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Billy Talent (Live beim Hurricane Festival 2018) © Philipp Karadensky

Die Besucher des Hurricane Festivals sind widrige Bedingungen gewohnt. Daher lassen sie sich auch von den sommerlich uncoolen Temperaturen nicht aus der Ruhe bringen und feiern vier Tage lang ausgelassen. Eine einzige Enttäuschung des Wochenendes gibt es zum Schluss.

Es ist ja immer so ein Ding mit dem Hurricane. Die Veranstalter hatten in den letzten Jahren immer ein gutes Händchen dafür, das Festival am feuchtesten Wochenende des Sommers auszurichten. Seit den monsunartigen Zuständen vor zwei Jahren ist man als Besucher etwas nervös, ob das Wetter halten wird.

Dieses Jahr erschwerte der Regen am Donnerstag die Anreise, danach blieb das Festival aber von weiteren Dauerniederschlägen verschont, obwohl es das ganze Wochenende sehr kalt blieb. Aber wem macht die Kälte etwas aus, wenn man zu tollen Bands bei guter Stimmung feiern kann? Genau daraus bestand nämlich das Hurricane 2018. Doch von vorne...

Vor der Bühne bunter Rauch

Der Freitag wurde von Bands verschiedenster Couleur eröffnet: Punk'n'Roll von Red City Radio, Singer-/Songwriter Tom Walker oder Hardcore von Neck Deep. Das erste große Highlight war aber der Auftritt der Donots auf der Green Stage, die das Feld erstmals füllten und sogar die Sonne hinter den Wolken hervorlocken konnten. Die Setlist hätte zwar ein paar mehr Überraschungen bieten können, das Publikum war aber so gut drauf, dass das zu verschmerzen war.

Die ausgelassen hüpfenden Zuschauer kündigten an, dass das erst der Auftakt einer großen, ganztägigen Punkrock-Party auf der Hauptbühne war. Was Feine Sahne Fischfilet danach anzubieten hatten, steigerte die Stimmung dann nochmal um ein Stück.

Die Nordlichter sind zurecht die im Moment meist gehypte Punkrock-Band des Landes und die Freude darüber, um diese Zeit vor so vielen Zuschauern zu spielen, stand Sänger Monchi den ganzen Auftritt über ins Gesicht geschrieben. Das Publikum verlieh seiner Freude wiederum mit Rauchfackeln und wildem Feiern Ausdruck. The Offspring mussten nach diesen zwei Konzerten also abliefern.

Erst Enttäuschung, dann Feuerwerk

Leider machten die Kalifornier ihrem Ruf als eher durchschnittliche Live-Band alle Ehre und konnten nur stellenweise überzeugen. Zwar steigerten sich The Offspring im Verlauf ihres Gigs, insgesamt kam ihr Auftritt aber zu lustlos und unmotiviert rüber. Das Ergebnis war lediglich Höflichkeitsapplaus statt Moshpits.

Ganz stark waren dagegen die Broilers im Anschluss. Mit überraschend viel Feuerwerk vom Bühnendach und Hit nach Hit boten sie die perfekte Show, um in den Sonnenuntergang zu tanzen. "Tanzt du noch einmal mit mir?", "33 RPM", "Bitteres Manifest" oder "Ich brenn'" – da machte auch das bisschen Nieselregen nichts aus.

Emotionaler Höhepunkt bei Billy Talent

Im Anschluss wurde es Zeit für den großen Headliner des Freitags: Billy Talent! Mit einem Knall und dem Klassiker "This Is How It Goes" wurde die wahrscheinlich beste Show des Festivals eingeleitet. Ab da war das Publikum nicht mehr zu halten und fraß den vier Kanadiern quasi aus der Hand. Trotz kurzer Soundprobleme am Anfang war die Energie auf und vor der Bühne der pure Wahnsinn. In der Mitte des Sets unterbrach Ben die Show für eine besondere Ansage:

Vor drei Jahren musste Drummer Aaron Solowiniuk die Band verlassen, da seine Multiple Sklerose-Erkrankung ihm das Schlagzeugspielen auf diesem Niveau nicht mehr erlaubte. Seitdem kämpft er gegen die unheilbare Krankheit und wird vom Drummer von Alexisonfire ersetzt. Diesen Freitag wurde er dann aber auf die Bühne gebeten, um das erste Mal seit seiner Zwangspause ein paar Lieder mit seinen Bandkollegen live zu spielen. "Rusted from the rain" und "Surrender" wurden so zu etwas ganz Besonderem – es war der emotionalste Moment des Hurricane Festivals 2018.

Bei den verbliebenden Songs brachen dann nochmal alle Dämme und vor allem in der Zugabe (bestehend aus "Viking Death March" und den Überhits "Red Flag" und "Fallen Leaves") rasteten alle aus und man konnte das mitsingende Publikum wohl noch drei Dörfer weiter hören.

Trotz dieser überaus emotionalen Show war bei Marteria noch lange nicht die Luft raus. Trotz eisiger Kälte war der Platz vor der Blue Stage bis ganz hinten gefüllt. Marteria besitzt eine Bühnenpräsenz wie kein anderer Rapper in Deutschland und vermag auch bei gefühlten null Grad einen Großteil der Fans dazu zu animieren, ihre T-Shirts wegzuwerfen. Ein ganz starker Abschluss des ersten Festivaltages.

Von Moshpit zu Moshpit

Die Blue Stage war am Samstag vor allem von Rap geprägt und der französische "Trap-Lord" MHD sorgte für die ersten Moshpits. Man hatte den Eindruck, dass viele den Franzosen bis dato noch nicht kannten, von seiner Musik aber überzeugt wurden. MHD war definitiv einer der Geheimtipps und großen Überraschungen in diesem Jahr.

