Navel – Frozen Souls

Navel – Frozen Souls © Louisville

Navel knüpfen da an, wo der Grunge begann und rocken ein punkiges Album in unsere Ohren. Phil Vetter, Pete Rock und Chris Walla bleiben ihren Wurzeln der Vorgängeralben und Hauptprojekte ziemlich treu und dabei auch überzeugend, während Frank Spilker nicht nur bei den Sternen andockt, sondern mit Begeisterung und erfolgreich gleich in der gesamten Hamburger Schule wildert. Noch mehr nordisches kommt von Dynamite Deluxe. Wer deren neuen Sound eine Chance gibt, wird sicherlich seinen Spaß haben.

Navel – Frozen Souls | Louisville

{image}Die Band Navel aus der Schweiz bot in jüngster Vergangenheit zahlreiche Gelegenheiten, um auf sie aufmerksam zu werden. Vorneweg war das, z.B. auf der Tour mit den Queens of the Stone Age, ihr sehr grungiger Sound und ein Sänger, der mit seinen langen Haaren und seiner Art sich zu bewegen stark an Nirvanas Sänger Kurt Cobain erinnert. Aber auch Pressemeldungen wie die Absage des Toursupports für die Smashing Pumpkins fielen ins Auge, besonders die dazugehörige Stellungnahme: "Unser Debütalbum Frozen Souls ist zu unserer aller Überraschung so stark geworden, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, mit so abgehalfterten Rockopas wie den Smashing Pumpins zu touren. Wir wissen, dass das die Arbeit unserer Plattenfirma erschwert und hoffen, dass Louisville Records trotz dieser Absage weiterhin zu uns stehen." Frech, aber so kam es – die Plattenfirma steht zur Band und nutzt solche Meldungen eifrig, um die Promo-Trommel zu rühren. Insgesamt einhundertfünfzig Konzerte lang mussten sich die drei schweizer Rocker aus Erschwil in der Nähe von Basel den Hintern wund spielen, bevor nun endlich Frozen Souls erscheint und jedem die Chance bietet, sich selbst ein Bild der Band zu machen. Nur ein Nirvana-Abklatsch? Funktioniert ja doch nur live? Solchen Fragen muss sich die Band nun bestimmt stellen. Wobei das alles nach den ersten Takten schon keine Rolle mehr spielt. "Punk Never Broke" ist das Motto und der Einstieg mit kräftigem Sound und den Zeilen "I got a bleeding hand, I got a foreign name, I got a frozen soul, no love around..." hämmert das sofort ins Ohr, dann versteht man Jari Altermatt (Sänger, Gitarrist, Mastermind und Produzent von Navel) kaum noch, es schreit und grungt drauf los, was Instrumente und Stimme hergeben. Also: Ein großer Schuss Nirvana zu Zeiten von Bleach, etwas von den anderen Grunge-Heroen wie Soundgarden dazu und mit an Come oder Unwound angelehnter Punk-Attitüde abgeschmeckt, das ergibt ziemlich genau das Programm, das Navel auf Frozen Souls zum Besten geben. Es wirkt deshalb nicht wie ein Abklatsch, weil die Musiker mit voller Hingabe bei der Sache sind und das Album glücklicherweise die Energie einfangen konnte, welche die Schweizer auch von der Bühne herunter zu verbreiten wissen. Navel nehmen mit ihrem Album keine Rücksicht auf Märkte oder Moden und das ist überaus erfrischend. Punk Never Broke, it seems.

Wertung: ++++
(Markus Biedermann)

Frank Spilker Gruppe (FS:G) – Mit all den Leuten | Staatsakt

{image}Frank Spilker – Sänger, Gitarrist und Texter von Die Sterne – kommt plötzlich allein, ohne Die Sterne. Die Gerüchte brodelten, man unkte und mutmaßte: Was war passiert? Nichts Schlimmes, nur Gutes: Spilker wollte sein Spannungsfeld erweitern und auch kreativ etwas Neues vorlegen: "Herr Spilker ist jetzt mehr", lautete es in der Meldung, die sein Soloalbum für März 2008 ankündigte. Er habe für all die Ideen, Texte, Melodien und Lieder, die wartend in der Leitung hingen, nun ein Ventil gefunden. Die neuen Songs mussten raus und das hätte angeblich nicht funktioniert in der klaren Form, die sich Die Sterne über die Jahre geschaffen haben. Seit Ende 2006 arbeitete der Mann aus Hamburg an den neuen Stücken. Wer neue Ziele hat, muss neue Wege gehen und Frank Spilker geht jetzt also solo voran. Seine Mitmusiker auf Mit all den Leuten sind: Mathias ‚Tex’ Strzoda (Schlagzeug) und Max Knoth (Bass). Auf dem Album blickt Frank Spilker textlich viel zurück, musikalisch knüpft er an mehr oder weniger alle Schattierungen an, die die Hamburger Schule zu bieten hat(te). Obwohl sich ein gewisser Songwriter-Charakter durch das gesamte Album zieht, reicht die Spannbreite von leisen und bluesigen Nummern über Chansons, vertrackten New Wave und luftigen Pop. Während der Titelsong Mit all den Leuten so z.B. an einen der kräftigeren und älteren Blumfeld-Songs erinnert und zwischendurch kleine Soundorgien-Einlagen aufbietet, scheint Der Mond und ich eher der Element of Crime Songfeder entsprungen zu sein. Das war ihr Leben ist reiner Pop knapp vor der Grenze zum Schlager, Kommt alle her beinahe ein countryeskes Kinderlied. So hat jeder Song seine eigene, ganz bestimmte Charakteristik und dennoch passt irgendwie alles zusammen und es entsteht ein wunderbar abwechslungsreiches Album, das wirklich Spaß macht.

