Britney Spears (2016)

Britney Spears (2016) © Denise Truscello

Die Reaktionen der Fans auf den Einsatz von Playback können ganz unterschiedlich ausfallen: Je nach Act, Umständen und Erwartungshaltung schwanken sie zwischen völliger Entrüstung und Gleichgültigkeit. Wir haben einige Fälle unter die Lupe genommen.

Groß war der Aufruhr unter den Fans im Netz nach dem Auftritt von Rita Ora bei der berühmten Macy's Parade an Thanksgiving in New York: Bei der Übertragung war eindeutig festzustellen, dass ihre Lippenbewegungen nicht synchron zu ihrem Gesang waren. Die logische Schlussfolgerung: Es handelte sich lediglich um einen Playback-Auftritt.

Auch die Presse hierzulande hielt sich nicht zurück: "Rita Oras Mega-Fail" titelte etwa SWR3, während die äußerst seriöse Berichterstattung von Klatsch-Tratsch.de unter anderem lautete: "Was bereits fünfjährige Kinder in der Mini-Playback-Show bravourös über die Bühne brachten, bekam Rita einfach nicht gebacken."

Haben die Künstler eine Wahl?

Dabei war es offenbar nicht einmal die Schuld der Künstlerin: Kollege John Legend stellte auf Twitter klar, dass alle Künstler bei der Parade Playback singen mussten, da die Wagen technisch gar nicht so ausgestattet werden konnten, dass ein Live-Auftrit möglich gewesen wäre. Auch die Twitter-Seite der Parade selbst beteuerte, dass die Künstler nichts für die "technischen Schwierigkeiten" konnten.

Ein peinlicher Fauxpas mag Rita Oras Missgeschick sein; dass sich Zuschauer jedoch entsetzt über das Playback-Singen an sich zeigen, mag den ein oder anderen verwundern – immerhin ist aus produktionstechnischen Gründen verwendetes Playback bei großen Events, die auch im Fernsehen übertragen werden, absolut nichts Außergewöhnliches.

2014 sorgte der Auftritt der Red Hot Chili Peppers bei der Half Time Show des Super Bowls für mediales Aufsehen, bei dem Anthony Kiedis zwar live sang, die Rest der Band jedoch zu Musik vom Band poste. Auch in diesem Fall erklärte die Band, die Verwendung der Backing Tracks sei von den Veranstaltern aus technischen Gründen vorgeschrieben gewesen, wie etwa CNN berichtete – eine Tatsache, die bei den Rahmenbedingungen des Auftritts auf dem Spielfeld kaum überraschen dürfte.

Authentische Rocker

Nicht jede Band ist jedoch bereit mitzuspielen, wenn Veranstalter auf die Verwendung von Playback bestehen. Bereits 1986 machten Iron Maiden – natürlich in deutlich kleinerem Rahmen – bei einem Auftritt bei der Musikshow P.I.T. (Peter-Illmann-Treff) im ZDF unmissverständlich klar, was sie davon halten, zu Playback aufzutreten, wie im nachfolgenden Video unschwer zu erkennen ist.

Doch auch in der Rockmusik, der man gemeinhin größere Authentizität nachsagt als etwa dem Schlager oder auch der Popmusik, gibt es vermeintliche Playback-Auftritte, die nicht produktionsbedingt vorgeschrieben werden und die Kritik nach sich ziehen.

Kann man mal machen

2017 wurde die bekannte deutsche Speed-/Powermetal-Band Helloween des Playbacks überführt: Der wieder zu Band hinzugestoßene Sänger Michael Kiske verwendete für seinen Gesang teilweise Backingtracks, da er, so die Band in einem späteren Statement in Reaktion auf die Vorwürfe, gesundheitlich stark angeschlagen war. "Aber ich finde, das ist schon ok", so Gitarrist Kai Hansen. Ob alle Fans hier der gleichen Meinung waren? Kiske selbst gab jedenfalls im Interview mit The Metal Voice an, bereits im Vorfeld Bedenken gehabt zu haben und nun nie wieder auf Playback zurückgreifen zu wollen – er könne es schlicht und ergreifend nicht überzeugend herüberbringen.

Der technische Fortschritt scheint demnach auch gestandene Rock'n'Roller in Versuchung zu führen – Fehler riskieren, oder doch lieber die garantiert "perfekte" Show durch Unterstützung vom Band abliefern?

Britney singt Playback – wen juckt's?

