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Kiss (live in Frankfurt, 2022) © Leonard Kötters

Die legendären Maskenrocker KISS bieten ihren deutschen Fans zum Abschied in der Frankfurter Festhalle alles, was sie in 50 Jahren ausgezeichnet hat und schießen ein letztes Mal ihr patentiertes Greatest Hits-Feuerwerk ab.

Während 100 km weiter südlich die Genre-Platzhirsche von Metallica mit ihrem einzigen Deutschlandkonzert des Jahres 2022 am Hockenheimring etliche "Metalfans" für sich beanspruchen könnten, bahnt sich doch eine erstaunliche Zahl von KISS-Fans an diesem schwül-gewittrigen Junifreitag den Weg durch den Frankfurter Wolkenbruch in die altehrwürdige Festhalle, um noch einmal eine der allerletzten KISS-Messen zu erleben.

Lokaler Support und alte Rituale

Nachdem die Wiesbadener Band The New Roses mit gut abgehangenem 90er-Sleazerock die Menge angeheizt hat, steigt der Lärmpegel und das Getose während der Umbaupause merklich an.

"We want KISS" schallt es durch das sich stetig füllende Oval der Festhalle, während auf Bildschirmen Werbung für die wirklich allerletzten KISS Cruises läuft, bei denen man seinen Lieblingen noch einmal ganz nahe kommen kann. Es lebe die Marktwirtschaft!

Ein einmaliges Happening

Die Zuschauer sorgen derweil für ein einmaliges Happening mit KISS-Lookalikes aller Altersklassen und einer eingeschworenen Gemeinde (der KISS-Army), welche die Rockgötter verabschieden will.

Dann bahnt sich die Band mit der legendären Marktschreier-Ansage aus dem Off: "Alright, you wanted the best, you got the best: the hottest band in the world: KISS" ihren urwüchsigen Weg.

Brachialer Beginn

Zum Auftakt des Konzerts schweben die vier Superhelden tatsächlich zu Pyro-Donnerschlägen auf ihren UFOs von der Hallendecke und schmettern der ekstatischen Meute ihre vielleicht beste Nummer "Detroit Rock City" entgegen. Mit "Shout Out It Out Loud" haben KISS ein immer verlässliches zweites Stück am Start, das nochmal am Wohlfühlregler dreht und den KISS Fans einheizt.

Die zweistündige Show hat zahllosen Höhepunkte. "Psycho Circus" vom Comeback Album des Original Line-Ups ist z.B. immer noch ein phantastischer Song und steht für den Sound der Band in den 1990er-Jahren.

KISS in den 80ern

Die Stimmung ist wild und ausgelassen. Speziell Gene Simmons weiß wie kein anderer, wie man dem Affen Zucker gibt. "War Machine" rollt gewaltig wie eh und je über die Menge hinweg. Bei "Lick It Up" kennt die Zweideutigkeit keine Grenzen mehr.

Der Stampfer "I Love It Loud", "Tears Are Falling" und das gefeierte "Heaven’s On Fire" komplettiert die schwierige Phase in den 1980ern, als KISS nach einer Neuausrichtung suchten, diverse Besetzungswechsel zu verkraften hatten, aber gelegentlich immer noch Riesenhits schrieben.

Die Sache mit den Originalmitgliedern

Es ist eine Glaubensfrage unter beinharten KISS-Fans, ob man die Band ohne Ace Frehley und Peter Criss überhaupt akzeptieren kann. Die immense Nachfrage nach Ticktes gibt Paul Stanley und Gene Simmons allerdings recht. Und so haben sie mit verlässlichen Partnern hinter der Maske immer weiter gemacht.

Speziell Leadgitarrist Tommy Thayer, mit 61 jüngstes KISS-Mitglied, ist eine Bank. Ihm und Schlagzeuger Eric Singer werden ausreichend Raum für obligatorische Solosparts eingeräumt. Es halten sich dennoch hartnäckige Gerüchte, dass beim Tourneeabschluss in den USA 2023 die beiden "schwierigen" Ex-Mitglieder und Fanlieblinge noch einmal am Ende des Weges vorbeischauen könnten.

Paul "Starchild" Stanley

Die beiden KISS-Köpfe sind durch und durch Profis und halten sich mit Ansagen, Verabschiedungen oder gar politischen Statements mehr zurück als sonst. Stanley erwähnt, dass man in 50 Jahren fünfmal in Frankfurt gastiert habe und seine Mutter in Berlin geboren wurde.

