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Impressionen vom Primavera Sound Festival 2022 in Barcelona (3) © Christian Bertrand

Ist nach zwanzig Jahren Primavera Sound – das Ende einer Legende nahe? Das einstige überschaubare Primavera Sound Festival in Barcelona hat 2022 alle bisherigen Dimensionen gesprengt - und das hat negative Folgen für das Festivalerlebnis.

Es hatte sich bereits angekündigt: Das Primavera Sound geht den Weg aller erfolgreichen Festivals und wird vom Geheimtipp zum internationalen Mega-Event.

Bereits vor der Pandemie gaben die Macher bekannt, dass das Festival nun zusätzlich zu Barcelona und Porto nun auch noch in Santiago de Chile, Los Angeles, São Paulo und Buenos Aires stattfinden wird. Ähnlich wie beim Lollapalooza weicht damit der ursprüngliche Zauber des katalanischen Gewächses den profitorientierten Interessen der Kapitalgeber.

Zurück in neuer Größe

Nach der allgemeinen Zwangspause der letzten beiden Jahre hatten sich die Macher um Gabi Ruiz etwas ganz Besonderes vorgenommen und wollten mit insgesamt zwölf (!) Tagen Primavera Sound in Barcelona alles bisher Dagewesene übertreffen. Das gelang zwar, nur leider viel zu oft im Negativen. Bereits vor dem offiziellen Anpfiff mit den ersten Konzerten im Stadtzentrum am Mittwoch gab es einige Absagen.

Darunter waren auch Headliner wie Massive Attack, die komplett ausfielen, oder The Strokes, die COVID-bedingt ihren Auftritt am ersten Wochenende absagen mussten. Unter den zahlreichen weiteren Absagen sind noch Turnstile und Bikini Kill erwähnenswert, die exemplarisch für das stehen, was das Primavera Sound so spannend macht: Ein hervorragendes Line-Up, das gehypte Newcomer und Genre-Legenden gleichermaßen berücksichtigt.

Mangelnde Besucherkoordination 

Leider war auch der Start zum ersten Teil des Hauptevents im Parc del Forum von zahlreichen Pannen und anhaltenden Beschwerden geplagt. Bereits früh am Donnerstagabend wirkte das im Nord-Osten der Stadt gelegene Gelände stark überfüllt. Eigentlich bietet dieser künstlich gestaltete Küstenabschnitt eine hervorragende Kulisse für ein Musikfestival und trug bisher zum einmaligen Flair des Primavera Sound bei.

Dieses Jahr war auf den verschiedenen mittleren und kleineren Bühnen allerdings oft kein Durchkommen mehr und zahlreiche Besucher beklagten die mangelnde Koordination der Besucherströme. Selbst vor den Bühnen der Headliner, die auf einem weitläufigen und flachen Gelände etwas abseits des Parc del Forum aufgebaut waren, kam es zu starkem Gedränge.

Zunehmende Kommerzialisierung

Insgesamt konnte das diesjährige Layout des Geländes mit früheren Jahren nicht mithalten und der oft schlecht abgemischte Sound schwappte viel zu oft von einer Bühne auf die andere. Auch die beiden Hauptbühnen standen sich nicht mehr gegenüber, was in den Jahren davor für kontinuierliche Bewegung eines Großteils des Publikums sorgte. Vielmehr standen die Bühnen dieses Jahr unmittelbar nebeneinander, was sicherlich zu der dichten Konzentration an Besuchern beitrug und zu teilweise besorgniserregenden Berichten auf Twitter und Instagram führte.

Ihnen gegenüber waren die riesigen Tribünen für Besucher mit einem VIP-Ticket aufgebaut, deren Blick auf die Bühnen allerdings von den Mischpult-Anlagen und einem Turm exklusiv für Künstler und geladene Gäste verdeckt war. Zwar konnten die VIP-Gäste das Geschehen auf einer riesigen Videoleinwand verfolgen, oft aber erst, nachdem die Werbung für die zahlreichen Sponsoren eingespielt worden war, was nicht selten zwei bis drei Minuten dauerte.

Überfüllung an den Getränkeständen

An den wenigen und unterbesetzten Getränkeständen bildeten sich lange Schlangen, oft mit Wartezeiten von über einer Stunde. Wasser war Mangelware, was bei den hohen Temperaturen insbesondere für die zahlreichen Besucher aus dem Vereinigten Königreich ein Problem darstellte.