Wertung: ++++ (Markus Biedermann)

 

Dynamite Deluxe – TNT | EMI

{image}Dass in Hamburg nicht nur die Fünf Sterne "deluxe" sind, sollte man spätestens seit dem beachtlichen 2000er Debütalbum Deluxe Soundsystem des Hansestadt-Trios Dynamite Deluxe wissen. Acht Jahre sind vergangen, ehe sich Rapper Samy Deluxe nach Soloausflügen, Beef und Features wieder mit den Produzenten Tropf und DJ Dynamite zusammengefunden hat, um deutschen Rap nahe den eigentlichen Wurzeln zu präsentieren. TNT heißt das Kind, das dabei entstanden ist. Die erste Single Boombox sorgte derweil mit seinem klaren Fokus auf die vier Elemente von HipHop für reichlich Gesprächsstoff in der Szene. Gleich beim Eröffnungsstück Erster Song wird deutlich, dass ein Vergleich zur ersten LP unangebracht wäre, trotz der omnipräsenten wir-waren-früher-schon-so-derbe-Attitüde. Während Samy abgeklärter und zugleich unmotivierter reimt, versorgen ihn Dynamite und Tropf mit an ami-orientierten Claps und von Bass angetriebenem Synthiesound. Thematisch versucht der Wickeda MC den Bogen zwischen seiner großen Fanbase an HipHop-Kiddies und alteingesessener Dynamite Deluxe Fangemeinschaft zu spannen, um am Ende so oder so den Ego- und game-orientierten Gaul zu reiten. Genauso wie Alles bleibt anders mit erquickendem Chorus von Jan Delay und die hitverdächtige Liebeserklärung Mein Problem (Take it easy) auf einen chilligen Reggae-Riddim herausstechen, nerven das obercool-arrogante Komma Klar und die durch Voice Box verzerrte Hook von Weiter. Die vielen Uptempos und Drums eignen sich bestens für eine Live-Umsetzung, lassen aber einen Hauch von Authentizität vermissen. Da "Kiffen" aus Samys Versinhalt gestrichen wurde, scheint der Themenschwerpunkt mittlerweile nur noch bei monotoner Selbstbeweihräucherung zu liegen. Alles in allem geht das Album steil nach vorne und wird seinem Titel damit gerecht. Alle, die sich Deluxe Soundsystem zurückwünschen, werden vermutlich enttäuscht sein. Wer dem neuen Dynamite Deluxe-Sound eine Chance gibt, wird sicherlich auch seinen Spaß haben. Als Bonus gibt es noch eine DVD obendrauf.

Wertung: +++ (Andreas Margara)

 

Pete Rock – NY’s Finest | Nature Sounds

{image}NY’s Finest ist Pete Rocks erstes Studioalbum seit der Veröffentlichung von Soul Survivor II im Jahr 2004. Gleich nach dem Intro ereilen den Hörer mit We Roll erste Befürchtungen, Rock habe – wie so viele Producer derzeit – einen Paradigmenwechsel vollzogen, der sich durch den Gastauftritt des Gründungsmitglieds der Diplomats (Jim Jones) ausdrückt. Obwohl Dipset in den USA in etwa dem "aggressiven" Berlin in Deutschland entspricht, bekommt der Soul Brother nach diesem soliden Stück gerade noch die Kurve und leitet zu einem selbst gerappten Titel über (Till I Retire). Überhaupt scheint Produzent Pete Rock diesmal einiges zu sagen zu haben und meldet sich verhältnismäßig oft zu Wort. Mit Royal Flush hat sich PR für Questions genau den richtigen Partner geangelt – die Chemie stimmt und vom Ergebnis kann man sich hörbar überzeugen lassen. Ein besonderes Schmankerl beinhaltet Ready Fe War, bei dem Pete Rock erstmals seine Jamaican-Roots thematisiert und den Begriff "Bumbaclat!" auf Patois erklärt. Außerdem lässt er Chip Fu mit Renee Neufville auf einen astreinen Reggae-Riddim reimen und singen, was sich am Ende sehr überzeugend anhört. Don’t Be Mad, produziert von DJ Green Lantern, ist der einzige Track für den das Mastermind nicht selbst verantwortlich ist. Wie zu erwarten war haben alle Beats ein recht hohes technisches Niveau, mit Redman, Little Brother und den Wu-Tang Mitgliedern Raekwon und Masta Killa sind auch dementsprechend illustre Rap-Gäste auf der Scheibe vertreten. Dennoch fehlt oft der letzte Kick und NY’s Finest wird seinen Vorgängern nicht gerecht. Kleiner Fauxpas ist auch das etwas zu offensichtliche Sample des 10CC-Klassikers I’m Not In Love für den Mixtape-King Papoose, das mehr schlecht als recht das Ende der Platte ziert.