Überhaupt ist Paul Stanley mit 70 Jahren immer noch die eindrucksvoll-charismatische Frontfigur der Band, der das gesamte Show-Spektrum beherrscht, egal ob er am Bühnenrand mit freiem Oberkörper tänzelt, sich stimmlich noch einmal alles abverlangt oder zum orgiastischen "Love Gun" an einer Seilwinde auf die Mitte der Halle schwebt.

Hier setzt die Band mit dem größten KISS-Hit "I Was Made For Lovin' You" nochmal ein Highlight und die Band spielt den smoothen Discohit von 1979 deutlich ruppiger als in der Studioversion. So wollen es die Leute und so bekommen sie es.

Gene "The Demon" Simmons

Über den "Bürgerschreck" Gene Simmons wurde in 50 Jahren sehr viel geschrieben. Die "Gene, Gene, Gene"-Rufe sind auch in Frankfurt unüberhörbar.

Seine Showeinlagen beim obszönen "Calling Dr. Love" und dem unverwüstlichen "God Of Thunder", das er blutverschmiert von der Hallendecke kreischt, sind legendär. Voller sexueller Anspielungen, mit rausgestreckter Zunge, viel schauspielerischem Talent und ganz in der Rolle des "Demon" aufgehend bringt er 100% Leistung – seine markanten Growls am Beil-Bass inklusive.

Gene Simmons ist auch abgeklärt genug, einer offenbar gelangweilt aufs Handy starrenden jungen Besucherin der ersten Reihe den Spiegel vorzuhalten und in perfektem Deutsch mitzuteilen, in welchen Sprachen er seine kurze Ansage auswendig gelernt habe. Eine Showgröße an der sich viele reiben, die aber genau weiß, was die Fans wollen.

KISS in den 70ern – the real thing

Es sind jedoch die 70er KISS, die auch an diesem Abend abgefeiert werden sollen und die Band weiß das auch. Das Livealbum "Alive" war 1974 im Hardrock-Bereich genredefinierend.

Vier Stücke vom bahnbrechenden Debüt aus dem Jahr 1973, "Deuce", "100.000 Years", "Cold Gin" und speziell "Black Diamond", das die Band aber dreimal neu starten muss, zeigen, dass der rüde, durch den Fleischwolf gedrehte, Rock'n'Roll der Anfangstage bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat.

"Destroyer" als Monolith im Set

Im Zentrum ihrer Setlist steht schon seit Jahren der Hardrock-Klassiker "Destroyer" von 1976, bei dem Bob Ezrin sich den vier Helden annahm und ihr Soundspektrum erweiterte. "Wir schrieben damals einfach ein Stück nach dem anderen", berichtet Paul Stanley vor den Zugaben.

Bei "Beth" darf Eric Singer am Piano zum Playback singen, wie einst Peter Criss. Ein Tränenzieher und nostalgische 70s Reminiszenz par excellence. "Do You Love Me" und der ewige Rausschmeißer "Rock n Roll All Nite (And Party Everyday)" lassen die Zuschauer in der Festhalle dann komplett ausflippen.

Der Abschied

Konfettikanone, Riesenballons und Donnerschläge begleiten den Abgang dieser uramerikanischen Legenden, die oft kopiert, aber nie erreicht wurden. Alle in der Halle singen lauthals mit, tanzen, sind glücklich, obwohl es in diesen schwierigen Zeiten wie der Tanz am Abgrund wirkt.

KISS beweisen sich nochmal als ewiger Seelentröster. Das Ende des Weges ist nah. Die Kostüme sind jenseits der 70 immer schwerer zu tragen, die Show verlangt den beiden Protagonisten alles ab, aber KISS haben auch in Frankfurt das gemacht, was sie am besten können: den klassischen Rock'n'Roll kostümiert zelebriert und damit viele Leute sehr glücklich gemacht.

Setlist

Detroit Rock City / Shout It Out Loud / Deuce / War Machine / Heaven's on Fire / I Love It Loud / Say Yeah / Cold Gin / Guitar Solo / Lick It Up / Calling Dr. Love / Tears Are Falling / Psycho Circus / Drum Solo / 100.000 Years / Bass Solo / God of Thunder / Love Gun / I Was Made for Lovin' You / Black Diamond / Beth / Do You Love Me / Rock and Roll All Nite / God Gave Rock 'n' Roll to You II

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