Der Chef von Dalaki: Jörg Schuster

Der Chef von Dalaki: Jörg Schuster © Dalaki Records

Auch wenn es für die Plattenfirmen immer schwerer wird, ihre Musik an den Mann zu bringen und Verkäufe zunehmend über iTunes und Co. stattfinden, so gibt es doch noch Idealisten, die dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Mit innovativen und optisch ansprechenden Produkten ging vor kurzer Zeit auch das Electronica-Label "Dalaki Records" an den Start, bei deren Veröffentlichungen auch allerlei Bonusmaterial dazugehört.

{image}Egal ob Fotobuch, Sticker oder sogar Graffiti-Schablonen: der Initiator Jörg Schuster (>> Homepage) möchte seinen Produkten einen gehörigen Mehrwert verpassen und schafft sich dadurch eine kleine aber treue Fangemeinde. Jörg Schuster ist vor allem in der Netlabel-Szene kein unbeschriebenes Blatt, denn er veröffentlicht regelmäßig Alben als Sensual Physics, Lufth oder Digitalverein auf Labels wie Thinner, das selbst wiederum erst kürzlich von der "De:Bug"-Leserschaft zum besten Netlabel des Jahres 2007 gewählt wurde. Zudem ist er durch seine großartige Arbeit im Grafikbereich bekannt und gehört, zumindest nach der Meinung von Kollegen und Gleichgesinnten, zu den talentiertesten Designern in Deutschland. Wir haben die Chance genutzt und ihm ein paar muntere Fragen gestellt.

Hallo Jörg! Als Musiker bist Du schon lange in der Szene tätig und du dürftest mittlerweile einen recht klaren Blick auf die Musikindustrie haben. Trotz allem veröffentlichst Du auf Dalaki Alben, die nicht nur durch die Songs selbst glänzen, sondern auch durch eine extravagante Verpackung und hochwertiges Bonusmaterial. Was genau hat dich dazu veranlasst?

Die Musikindustrie hat sich fast vollständig verändert, das ist klar. Aber ich weiß auch nicht mehr so ganz, was mich da eigentlich geritten hat. Ein Hauptgrund ist aber sicherlich die durch die Digitalisierung von Musik entstandene Leere im Bereich Cover und Art. Durch die Reduktion eines Covers auf ein 400x400 Pixel großes Stück Bildschirm ist offensichtlich etwas auf der Strecke geblieben, das mir extrem viel bedeutet hat. Außerdem war ich schon immer der Meinung, dass auch mehr möglich sein sollte, als ein vierseitiges CD-Booklet oder dergleichen. Gab ja auch immer mal wieder Lichtblicke und die sind jetzt eben mein Ansporn. Dass dies größere Kosten verursacht, ist auch klar. Deshalb sind die limitierten Dalaki-Editionen natürlich schon etwas 'für Fans'. Ich bin aber der festen Meinung, dass es dort eine Zielgruppe gibt. Natürlich in solchen Kleinstmengen, die einen normalen Labelchef höchstens einmal müde lächeln lassen. Also genau mein Ding! Außerdem bin ich als Schüler im Geiste von Otl Aicher der festen Überzeugung, dass der Mensch nicht digital denkt, sondern analog und Bilder braucht, da er eben auch in Bildern denkt. Jedenfalls noch, die Evolution scheint sich ja gerade zu verselbstständigen... Auch ein Punkt mag sicherlich die Tatsache gewesen sein, dass die Musik – insbesondere als Vorreiter die elektronische Musik – seit Einzug des Computers einen unglaublichen Werteverlust zu bedauern hat. Ich wollte unbedingt etwas machen, das man anfassen kann, nicht an jeder Ecke oder in jedem Shop kaufen zu kaufen bekommt und einen gewissen – für jeden frei zu definierenden Wert – hat; eben etwas Besonderes. Etwas, das mit jedem Release immer wieder komplett neu ist. Wohlwissend, dass dies nur für eine kleine Gruppe von Bedeutung ist und verstanden wird.

Erzähle uns doch etwas über die Geschichte der ersten Veröffentlichung von floriana vs. macro. Der Iran spielt darin offensichtlich eine große Rolle.

