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Benjamin Clementine (live in Frankfurt am Main, 2023) © Johannes Rehorst

Es gibt Konzerte, an die sich die Zuschauer noch lange erinnern werden. Der Auftritt von Benjamin Clementine in der Alten Oper in Frankfurt ist definitiv eines dieser Konzerte.

Benjamin Clementine ist ein rätselhafter Künstler. Seine eindrucksvolle Stimme, die nicht wenige Kenner mit Nina Simone verglichen haben, ist geschmeidig, ausdrucksstark und intensiv. Als Künstler besitzt Clementine darüber hinaus eine Präsenz, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die Zuschauer in der spärlich beleuchteten Alten Oper sind so aufmerksam, dass man in ruhigen Momenten die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Gleichzeitig sind sie ausgesprochen enthusiastisch, so als wollten sie kompensieren, dass der Saal bestenfalls halbvoll ist.

Was ist Frankfurt?

Zu Beginn des Abends wirkt es noch so, als wolle Clementine allein seine Musik sprechen lassen, aber je länger der Abend dauert, desto mehr interagiert er mit dem Publikum. Seine klare Gesangsstimme verwandelt sich beim Sprechen aber häufig in ein etwas undeutliches Flüstern, obwohl es Zuschauer im Publikum zu geben scheint, die jedes Wort verstehen.

Seine Ansagen sind bisweilen ebenso speziell wie seine Performances. So fragt er das Publikum, was "Frankfurt" bedeutet (es bedeutet: "Furt der Franken"). Da das niemand weiß (oder sich niemand traut, es herauszublöken), stellt er trocken fest: "Also wisst ihr nicht, wo ihr wohnt".

In Begleitung und alleine

Das Konzert schöpft musikalisch vor allem aus seinem Debütalbum "At Least For Now" und seinem letzten Album "And I Have Been". Begleitet wird Clementine dabei von einem Streichquartett, einem Schlagzeuger und einem Gitarristen/Basissten. Clementine performt aber viele Songs solo am Klavier und als Duett mit dem Gitarristen. 

Manche Performance sind relativ geradlinig wie beispielsweise das perkussive "Adios" oder "Winston Churchill's Boy", eine mysteriöse Parabel über den englischen Staatsmann. Diese verdeutlichen die Stärke des Songswritings des Engländers, der seine instrumentalen und gesanglichen Fähigkeiten mit memorablen Melodien und emotionalen Texten zu verbinden vermag.

Applaus von der Bühne

Wirklich außergewöhnlich sind aber die beiden Songs, bei denen Clementine das Publikum zum Mitsingen animiniert. Als die Zuschauer sein wohl bekanntestes Lied "Condolences" mitsingen wollen, klappt der "I am sending my condolences"-Teil ziemlich gut, aber so gut wie niemand scheint den restlichen Teil des Strophe "to my insecurities" zu kennen.

Ohne klar die fehlenden Worte vorzusagen, lässt Clementine das durchaus willige Publikum minutenlang singen, bis sich doch jemand erbarmt, die fehlenden Textzeilen zu sagen. Außerdem tun sich zwei Männer als Sänger hervor – einer, der mit viel Enthusiasmus singt, aber keinen Ton trifft und ein zweiter, der so gut singt, dass er sogar Applaus von der Bühne erhält.

Einzigartige Momente

Zum Ende des Abend spielt Clementine noch den Song "Genesis", den er mit wenig freundlichen Worten über seine Schwiegermutter und liebevollen Worten über seine Frau einleitet. Sein Ziel besteht darin die Zeile "trapped in free" mindestens fünfzig Mal vom Publikum singen zu lassen.

Und so zählt er mehrfach einen Countdown herunter, während die Zuschauer singen und wenn er bei Null angekommen ist, geht es entweder von vorne los oder mit "minus one" und "minus two" weiter – ein einzigartiger Moment.

Auch auf der Leinwand

Nach dem Konzert muss man erst einmal verarbeiten, was man im Verlauf der letzten 100 Minuten miterlebt hat. In der Intensität gleicht das Konzert berühmten Auftritten von John Cale, mit dem Clementine eine unbeugsame künstlerische Vision teilt.

Dass Benjamine Clementine schon längst in andere künstlerische Sphären vorstößt, zeigt sein Auftritt als Schauspieler im Film "Dune". Dass er ein bühnenreifes Talent besitzt, ist nicht erst nach dem Konzert in Frankfurt klar. Es wäre aber schade, wenn er seine musikalische Karriere aufgeben würde, denn er hat mit Sicherheit noch viel zu sagen.

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