Wertung: +++ (Andreas Margara)

 

Chris Walla – Field Manual | Barsuk

{image}Bevor voraussichtlich im Mai 2008 das neue Album von Death Cab for Cutie erscheinen wird, hat das Gründungsmitglied Chris Walla nun erstmal mit einer Solo-Veröffentlichung vorgelegt. Bekannt ist Walla als Produzent, neben der Arbeit für die eigene Band, auch für die Aufnahmen, die er mit Tegan & Sara und den Decemberists gemacht hat. Arrangements und Gitarre sind seine wesentlichen Aufgaben bei DCFC, auf Field Manual spielt er alle Instrumente bis auf die Drums. Hierfür standen ihm Jason McGerr (DCFC) und Kurt Dahle (The New Pornographers) zur Seite. Fast genauso spannend wie die Frage, wie Wallas Soloalbum wohl klingen mag, ist eine Geschichte, die wesentlich zur Verzögerung der Veröffentlichung beigetragen hatte: Nachdem er im Ausland die Hilfe des Produzenten Warne Livesey in Anspruch genommen hatte, wurde die Festplatte mit dem gesamten Material von Field Manual auf dem Rückweg durch den US-Zoll beschlagnahmt. Musikalisch bietet Walla erwartungsgemäß eingängigen Alternative-Pop, der nicht immer, aber doch oft genug auch Death Cab for Cutie durchklingen lässt. In den meisten Songs geht es melodisch durchdacht und kerzengerade nach vorne, ohne in zuviel Geschwindigkeit oder Härte zu verfallen und damit das poppige Terrain zu verlassen. Die ganze atmosphärische Breite und Dichte des letzten DCFC-Albums Plans erreicht Walla allerdings nicht. Dennoch ist Field Manual bestens dazu geeignet, die letzten paar Wochen bis zur neuen Platte des Indiepop-Flaggschiffs zu überbrücken. Anspieltipp: Das mitreißende Everyone Needs A Home.

Wertung: +++ (Markus Biedermann)

 

Phil Vetter – Sad Man Walking | Skycap

{image}Der Münchner Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalist Phil Vetter veröffentlicht diesen Monat sein zweites Soloalbum. Nach seinem viel beachteten Debüt Say Goodbye To The Moment legt der Münchner auf Sad Man Walking zwölf weitere feinfühlige, kraftvolle, bittersüße und melancholische Stücke vor. Es sind wunderschöne, klassische Songwriter-Lieder, die dem Hörer die Seele öffnen. Der Sänger erzählt in den Texten der Lieder von einer großen, verlorenen Liebe, die alles versprach, aber nicht halten konnte. Phil Vetter singt überzeugend und klischeefrei über das Leben, die Liebe, über Schmerz, Hoffnung und er hat den dazu passenden Mut, sich heute noch mit Kippe im Mund auf dem Cover abbilden zu lassen. Die Assoziation stimmt: Am besten funktioniert diese Musik ganz bestimmt in einer kleinen verrauchten Eck-Kneipe mit kleiner Bühne, auf der Vetter mit Hocker Platz nimmt, seine Gitarre ganz gemütlich stimmt und dann loslegt. Auf Sad Man Walking ist Phil Vetter klanglich dennoch nicht alleine mit seiner Gitarre, denn neben dieser erklingen Schlagzeug, Streicher, Bass, Bläser und Steelguitar, die größtenteils von ihm selbst eingespielt wurden. Alles in Allem liefert Vetter ein melancholisches Album ab, das herbst- und winterlich daher kommt, aber auch bestens zu den aktuellen wenig frühlingshaften Tagen passt. Zum Genießen bei Bier oder Wein mit Zigarette, Zigarre oder sonstigem Gemütlichkeits-Utensilien wärmstens zu empfehlen.

Wertung: +++ (Markus Biedermann)

 

So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

das hier kann dir die große Liebe ersetzen