Auch die angeblich unter dem Banner der Nachhaltigkeit getroffene Entscheidung, die Becher der Besucher einfach erneut zu befüllen, anstatt stark nachgefragte Getränke wie Bier vorzubereiten, kostete wertvolle Zeit. Darüber hinaus wirkte diese Entscheidung in Anbetracht der anhaltenden Pandemie mehr als fragwürdig. Schon am nächsten Tag tauchten daher die ersten Social-Media Accounts wie @primaverasucks auf Instagram auf, welche die doch sehr zahlreichen Beschwerden seitens der Besucher sammelten.

Reaktion der Veranstalter

Die Festivalleitung reagierte bedingt auf die massive Kritik in den sozialen Medien. Ab Freitag war mehr Personal an den zahlreichen Bars verfügbar und es wurden drei Punkte mit gratis Wasserausgabe eingerichtet. Auch die Besucherströme insbesondere im Zu- und Abgang der Hauptbühnen wurden zu koordinieren versucht.

Insgesamt wirkte der organisatorische Aspekt des Primavera Sound allerdings nicht wie die zwanzigste Ausgabe eines bis dato äußerst erfolgreichen Festivals, was sich natürlich auch massiv in der allgemeinen Stimmung bemerkbar machte.

Frustration in den Warteschlangen

Die Probleme setzen sich in der Folge während der Konzerte zwischen den beiden Wochenenden fort. Für das Primavera a la Ciutat waren Konzerte zahlreicher Künstler in den verschiedenen Venues der Stadt geplant. Was in den Jahren davor oft ein Garant für einmalige Konzertabende war, stellte sich jetzt für die große Mehrheit als eine äußerst frustrierende Erfahrung heraus. Im Gegensatz zu früheren Ausgaben verzichtete die Festivalleitung auf ein Ticket-System, das den Zugang zu den begrenzten Räumlichkeiten regelte.

Stattdessen verließ man sich auf ein Zweiklassensystem, das Besucher beider Wochenenden sowie mit VIP-Ticket gegen diejenigen mit einem Ticket für nur ein Wochenende ausspielten. Das Ergebnis waren Schlangen von hunderten Metern Länge, die sich oft Stunden vor Einlass bildeten. Da auch auf jegliches Besuchermanagement der Wartenden verzichtet wurde, standen diese oft noch Stunden nach Einlass-Stopp ratlos und hoffend außerhalb der Sichtweite des Eingangs.

Besserung der Stimmung

Erst am neunten Tag des Festivals, als wieder Konzerte im Parc del Forum stattfanden, besserte sich die Stimmung. Das Gelände war deutlich leerer und man konnte sich frei zwischen den kleineren und mittleren Bühnen bewegen. Allerdings kam es aufgrund des ungünstigen Layouts der großen Bühnen wieder zu starkem Gedränge während der Headlinershows, was die Behauptung von Festivalleiter Ruiz, man werde sich zukünftig auch anderswo an dieser Innovation orientieren, doch stark in Zweifel zieht.

Auch an Tag zehn und elf hielt sich der Andrang in Grenzen, was sicherlich auch mit der zunehmenden Zahl an positiven COVID-19 Fällen unter den Besuchern zusammenhing. Dass ein Festival potenziell zum Superspreader-Event werden kann, ist sicher einkalkuliertes Risiko. Allerdings wirkt das laxe Hygienemanagement bei der Getränkeausgabe in diesem Zusammenhang schon fast fahrlässig.

Vom individuellen Flair zur breiten Masse 

Insgesamt muss man sagen, dass sich die Verantwortlichen des Primavera Sound zum zwanzigsten Jubiläum ihres Festivals nicht mit Ruhm bekleckert haben. Man spürt, dass seit einigen Jahren finanzstarke Investoren hinter dem Festival stehen und auf immer größere Besucherzahlen drängen, um den Profit zu steigern.

Das einzigartige Flair bleibt immer mehr auf der Strecke, nicht zuletzt, weil das frühere Aushängeschild der spanischen Musikszene zusehends vom internationalen Festivaltourismus überrannt wird. Auch der andauernde Streit mit der linken Regierung Barcelonas und die Androhung Ruiz‘, man werde nach Madrid umziehen, lassen befürchten, dass das Primavera Sound nicht mehr an seine legendäre Vergangenheit als eines der besten Festivals der Welt anknüpfen können wird.