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Kiss (Live in Mannheim 2023) © Rudi Brand

KISS feiern auch in der Mannheimer SAP-Arena Ihre amtliche "End Of The Road"-Abschiedsparty und schließen damit den Kreis, denn in Mannheim spielten sie 1976 ihr erstes Deutschlandkonzert. Dazwischen gibt die volle Bandbreite einer KISS-Show und viele Emotionen zum Abschied.

Stimmenwirrwarr bereits beim Einlass. Schweizerdeutsch, Französisch, Englisch, die Nachfrage nach KISS-Shows ist gerade beim Abschied riesig. Die Merchstände sind stark frequentiert, obwohl die Preise im Vergleich zu 2022 nochmal spürbar angehoben wurden.

Vor und in der Halle posieren Gene Simmons Lookalikes mit Fans für Fotos und nahezu jeder Zuschauer trägt ein KISS Shirt seiner Lieblingsbandphase der letzten 50 Jahre. Die Fans in Mannheim sind neue, junge und alte zugleich und je nachdem ob man schon einmal bei einer KISS Show war, ist das Verständnis für das Erlebte zu interpretieren.

Ein junger Fan wird nach dem Konzert mit großen Augen vom "Erlebnis seines Lebens" berichten und äußert tiefen Respekt vor der Leistung der beiden bereits über 70-jährigen Protagonisten. Der alteingesessene Konzertgänger, kann seit Jahren jede Pose von Stanley und Simmons, jede Ansage und jeden Witz der beiden fast schon vorhersagen.

Gestandener Support

Skid Row haben bei der Metalgemeinde einen ausgezeichneten Ruf. Dabei macht Erik Grönwall, der x-te Nachfolger von Sebastian Bach am Mikrofon, eine prima Figur als Anheizer der Massen. Er bringt den Sleaze'n'Glam-Rock mit Heavy-Anleihen durch klassische Posen und stimmliches Können bestens unter das Volk.

Mit dem lauthals mitgesungenen "18 And Life" wurden sie Ende der 80s im MTV-Zeitalter weltberühmt, bevor Sie der Grunge zu Beginn der 90s unter sich begrub. Mastermind und Gitarrist Dave "Snake“" Sabos gemeinsam Roots mit Jon Bon Jovi hört man bei den akustischeren Stücken und nicht wenige auf den Rängen sprechen von einer super Show": Die perfekten Einpeitscher also für KISS.

Standardrituale für die Massen

Während des Umbaus singt das überwiegend treue Metal-Publikum Hits von Van Halen, Iron Maiden oder AC/DC mit. Der schwarze, überdimensionale KISS-Vorhang wird währenddessen noch einmal hochgezogen.

Die Marktschreier-Stimme aus dem Off plärrt ein vielleicht letztes Mal: „Alright Mannheim, you wanted the best, you got the best. The hottest band in the world: KISS!“. Der Vorhang fällt und dann schweben die vier Giganten noch einmal zu Pyro-Donnerschlägen auf Ihren UFO-Scheiben von der Hallendecke, der längenmäßig nicht ganz ausgenutzten, aber bis unters Dach randvollen SAP-Arena in Mannheim.

"Detroit Rock City" ist ein unkaputtbarer Selbstläufer. Das war schon immer so und so wird es in die Gedenktafeln des Rock gemeißelt sein, wenn Gene und Paul tatsächlich ernst machen und ab 2024 abdanken. Das hymnische "Shout Out It Out Loud" steht dem in nichts nach.

Bewährte Setlist und eine Überraschung

Die zweistündige Show ist bis auf "Makin‘ Love", das „Tears Are Falling“ ersetzt, auch dramaturgisch fast identisch mit dem Konzert in Frankfurt 2022, jedoch um einen Song gekürzt ("Do You Love Me").

Paul Stanley müsste wissen, dass die Menge ein Stück wie "Makin‘ Love" vom 1976 hastig nachgeschobenen "Destroyer"-Nachfolger "Rock and Roll Over" liebt. Der Uptempo Kracher aus der glorreichen Zeit wird ein Höhepunkt der Show. Bei der Ankündigung von "Say Yeah" vom Spätwerk "Sonic Boom" hingegen, hat er z.B. immer noch Mühe die Begeisterung der Menge zu wecken.  

Verneigung vor den Klassikern des Rock'n'Roll

Am besten sind KISS, wenn sie zügellosen und wilden Rock'n'Roll präsentieren. "Deuce" will in Mannheim leider nicht so richtig zünden und der Sound wirkt noch wackelig. Dafür hat "Cold Gin" den Groove der Anfangstage. Beim anzüglichen 83er "Lick it up2 wird wie immer den Urvätern The Who gehuldigt, indem man ihr "Won’t Get Fooled Again" implementiert.

Stanley macht die Windmühle wie Pete Townshend und schwingt später das Mike wie Roger Daltrey. Schöne Nuancen, genauso wie "Rock'n'Roll" von Led Zeppelin als Intro zur gesamten Show. Auch das protzige "Psycho Circus" aus den 90ern und der 80s-Sleaze von "Heaven‘s On Fire" kommen in Mannheim gut an und werden speziell im randvollen Stehbereich textsicher mitgesungen.

KISS als fester Bestandteil der amerikanischen Kultur

Die Pyroshow, die Kanonenschläge, die Superhelden-Attitude und die XXL-Größe der seitlich aufgestellten vier Bandcharaktere: KISS stehen für das Amerika der 70s, als alles möglich war. Leadgitarrist Tommy Thayer schießt bei seinem Soloauftritt auf imaginäre UFOs, die auf den drei Riesenleinwänden gerade New York angreifen. Popcorn RnR der Extraklasse – und man wird es vermissen, wenn es nicht mehr angeboten wird.