{image}Das ist richtig. Ich habe on '77 bis '79 im Iran gelebt und habe sehr intensive Erinnerungen – eine extrem prägende Zeit. Ich war mit meinen Eltern in Heleylah in der Nähe von Busher in einem Camp nah am Persischen Golf, in dem die ausländischen Mitarbeiter des von der KWU/Siemens damals im Rohbau befindlichen Kernkraftwerks untergebracht waren. Das war so oft in den Medien gerade – ja, das haben wir Deutschen mal gebaut... Dort waren auch noch einige Engländer, Spanier und Franzosen im Camp. Und dort man konnte natürlich eine Menge Mist bauen mit 12 Jahren. Wir haben oft die Wachen am Hintereingang bestochen, mit von den Eltern geklauten Zigaretten, und sind mit unserem Bonanza-Rädern durch eine kleine Siedlung runter zum Meer gefahren. Hinter dem Camp fing auch direkt die Salzwüste an, die bis rüber zu den Bergen reichte – eine wundervolle Gegend und ein Paradies für uns Kids... Dort habe ich auch Autofahren gelernt, der grüne Landcruiser im Dalaki-Booklet gehörte meinem Dad. Wir sind oft am Wochenende mit mehreren Familien in die nahen Berge gefahren zum Dalaki River. Dort war eine Super-Schwimmstelle und der Fluss war einer der wenigen Orte, wo man es im Sommer wirklich gut aushalten konnte. Da hatte ich dann auch eine wirkliche Grenzerfahrung, als ich etwas flussabwärts in einem kleinen Katarakt unter einen Stein gepült wurde und nicht mehr rauskam. Mit letzter Kraft konnte ich mich dann befreien und tauchte spuckend ein paar Meter weiter auf. Mein Bruder hat mich dann irgendwie beruhigt und wir haben uns erstmal ein paar Meter treiben lassen. Meine Eltern waren eifrig am Picknicken und haben von der ganzen Aktion nichts mitbekommen. Das war schon sehr sehr eng und scheinbar hat das damals unterbewusst einen großen Eindruck hinterlassen, denn ich habe das Geschehen komplett vergessen und erst vor circa zehn Jahren fiel es mir wieder ein. Meinem Label habe ich nun den Namen dieses wunderschönen Flusses gegeben – trotz seiner Kargheit einer der schönsten Flecken, die bis jetzt gesehen habe.

Der erste Releases ist dann auch mit jemandem aus der damaligen Zeit in Persien – einem Spanier, mit dem ich dort damals eine Zeitlang in einer Klasse war. Ich bin vor Jahren durch Zufall bei Stay Friends auf ihn gestoßen und wir bemerkten, das wir beide eine Liebe zur elektronischen Musik entwickelt haben und so kam es zu der entfernten Zusammenarbeit. Wir haben beide zusammen eine prägende Zeit unserer Kindheit aufgearbeitet. Die Fotos im Booklet zur ersten Dalaki-Edition sind auch fast allesamt Originalfotos aus dieser Zeit.

Du scheinst ein Freund der "Unabhängigkeit" und D.I.Y.-Strukturen zu sein, das hast Du zum Beispiel schon durch eine hohe Anzahl von Veröffentlichungen auf dem Netlabel Thinner bewiesen. Via regioactive.de hast Du die Online-Distribution nun auch selbst in die Hand genommen. Was empfindest Du, wenn Du dir die derzeitige Musikindustrie genauer betrachtest?

{image}Veränderung. Der Zusammenbruch der alteingesessenen Distributionen durch das Internet ist sicherlich sehr schade, aber offensichtlich nicht aufzuhalten. Ich habe diese Entwicklung in anderen Branchen auch schon miterlebt, so gibt es z.B. die noch vor 5 Jahren sehr verbreiteten Handelsvertreter für Schuh- oder Klamottenfirmen so gut wie gar nicht mehr. Die Bekleidungsvertriebe mussten da auch durch und viele haben das nicht geschafft. Die Firmen, die nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannten, sind eben weg. Platz für Neues. Nun haben auch noch die Musikhörer- und Liebhaber Hand angelegt und sich selbst neue Strukturen geschaffen – natürlich zum Entsetzen der alten Sesselpupser in den großen Konzernen. Aber auch dort hat man ja nun (fast) überall Leute mit Plan engagiert, die mit der veränderten Lage halbwegs umgehen können. Also alles in Allem sehr spannend – und sicherlich kaum vorhersehbar, jedenfalls nicht mehr für solche Zeiträume wie 'damals'. Was ich allerdings gelernt habe und was mich auch immer noch stark beschäftigt ist die Tatsache, dass der durchschnittliche zeitgenössische Musikhörer lieber angewiesen werden möchte und auch bereit ist, Geld für Musik in Onlineshops zu bezahlen, als z.B. für die teilweise ebensogute, qualitativ und visionär manchmal sogar bessere Musik mancher Netlabels freiwillig einen gewissen Betrag seiner Wahl zu spenden. Das klappt irgendwie noch gar nicht.

Was wird es nach floriana vs. macro geben, hast Du schon einen konkreten Überblick über kommende Veröffentlichungen?

Die Nächste, also Dalaki 02, wird eine recht ruhige knusprig-rauschige Compilation mit einigen meiner Favoriten werden – leider sind nicht alle dabei, die ich gerne draufgehabt hätte. Uns wir es aber sicher noch eine kleine Weile geben, so lässt sich das sicher nachholen. Mit dabei sind jedenfalls Ars Deco, mein langjähriger Dortmunder Mitstreiter Martin Juhls (Marsen Jules/krill.minima) im Duett mit Jéan-Sebastian Roux (deluge/tlon), Benjamin Brunn, Lomov, Emmerichk, Joel Tammik, Tilman Erhorn, Lazzich und Morgan Packard. Hoffentlich habe ich jetzt keinen vergessen. Danach als Dalaki 03 gibt es entweder ein 'darkes' Jazz-Elektronik-Album mit Lufth, welches sich schon seit Jahren mit Erfolg weigert, veröffentlicht zu werden, oder ein Album von einem anderen wundervollen Artist, über das ich aber auch noch nichts verraten möchte. Über den Look & Feel der kommenden limited Editions möchte ich an dieser Stelle auch nichts weiter sagen. Besser ist es, sich diese bei Erscheinen auf der Homepage in Bildform anzuschauen.

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