Genesis (2021)

Genesis (2021) © Peter Rieger Konzertagentur

Bei alternden Legenden stellt sich immer die Frage, ob sie den richtigen Zeitpunkt kennen, um in Würde abzutreten. Genesis feuern in Köln weiterhin aus allen Rohren, während ihr wohl prominentestes Mitglied wortwörtlich von der Bühne getragen werden muss.

Genesis gehören zu den Bands, die ganze Generationen an Musikfans geprägt haben. Von ihren Anfängen als Progressive Rock-Ikonen der 1970er Jahre mit Peter Gabriel und Steve Hackett bis hin zur kommerziell erfolgreichen Trio-Besetzung, die den zum Sänger gewordenen Schlagzeuger Phil Collins zum Megastar mutieren ließ, waren sie mehrere Dekaden lang aus der Pop- und Rockwelt kaum wegzudenken.

"The Last Domino?"

Nachdem es viele Jahre still um Tony Banks, Mike Rutherford und ihren gesundheitlich inzwischen stark angeschlagenen Frontmann geworden war, kam es umso überraschender, als sich Genesis unmittelbar vor dem Ausbruch des Coronavirus mit einem Lebenszeichen zurückmeldeten und eine Tournee namens "The Last Domino?" ankündigten.

Mit reichlich Verspätung und unter pandemiebedingten Auflagen verschlägt es die drei verbliebenen Musiker und ihre vier Live-Mitstreiter schließlich für drei Abende in die Kölner LANXESS arena, die bis auf den letzten Platz gefüllt ist, um ihre Heroen noch einmal im Rahmen eines Konzertes zu erleben. Entsprechend groß ist auch die Vorfreude unter den zahlreichen Zuschauern – nicht zuletzt auch aus dem Grund, dass es das erste wirklich große Konzert in der Halle seit mehr als zwei Jahren ist.

"Turn It On Again"

Als Genesis dann nach den Klängen von Thomas Newmans "Dead Already" aus dem Film "American Beauty" die Bühne betreten, kennt der Jubel keine Grenzen mehr. Die Zuschauer hält es kaum mehr in ihren Sitzen. Sie lassen es sich nicht nehmen, die Band gleich von Beginn an zu feiern. Es handelt sich hier immerhin um die ersten Auftritte der Gruppe in deutschen Landen seit 15 Jahren. Nur wenige der Anwesenden hätten dies überhaupt für möglich gehalten.

Instrumental feuern Genesis bereits ab der ersten Sekunde aus allen Rohren. Man merkt Tony Banks, Mike Rutherford und dem schon seit mehr als vierzig Jahren für die Combo tätigen Saitenmann Daryl Stuermer, dass sie nach all der langen Zeit nichts von ihrem Zusammenspiel verlernt haben.

Beeindruckend ist auch Phil Collins‘ Sohn Nicholas, der seinen legendären Vater und den früheren Tour-Schlagzeuger Chester Thompson hinter dem Drumkit ersetzt. Während des gesanglosen Openers aus "Behind The Lines" und "Duke’s End" sitzt und passt hier jede Note – genau wie im gesamten Rest der Show. Dazu wird das Ganze noch in einem enorm druckvollen, aber transparenten Sound serviert.

"I Can’t Dance"

Den größten Applaus erhält aber Frontmann Phil Collins, der sich mit Hilfe eines Krückstocks bis zu seinem zentral zwischen seinen langjährigen Mitstreitern Banks und Rutherford gelegenen Sitzplatz vorarbeitet. Hier kommen wir auch bereits zum großen Schwachpunkt des Abends – der zu früheren Zeiten markanten Stimme von Phil Collins.

Es ist Collins zwar hoch anzurechnen, dass er sich in seinem gebrechlichen Zustand überhaupt noch auf die Bühnen dieser Welt begibt: Seit einer Halswirbel-OP anno 2009 kann er kein Schlagzeug mehr spielen, und in Folge eines Sturzes und eines weiteren operativen Eingriffs im Jahr 2016 kann er kaum noch laufen. All dies wird von sämtlichen Anwesenden auch mit gebührendem Jubel honoriert.

Ein Großteil seines Leadgesangs wirkt jedoch extrem gequält – wodurch sich recht einfach erklären lässt, warum sich Genesis für die Tour stimmliche Unterstützung in Form von Daniel Pearce und Patrick Smyth ins Boot geholt haben. Sie greifen Collins immer dann sprichwörtlich unter die Arme, wenn es in dieser Hinsicht ganz eng wird. Denn bisweilen erinnert die Ikone diesbezüglich leider eher an den krächzenden "Super-Papagei" Blacky der nicht minder kultigen "Drei ???".

