas untergegangen ist. Sie sind etwas elektronischer als diese und auch die Stimme Sam Endicotts passt mehr zur New Wave Ära – und spätestens nachdem die 5 Jungs an diesem Abend "An Honest Mistake" performen wird klar, dass sie eine passende Wahl als Vorband darstellen.

Das Publikum quittiert The Braverys Bemühungen mit freundlichem Applaus. In einem kleinen Club sind sie sicher hot - aber im Vergleich mit Depeche Mode nicht mager dazustehen ist, wie der weitere Abend zeigt, äußerst schwer.

Die SAP-Arena verdunkelt sich, ein Tosen und Tönen nahe der Schmerzgrenze wird laut, als Depeche Mode die Bühne im Halbschatten betreten. Gänsehaut-Feeling schon bei den ersten Takten von A Pain that I’m used to - Dave Gahan  von der ersten Sekunde an so präsent, dass jeder sich die Seele aus dem Leib kreischt.

Das Bühnenbild ist wie immer imposant und stark in der Futuristik des Precious-Videos verhaftet und wie bereits auf der Exciter-Tour laufen im Hintergrund Video-Installationen – dieses Mal auf mehreren, teils überlappenden LCD- Bildschirmen, die unter anderem das Geschehen auf der Bühne im Zusammenspiel mit anderen Bildern präsentieren.

Nach den ersten beiden Songs von der aktuellen Playing the Angel spielen sie bereits den ersten alten Hit Question of Time, bei dem Dave Gahan unter Beweis stellt, dass er sich immer noch höllisch schnell mit dem Mikroständer um sich selbst drehen kann. Überhaupt straft er alle Lügen, die nach dem verhaltenen "Wetten, dass" - Auftritt vom alternden Gahan sprachen. Dieser Mann scheint vor Energie geradezu zu bersten und tanzt und hüpft wie ein Berserker von einem Bühnenende zum anderen und stellt nachhaltig unter Beweis, dass er den mit  Abstand sexiesten Hüftschwung hat.

Natürlich hat auch Martin Gore seine Parts, wenn er performed wird das Tempo grundsätzlich etwas herausgenommen. Nicht allein weil er die ruhigeren Songs singt - die Show lebt einfach von Gahan.

Musikalisch temporeich scheint man insgesamt wieder stärker den härteren Sounds zugetan, beispielsweise bei John the Revelator. Und selbst bei den ruhigeren Songs The Sinner in me oder I want it all wummern leise die Industrial-Beats. Nahezu infernalischer Industrielärm tost auch zum Intro von Behind the Wheel.

Das Set besteht zwar überwiegend aus den neuen (wohlgemerkt großartigen) Songs, allerdings werden die alten großen Hits im richtigen Maß eingestreut. Klar, dass alle bei "Policy of Truth", "Walking in my shoes", "I feel you", "Everything Counts", "Never let me down again" (…) noch textsicherer und noch lauter sind – so kann Gahan auch immer wieder getrost das Publikum singen lassen.

Auch klar, dass der Depeche Mode Fan anhand einer Zeichentrickkrone auf der Videoleinwand Enjoy the Silence einzustimmen weiß. Man hat seine Fans fest im Griff, lässt immer wieder deren Hände und deren Puls hochschnellen.

Kalkulierte Magie –  die bis in den letzten Rang gefüllte SAP-Arena singt und klatscht mit, allein ein Blick auf dieses Panorama bringt die Gänsehaut jederzeit ganz schnell zurück. Die vom Fanclub zuvor verteilten Leuchtstäbe werden geschwungen und bei Just can’t get enough schwenken alle ein Din A3 Papier mit  "We just cant get enough" (nur die dortige Anweisung, man solle WE just cant get enough singen, funktioniert nicht ganz – zu textsicher ist das Publikum und singt richtig). Nachdem die Leuchtstäbe alle auf Dave fliegen, droht der kurzerhand mal mit dem Mikroständer. Aber das lässt sich alles unter willenlosem Enthusiasmus verbuchen, der alle bis zur letzten Sekunde des Gute-Nacht-Liedes "Goodnight Lovers", am Ende der zweiten Zugabe, gefangen hält.

Im direkten Vergleich zur Exciter-Tour ist die "Touring the angel"-Tour  absolute Gewinnerin. Nicht, dass es damals nicht auch großartig gewesen wäre, aber abgesehen davon, dass die aktuelle Platte einfach stärker ist, scheint vor allem Dave Gahan in den letzten 5 Jahren einen Verjüngungsprozess durchlebt zu haben. Wähnte man sich 2001 noch auf der eventuell letzten Tour Depeche Modes, kann man sich jetzt noch viele weitere Tourneen vorstellen. Allerdings entzieht es sich meinem Vorstellungsvermögen, wie das noch besser werden könnte, beziehungsweise wie man solch Dauergänsehaut und Strapazieren der Stimmbänder noch viele Jahre durchhalten soll.

Dieses Mal war’s auf jeden Fall ein Hammerschlag - kein Wunder verhallten die Gesänge und das Oh Oh Oh Oh von Leaving in silence auch in der Straßenbahn gen Mannheim nicht…

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