Hinsichtlich der Bewertung eines vermeintlichen Playback-Einsatzes spielt die Erwartungshaltung der Fans eine erhebliche Rolle. Während etwa von einer Band wie den Chili Peppers augescheinlich maximale Authentizität verlangt wird, scheinen die Ansprüche an eine Britney Spears-Show tendenziell ganz andere zu sein. Bereits 2017 bestätigte die mittlerweile 37-jährige, was längst alle wussten: "Ein bisschen Playback" sei bei ihrem Gesang zuweilen notwendig – die Tanzchoregraphien seien einfach zu anstrengend, rechtfertigte sich Spears.

Nur ein Jahr später ist aus dem "bisschen Playback" bei ihren Konzerten offenbar Voll-Playback geworden. Von einem "Konzert ohne Gesang" spricht etwa die WAZ, bei der Bildzeitung allerdings wird der wie ein Katastrophenbericht anmutende Beitrag über ihre Show in Berlin kurzerhand mit dem Titel "Egal! Britney darf das!" relativiert. Hier scheinen andere Qualitäten eine Rolle zu spielen. Folgt man dem Bericht, dürften sich diese auf das bloße "Britney-sein" beschränken. "Wirklich schrecklich – und trotzdem großartig" fand es auch ze.tt – den Anspruch, eine musikalisch überzeugenden Show abzuliefern, würde man der Sängerin offenbar kaum zumuten wollen. Spears erweckt gar selbst den Eindruck, sich höchstens als Entertainerin ernst zu nehmen, nicht jedoch als Sängerin.

Achtung – kann Spuren von Playback enthalten

An der Erwartungshaltung sowohl der Fans als auch der Medien sind die Bands natürlich nicht unbeteiligt. So hatten sich die Red Hot Chili Peppers etwa Berichten zufolge vor langer Zeit slbst geschworen, niemals Playback zu verwenden. Immerhin beichtete die Band die Verwendung der Backing Tracks kurz nach ihrem Auftritt beim Super Bowl.

In einem Gespräch mit news.com.au aus dem Jahr 2015 kritisiert Gene Simmons von Kiss vor allem die Unehrlichkeit vieler Künstler, die auf Playback zurückgreifen: "Ich habe ein Problem damit, wenn du 100 $ für eine Live-Show verlangst und der Künstler Backingtracks verwendet", so der Bassist. "Es ist wie mit den Inhaltsstoffen bei Lebensmitteln: Wenn die erste Zutat auf dem Etikett Zucker ist, dann ist das wenigstens ehrlich. Es sollte auf jedem Ticket stehen – du bezahlst 100 $, 30 bis 50 % der Show sind Backingtracks und manchmal singen sie, manchmal bewegen sie nur ihre Lippen synchron. Sei wenigstens ehrlich."

In der Tat hat der Spiegel bereits 1995 bemerkt, dass nach einem Playback-Skandal um Madonna auf vielen Tickets immerhin das Wort "live" nicht mehr auftaucht. Kiss sollen, so der Metal Hammer, pikanterweise kurz vor Simmons' Statement bei einem neuen Song selbst auf Backingtracks zurückgegriffen haben.

Völlig offen geht beispielsweise die deutsche Metalband Powerwolf mit dem Thema Backingtracks um. Die Band versucht erst gar nicht, den Eindruck zu erwecken, als käme der Bass bei ihren Konzerten nicht vom Band – es steht nicht einmal ein Bassist auf der Bühne. Auch bei den Backgroundvocals machen sie Fans nichts vor, schließlich verfügen die Musiker mit Ausnahme des Sängers auf der Bühne über keine Mikros.

Bleibt ein unangenehmer Beigeschmack?

Die Frage, ob eine Show live ist, lässt sich logischerweise häufig nicht mit ja oder nein, sondern nur graduell beantworten. Inwiefern und bis zu welchem Grad Konzerte mit dem Einsatz von Backingtracks akzeptabel oder wünschenswert sind, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Im Falle von Powerwolf scheint der Live-Erfolg der Band die Schlussfolgerung nahezulegen, dass sich viele Fans nicht besonders an den Backingtracks stören.

Äußerst fraglich ist jedoch, ob es sich ähnlich verhielte, wenn statt des Basses der Leadgesang vom Band käme. Eines steht wohl fest: Milli Vanilli jedenfalls hätten auch durch maximale Ehrlichkeit nicht wirklich mehr Anerkennung als Künstler erhalten.

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