Auf besagten Screens sieht man auch immer wieder Archivmaterial der Band aus den wilden 70ern. Diese Ästhetik wird ebenfalls genutzt, als Eric Singer auf seinem Drumpodest meterhoch fährt und sich seine Reinkarnation des von Peter Criss geschaffenen Catman auf den Leinwänden mehrfach im Panoptikum spiegelt. Das Publikum liebt diese ausschweifenden Solodarbietungen immer noch. Man ist auch in Mannheim, um diesen puren Anachronismus abzufeiern.

1976: Blick zurück (im Zorn)

Es ist kaum vorstellbar, wie KISS am 18.05.1976 erstmals auf deutschem Konzertboden, ausgerechnet im Mannheimer Rosengarten, aufschlugen. Es muss wie die oft zitierte "unheimliche Begegnung mit der dritten Art" gewesen sein. Die Band auf Ihrem künstlerischen Zenit, alle vier Originalmitglieder im Vollbesitz Ihrer Kräfte und mit nahezu magischen Fähigkeiten ausgestattet.

Die eigene Fitness und der Anspruch von Stanley/Simmons lassen aktuell leider Gastauftritte von ehemaligen KISS-Mitgliedern bei der "End Of The Road"-Tournee unmöglich erscheinen. Gerade Ace Frehley ist gekränkt und übt harte Kritik an den beiden "Diktatoren", die ihn aber nicht mehr als Vollzeit-Leadgitarrist einstellen können und wollen.

Ob es zum großen Finale im Madison Square Garden Anfang Dezember 2023 ein Happy End mit allen vier Originalmitgliedern geben kann, muss stark bezweifelt werden. Die Fans wünschen sich offenbar jedoch nichts sehnlicher.

Alle lieben Gene

Auch wenn Gene Simmons, mit 73 ältestes Mitglied der Band, in diesem Jahr während der Abschiedstour etwas schwächelte, ist er der gefeierte "Dämon". Seine Auftritte bei "Calling Dr. Love" und dem unverwüstlichen "God Of Thunder", das er blutverschmiert schrill von der Hallendecke kreischt, verfehlen auch in Mannheim Ihre Wirkung nicht.

Jeder will das Erlebte mitfilmen und die Leute vergessen darüber sogar fast das Mitklatschen. Martialisch brettert "War Machine" auch beim letzten Auftritt über die Menge hinweg. Simmons hatte die Doppeldeutigkeit des Stücks 1982 geschickt inszeniert und nahm die Sichtweise eines Kriegstreibers ein. Angesichts der weltweiten Gewaltspirale hinterlässt die Message auch im Jahr 2023 ein flaues Gefühl im Magen.

Später Siedepunkt

Erst als Paul Stanley sich in gewohnter Manier mit der Seilwinde zum anderen Ende der Halle begibt, um ein orgiastisches "Love Gun" zu schmettern, steigt die Stimmung in der gesamten Halle merklich an. Stanley sagt nochmal, dass seine Mutter in Deutschland geboren wurde und er diese Wurzeln in sich trägt.

Er fordert jeden in der Halle auf, nun seinen Hintern gefälligst aus dem Sitz zu heben und mitzumachen. Energisch und mit dem Erfolg, der ihn seit über 50 Jahren als Frontman gestählt hat bringt er die nun komplett tosende Halle hinter sich. Es folgt mit "Black Diamond" ein weiterer Publikumsliebling, bei dem auch Eric Singer die Leadvocals übernehmen darf.

Finale Grande

Der Dramaturgie folgend darf der Schlagzeuger nun auch am Klavier den Tränenzieher "Beth" darbieten und die Band versammelt sich zum Ende am Klavier. Schlingel Simmons wischt symbolisch die Tränen vom Flügel und Stanley stellt die ewige, rhetorische Frage, ob das Publikum mehr will?

Es bekommt mit "I Was Made For Loving You" den größten Hit der Band und wie in Frankfurt 2022 wirkt er härter und kantiger als die smoothe Discoversion 1979. Es folgt mit "Rock and Roll All Nite" das obligatorische Abschlussmotto von KISS und die SAP-Arena badet im Konfettiregen. Unter ohrenbetäubendem Lärm und im tosenden Jubel gehen die Helden ab. Für immer?

Epilog

Zu KISS gab es immer nur zwei starke Emotionen: Liebe oder Abneigung. In Mannheim waren an diesem Abend nur Menschen, die KISS lieben. Ihnen verzeihen, dass Sie vielleicht etwas überspielt wirken und das Alter unter den Masken nicht viel länger kaschiert werden könnte.

KISS haben Ihren festen Platz in der Rock and Roll-Historie und sie wollten sich zum Schluss nochmal von allen Fans verabschieden. Das ist aller Ehren wert.

"Mannheim, wir werden uns nicht mehr wiedersehen aber wir werden euch nie vergessen" sagt Paul Stanley zum Ende und man kauft es ihm sogar ab, denn schließlich haben Sie 50 Jahre lang ein Stück des "American Dream" konstant in unser Land gebracht und Ihre treuen, deutschen Fans sehr glücklich gemacht. "God Gave Rock 'n' Roll to You" als Outro vom Band sagt dann alles. Danke dafür!

Setlist

Detroit Rock City / Shout It Out Loud / Deuce / War Machine / Heaven's on Fire / I Love It Loud / Say Yeah / Cold Gin / Guitar Solo / Lick It Up / Makin‘ Love / Calling Dr. Love / Psycho Circus / Drum Solo / 100.000 Years / Bass Solo / God of Thunder / Love Gun / Black Diamond /  Beth / I Was Made for Lovin' You / Rock and Roll All Nite / God Gave Rock 'n' Roll to You II (Outro)

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