"I Know What I Like"

Was er inzwischen gesanglich vermissen lässt, macht Phil Collins jedoch als Zeremonienmeister zumindest teilweise wett. Als Entertainer mit gewaltigem Charisma weiß er die Massen immer noch in seinen Bann zu ziehen.

Das zeigt sich beispielsweise, als er den Longtrack "Domino" ankündigt. Mit einem Wort und einer kurzen Bewegung hält er die verschiedenen Teile der Halle fest in seiner Hand. Auch seine Ansprache vor "Land Of Confusion", bei der er anmerkt, der russische Präsident Vladimir Putin habe die Ukraine "wie ein Idiot" überfallen, erzeugt eine entsprechend positive Reaktion beim Publikum.

Abseits der Defizite beim Leadgesang wissen Genesis in Köln jedoch vollends zu überzeugen. So müssen sie in dieser Besetzung den direkten Vergleich mit der sich zum gleichen Zeitpunkt in Deutschland befindlichen Band von Ex-Gitarrist Steve Hackett nicht scheuen. Bei den Instrumentalpassagen aus "Firth Of Fifth" und "The Cinema Show" etwa, die beide Formationen momentan live präsentieren, geben sich Banks, Rutherford, Stuermer und Collins junior keine Blöße.

"Tonight, Tonight, Tonight"

Auch für ein paar Überraschungen sind Phil Collins und Co. bei ihren (vermutlich) finalen Auftritten noch gut: Ungefähr in der Mitte der circa zweieinhalbstündigen Show versammeln sich die Instrumentalisten für ein kleines Akustikset rund um ihren Frontmann und tischen ihre Klassiker "That’s All", "The Lamb Lies Down On Broadway" und "Follow You Follow Me" in etwas ungewohnter, aber nicht minder gelungener Manier auf. Dem Publikum gefällt es.

Ansonsten fahren Genesis über weite Strecken eine hinsichtlich der Songauswahl nicht sonderlich unerwartete, aber weitgehend repräsentative Gesamtschau ihrer langen Laufbahn auf. Hits à la "Mama", "No Son Of Mine" und "Invisible Touch" geben längeren, progressiveren Stücken wie dem "Home By The Sea"-Doppelschlag oder Songschnipseln aus ihrem komplexeren Frühwerk wie "Dancing With The Moonlit Knight" die Klinke in die Hand. Auch in dieser Beziehung gibt es wenig zu meckern.

"Afterglow"

Als die in ihrer aktuellen Besetzung siebenköpfige Truppe schließlich mit "The Carpet Crawlers" zum Schlusspunkt des Konzerts ansetzt, haben sich die Zuschauer längst von ihren Plätzen erhoben und zollen dem merklich angeschlagenen Phil Collins und seinen Mitstreitern mit respektvollen Standing Ovations Tribut. Das Publikum hat damit an diesem Abend deutlich mehr gestanden als der früher so agile und energetische Sänger, der die anstrengende Tour jedoch trotz seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung zu genießen scheint.

Manche Künstler können eben nicht von der Bühne lassen. Phil Collins ist wohl einer von ihnen. Er braucht sein Publikum ganz offenbar wie die Luft zum Atmen und sonnt sich in dem Glanz, den die Zuschauer ihm aufgrund seiner musikalischen Lebensleistung zukommen lassen. Anders lässt es sich kaum erklären, dass er sich eine solche Tortur in seinem derzeitigen Gesundheitszustand antut. Man kann dennoch froh über seine Entscheidung sein. Am Ende überstrahlt sein Charisma dann doch die unüberhörbaren gesanglichen Defizite – und die Band spielt immer noch auf der allerhöchsten Ebene.

Setlist

Behind The Lines / Duke’s End / Turn It On Again / Mama / Land Of Confusion / Home By The Sea / Second Home By The Sea / Fading Lights (erste zwei Strophen) / The Cinema Show [nur die zweite Hälfte instrumental, inklusive Auszügen aus “Riding The Scree” und “In That Quiet Earth”] / Afterglow // Akustikset: That’s All / The Lamb Lies Down On Broadway / Follow You Follow Me // Duchess / No Son Of Mine / Firth Of Fifth [instrumental] / I Know What I Like (In Your Wardrobe) [inklusive Auszug aus “Stagnation”] / Domino / Throwing It All Away / Tonight, Tonight, Tonight [erste zwei Strophen] / Invisible Touch // I Can’t Dance / Dancing With The Moonlit Knight [Intro und erste Strophe] / The Carpet Crawlers

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