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Roger Waters (live in Frankfurt 2023) © Torsten Reitz

Über nur wenige Konzerte wurde in der Geschichte des Landes so erbittert gestritten wie über den Auftritt von Roger Waters in der Frankfurter Festhalle. Am Ende erweist sich das Konzert als typische Roger Waters-Show, die aber doch mit Überraschungen aufwartet.

Im Vorfeld des Auftritts von Roger Waters in der Frankfurter Festhalle war es schwer zu entscheiden, über wen man sich mehr ärgern sollte. Über Roger Waters, der mit extremen, israelkritischen Äußerungen hart an der Grenze zum Antisemitismus für eine massive Kontroverse sorgte oder über die zahlreichen Frankfurter Kommunalpolitiker, die sich mit einer von Beginn an zum Scheitern verurteilten Symbolpolitik bis auf die Knochen blamierten.

Die Sache mit der Festhalle

Besonders befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang das komplett unlogische Argument, Roger Waters dürfe aufgrund des ihm vorgeworfenen Antisemitismus nicht in der Festhalle auftreten, weil jüdische Deutsche während der NS-Diktatur im Jahr 1938 dort gedemütigt, misshandelt und in Konzentrationslager deportiert wurden.

Zwischen der Verfolgung und massenhaften Ermordung von jüdischen Deutschen zwischen 1933 und 1945 und dem Konzert besteht aber kein sachlicher Zusammenhang. Mit der gleichen Logik könnte man Auftritte von Roger Waters in ganz Deutschland verbieten, denn in der Zeit der NS-Diktatur wurden jüdische Deutsche überall im Land misshandelt, enteignet, zur Auswanderung gezwungen und schließlich ermordet.

"Gebäude sind nie schuld. Es sind immer die Menschen, die etwas gemacht haben", erklärt Historiker Wolfgang Voigt in dankenswerter Klarheit gegenüber der hessenschau. Versuche von Stadt und Land, den rechtsgültigen Vertrag zwischen Veranstalter und Messe Frankfurt zu kündigen, scheiterten dementsprechend vor Gericht. Ganz nebenbei: Über Konzerte von fragwürdigen Bands wie den Onkelz oder Frei.Wild in der Festhalle hat sich bislang niemand öffentlich aufgeregt.

Totale Selbstüberschätzung

Roger Waters ist aus der Kontroverse aber keineswegs als strahlender Sieger hervorgegangen. In einem im Spiegel veröffentlichten Gespräch mit Meron Mendel, dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, verhält sich Waters herrisch, unleidlich und aggressiv – und lässt den um einen ernsthaften Dialog bemühten Mendel abblitzen. In Waters Weltbild sind die Palästinenser immer die Opfer und die Israelis immer die Täter. In Wirklichkeit gibt es seit Beginn der Geschichte des Staates Israel Opfer und Täter auf beiden Seiten – eine Tatsache, die Waters komplett ignoriert.

Als er von Mendel auf die aggressiven Machenschaften der Israel-Boykottorganisation BDS angesprochen wird, die vor Gewalt gegen friedenswillige Palästinenser nicht zurückschreckt, verweigert er die Auseinandersetzung damit. Dass der wohl prominenteste Unterstützer von BDS offensichtlich nicht gewillt ist, sich mit dem Charakter der von ihm protegierten Organisation auseinanderzusetzen, ist ein Armutszeugnis für Waters.

Dass das Konzert in Frankfurt kurz vor der Absage stand, liegt eben nicht nur daran, was Waters sagt, sondern wie er es sagt und wie er auftritt. Die maßlose Selbstüberschätzung tritt offen zutage, wenn Roger Waters in einer so komplexen Frage wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt darauf beharrt, dass die Lage eigentlich ganz einfach ist, wenn nur geschehen würde, was er für richtig hält.

Ein kleines Entgegenkommen

Die Kontroverse verfolgt Waters auch in die Festhalle, denn zusätzlich zu den Protestierenden auf dem Vorplatz haben sich auch einige Zuschauer mit Israel-Flaggen eingefunden. Einer der Zuschauer springt sogar auf die Bühne, bevor er von der Security überwältigt und nach draußen abgeführt wird. 

Dass die Debatte über die Absage des Frankfurter Konzerts aber auch an Roger Waters keineswegs spurlos hervorgegangen ist, zeigt sich bei mehreren langen Ansprachen im ersten Set. Zunächst betont Waters, kein Antisemit zu sein und erklärt, er habe sein ganzes Leben lang gegen Faschismus und Unterdrückung gekämpft.

Dann erklärt er, aus Respekt für die 1938 in der Festhalle zusammengetriebenen und später deportierten Juden nicht seinen SS-ähnlichen Ledermantel anzuziehen, der ihm viel Kritik und ein Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung eingebracht hat. Es ist ein Entgegenkommen in symbolischer Hinsicht, nicht in inhaltlicher, aber immerhin ist es eines.

Schließlich übermannen ihn seine Emotionen und Waters setzt sich kurz und weint. Die Zuschauer spenden heftig Applaus, der ihn wohl trösten und aufmuntern soll. In diesem Augenblick wirkt Waters verletzlich und menschlicher, als in einer sonst auf maximalen Effekt durchinszenierten Show. Und um die soll es ab jetzt gehen.

