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John Cale (live in Frankfurt, 2023) © Rudolf Uhrig

Im Alter von 80 Jahren stehen die meisten Menschen Veränderungen nicht mehr aufgeschlossen gegenüber. Anders John Cale: Der Walliser zeigt sich in der Frankfurter Batschkapp unverändert radikal, kreativ und bestrebt, sich neu zu erfinden.

John Cale ist nicht der einzige Musiker seiner Generation, der immer noch auf Tour geht, aber er ist einer der wenigen, der musikalisch ständig in Bewegung zu sein scheint, getrieben von dem Willen, sich nie zu wiederholen.

Das Konzert in der gut gefüllten, bestuhlten Batschkapp bietet den Zuschauern also Gelegenheit zur Wiederentdeckung des reichhaltigen Werks des 80-jährigen. 

Klassiker in neuem Gewand

Darunter befinden sich vergleichsweise geradlinige Versionen von Klassikern wie "Guts" und "Cable Hogue", wobei letzteres sich durch ein wesentlich schnelleres Tempo und ein prägnantes Gitarrenriff von der verträumten Originalversion abhebt.

Andere Klassiker werden weitaus stärker dekonstruiert. "Half Past France" besitzt mit der übernächtigten Version auf "Paris 1919" kaum eine Gemeinsamkeit. Cale dehnt und verfremdet das Stück, die originale Komposition dient ihm dabei nur als Ausgangspunkt.

Das neue "Half Past France" zeichnet sich durch ein extrem langsames Tempo, eine sparsame Instrumenation und eine düsterere, intensive Atmosphäre aus, die Cale nutzt, um jedes Wort des Original-Songs sorgsam zu inszenieren. 

Starker Gesameindruck

Es ist durchaus beeindruckend, wie gut John Cales Gesang immer noch ist. Egal, ob schnell und giftig oder langsam(er) und melodiös, er beherrscht nach wie vor die verschiedenen Ausdrucksweisen, die für seine Musik charakteristisch sind.

Unterstützt wird er von einem klassischen Rocktrio aus weitaus jüngeren Musikern, das seine stilistisch sehr unterschiedlichen Stücke angemessen in Szene zu setzen vermag. Manchmal droht Cales Klavierspiel im gitarrenlastigen Gesamtsound etwas unterzugehen, aber insgesamt klingt die Band im besten Sinn gegenwärtig und modern. 

Bedrückender Höhepunkt

John Cale spielt nicht weniger als fünf Songs von seinem neuen Album "Mercy", die sich teilweise signifikant von den Studioversionen unterscheiden. Dabei sticht die Single "Night Crawling" durch ihren vorwärtstreibenden Beat hervor. "Mercy" und "Out Your Window" sind geradlinige, aber nicht überaus aufregende Popsongs, bei denen die Melodie im Mittelpunkt steht. 

Herzstück des Konzerts ist aber das bedrückende "Wasteland" von "Black Acetate", das Cales entrückten, beschwörenden Gesang mit einer düsteren, wabernden musikalischen Atmosphäre und den verstörenden Projektionen einer völlig abgemagerten Frau auf der kleinen Leinwand kombiniert. 

Überraschung zum Abschluss

Eine Überraschung ist "Villa Albani" von "Carribean Sunset", einem seiner schwächeren Alben. Auch dieses Lied erfährt eine völlige Neubearbeitung, die den lebhaften Kern des Songs herausarbeitet und die 80er-Produktionsmissgriffe beseitigt.

Als Cale die Bühne verlässt, spenden die Zuschauer minutenlangen Applaus. Als viele schon nicht mehr damit rechnen, kehrt Cale zurück und spielt mit seiner Band "Waiting For The Man" in einer Version, die genauso druckvoll und radikal wirkt wie die berühmte Velvet Underground-Version. 

Zum Abschluss winkt der sichtlich gut gelaunte John Cale freundlich ins Publikum. Man kann nur hoffen, dass er noch lange so fit ist, um auf Tour zu gehen.

Setlist

Jumbo in tha Modernworld / Moonstruck (Nico's Song) / Rosegarden Funeral of Sores / Mercy / Night Crawling / Wasteland / Guts / Noise of You / Cable Hogue / Half Past France / Out Your Window / Villa Albani // I'm Waiting for the Man

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