Die Stimmung war bereits so am Kochen, dass die einzige logische Konsequenz nur der Auftritt von SXTN sein konnte. Es passiert nur sehr selten, dass eine Band auf so einem großen Festival zwei Jahre in Folge gebucht wird, die Erwartungen waren also sehr hoch – und sie wurden nicht enttäuscht.

Die Eskalation war zwar vorhersehbar, kam dann aber doch härter als gedacht. Songs wie "Von Party zu Party" oder "Die Ftzn wieder da" sind einfach perfekt, um tausende Fans zum Ausrasten zu bringen. Die beiden Berlinerinnen haben ihren bleibenden Eindruck aus dem letzten Jahr bestätigt und nochmal gestärkt. Da konnten weder die Madsen, noch Brain Fallon oder Prinz Pi mithalten.

Unter den Palmen aus Plastik

Den gelungendsten Auftritt auf der Blue Stage hatten dann jedoch Bonez MC & Raf Camora mit dem Set zu ihrem Erfolgsalbum "Palmen aus Plastik", das seit seinem Erscheinen vor knapp zwei Jahren nicht mehr aus der deutschen Raplandschaft wegzudenken ist. Was schon auf Platte gut funktionierte, ist auch für Live-Shows perfekt.

Die beiden Rapper boten sowohl Songs zum Pogen wie den Riesenhit "Ohne mein Team" als auch Musik zum Entspannen und Genießen wie "Vaporizer" oder "Ruhe nach dem Sturm". Zum Schluss wurde dann zur Freude der Fans ein bisher unveröffentlichter Song aus dem kommenden "Palmen aus Plastik 2"-Album gespielt, das noch diesen Sommer erscheinen soll.

Am Abend hatten die Besucher die Auswahl zwischen Oldschool-Rap von Dendemann und den Beginnern, knallhartem Rock von Biffy Clyro oder Elektronischem von The Prodigy. Während die Rapper etwas langweilten, war auf der Hauptbühne mehr Party. Vor allem bei The Prodigy kann man eigentlich nichts falsch machen, wenn es einem darum geht, möglichst viel zu feiern. Definitiv ein würdiger Headliner, um den zweiten Tag zu beschließen.

Rap, Indie & Punk

Der Sonntag hatte mehr zu bieten, als man als normaler Besucher eigentlich mitnehmen kann - zu viele Highlights aus verschiedenen Musikrichtungen, sodass es nicht leicht fiel, den Überblick zu behalten. Den Anfang machte Juse Ju auf der Red Stage, gefolgt von Swiss & die Andern. Die Hamburger brachten das Publikum am letzten Festivaltag nochmal zum Pogen. Währenddessen leistete der Black Rebel Motorcycle Club auf der großen Green Stage mit Rock'n'Roll eine gute Vorarbeit für eine der spannendsten Bands des Wochenendes: NoFX.

Nach dem Skandal um die Aussagen von Fat Mike und Gitarrist Eric Melvin bei einem Konzert in Las Vegas vor ein paar Wochen, bei dem sie Witze über die Opfer der Schießerei bei einem Country-Festival letzten Oktober rissen, konnte man gespannt sein, ob die auf der Bühne sehr redseeligen Kalifornier nun anders drauf sind als sonst. Zum Glück waren sie das nicht.

Besonders Fat Mike und El Hefe waren sprüchemäßig in Topform und sorgten für mehr Unterhaltung als jeder Stand-Up-Comedian. Dazwischen wurde natürlich auch musiziert und Hits wie "Linoleum" oder "Kill all the white men" ließen alle Punkrock-Herzen höher schlagen.

Die letzten Bands

Zurück auf der Red Stage wurde es bei Samy Deluxe sehr voll, aber leider fiel sein Auftritt eher mittelmäßig aus. Da war die finale Party bei Shootingstar RIN deutlich unterhaltsamer. Viele der Samy Deluxe-Oldschool-Fans werden bei RIN wohl eher etwas skeptisch gewesen sein, die Energie vor der Bühne gab dem jungen Cloud-Rapper jedoch Recht.

Das Programm auf der White Stage wurde von Egotronic beschlossen. Leider war bei der Berliner Electro-Punk-Legende nicht mehr so viel los, die, die aber dort waren, ließen sich die gute Stimmung davon nicht trüben und tanzten zu Liedern wie "Rannte der Sonne hinterher" und "Raven gegen Deutschland".

Von den drei letzten großen Bands lockten Kraftklub am meisten Zuschauer an. Die Chemnitzer spielten ein routiniertes Set, das für viele nochmals einen Höhepunkt darstellte. Arcade Fire sorgten dann auf der Blue Stage mit ihrem opulent instrumentierten, melodieseligen Indie-Rock für einen guten Abschluss auf der zweitgrößten Bühne.

Als großer Headliner hatten die Arctic Monkeys die Ehre, das Festival zu beenden. Leider überzeugte ihre minimalistische Show nicht wirklich, so dass man in viele gelangweilte Gesichter blickte. Sänger Alex Turner wirkte so, als ob er lediglich sein Set schnell fertig spielen wollte, um dann wieder in sich selbst verliebt zu sein. Leider der schwächste Headliner des Festivals, bei dem viele das Gelände vorzeitig verließen.

Dennoch war das Hurricane 2018 ein sehr gelungenes Festival. Das Wetter hat überwiegend mitgespielt, es wurde eine große Auswahl für beinahe jeden Musikgeschmack geboten und bis auf die Arctic Monkeys überzeugte jeder Headliner. Dank der großartigen Organisation und der überwiegend netten Securitys gab es wohl kaum Besucher, die keinen Spaß hatten und nicht auf ihre Kosten gekommen sind. Hurricane 2018 – es war ein Fest.

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