Auf Überwältigung angelegt

Wie üblich setzt Roger Waters darauf, das Publikum mit einer Flut aus Bildern und Musik zu überwältigen. Zu allen Liedern laufen aufwändige Videos auf den Leinwänden, die manchmal von der Musik ablenken, vor allem, wenn dort längere Texte zu lesen sind.

Dennoch ist die Inszenierung vom Feinsten. Waters performt auf einer "vierarmigen" Bühne in der Mitte der Halle, die von großen Videoleinwänden überragt wird. Dadurch haben die Zuschauer in der Festhalle von vielen Seiten aus guten Einblick, obwohl manche naturgemäß näher am Geschehen sind als andere.

Pink Floyd ohne Gilmour

Die Inszenierung der klassischen Pink Floyd-Stücke gelingt auf der aktuellen Tour besser als manchmal in der Vergangenheit. Die wirklich hörenswerten Versionen von "Have A Cigar", "Wish You Were Here" und "Shine On You Crazy Diamond" werden mit Bildern aus der Frühzeit der Band und kurzen Geschichten über Syd Barrett inszeniert.

Dabei fehlt eine Person aber völlig, und zwar David Gilmour. Nach der heftigen Eskalation des Streits zwischen beiden, überrascht das nicht völlig, wirkt aber dennoch unnötig revisionistisch. Mit Sicherheit steht auch die musikalisch fragwürdige Entscheidung, "Comfortably Numb" ohne das klassische Gitarrensolo zu spielen damit in Zusammenhang. 

Während "Sheep" mit den kämpfenden "Resist"-Schafen fast schon unfreiwillig komisch wirkt, zählt die Aufführung der zweiten Seite der Original-Version von "The Dark Side Of The Moon" zu den Höhepunkten des Abends. Die Kraft dieser Musik wirkt auch noch Jahrzehnte später eindrucksvoll, vor allem wenn sie – bei aller Intensität – ein wenig Luft zum Atmen besitzt.

Neue Entwicklungen

Aus seinen Solo-Werken ragt "Two Suns in the Sunset" heraus, nominell ein Pink Floyd-Lied von dem  unterschätzten 1983er-Album "The Final Cut", aber eigentlich eine reine Waters-Nummer über die Vernichtung der Menschheit durch einen Atomkrieg. 

Waters benutzt seine leidenschaftliche Ablehnung von Krieg mit dem Appell, Atomwaffen abzuschaffen – und vertritt damit ausnahmsweise eine wenig kontroverse Haltung.

Auch die beiden Teile von "The Bar", die wohl Teil einer längeren Geschichte über Native Americans sind, besitzen durchaus Klasse, verbunden natürlich mit einer politischen Botschaft. 

Waters Stimme besitzt allerdings nicht mehr die Kraft und Geschmeidigkeit früherer Jahre. Das ist angesichts seines Alters nicht überraschend, aber im Vergleich zu den vorherigen Touren lässt sich ein Unterschied feststellen. Ansonsten wirkt Waters aber beneidenswert gut in Form.

Die übrigen Bandmitglieder, namentlich Jonathan Wilson und die beiden Backgroundsängerinnen, sind aber so gut in die Show eingebunden, dass diese Defizite kaum auffallen.

Die ganze restliche Politik

Obwohl die Palästinenser während des gesamten Abends immer wieder prominent gefeatured werden, thematisiert Waters auch alle anderen möglichen Themen. Kritik an den USA ist allgegenwärtig, von Kriegsverbrechen im Irak und anderswo über Polizeigewalt, die Behandlung der Native Americans und vieles weitere. 

In diesem Zusammenhang wirkt es ein bisschen seltsam, dass europäische oder britische Themen so gar keine Rolle spielen. Es überwiegt daher der Eindruck, dass sich Waters teilweise immer noch an dem abarbeitet, was 1983 aktuell war. Anders lässt sich jedenfalls die Einblendung mehrerer Videos von Ronald Reagan kaum erklären.

Euphorisches Publikum

Das Publikum reagiert insbesondere auf die Musik von Pink Floyd mit absoluter Begeisterung. Es sind im übrigen nicht nur alte Männer gekommen: Der Altersschnitt ist erstaunlich gemischt. Ebenso hat Roger Waters viele internationale Fans in der Festhalle versammelt, wie die Vielfalt an gesprochenen Sprachen zeigt. Man fragt sich unwillkürlich, wie viele dieser internationalen Zuschauer die Kontroverse um das Konzert überhaupt mitbekommen haben.

Insgesamt war das Konzert besser, als man nach den Geschehnissen im Vorfeld erwarten durfte. Dazu trug bei, dass die "This Is Not A Drill"-Tour besser inszeniert ist und einen besseren Flow besitzt, als die vorherige Tour. Die Musik von Pink Floyd ist über jeden Zweifel erhaben und auch einige der Solostücke beweisen, dass Waters immer noch zu herausragenden künstlerischen Leistungen in der Lage ist.

Setlist

Set 1: Comfortably Numb / The Happiest Days of Our Lives / Another Brick in the Wall, Part 2 & Part 3 / The Powers That Be / The Bravery of Being Out of Range / The Bar / Have a Cigar / Wish You Were Here / Shine On You Crazy Diamond (Parts VI-IX) / Sheep / Set 2: In the Flesh / Run Like Hell / Stop / Déjà Vu / Déjà Vu (Reprise) / Is This the Life We Really Want? / Money / Us and Them / Any Colour You Like / Brain Damage / Eclipse // Two Suns in the Sunset / The Bar (Reprise) / Outside the Wall

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