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Pearl Jam (live in Frankfurt 2022) © Torsten Reitz

Die Grunge-Dinosaurier Pearl Jam spielen nach 30 Jahren wieder in Frankfurt und verwandeln die ausverkaufte Festhalle mit einem triumphalen Konzert in einen brodelnden Kessel.

Für einen Moment konnte man am gestrigen Dienstag vergessen, dass die zu Beginn der 1990er- Jahren aus Seattle hereinbrechende und nur kurz währende Hochzeit des Grunge mit all ihrem Weltschmerz und der räudigen, rauhen Fuck You-Attitüde lange schon Populärmusikgeschichte ist.

Einige der damaligen Protagonisten, darunter Andrew Wood (Mother Love Bone), Kurt Cobain (Nirvana), Layne Staley (Alice in Chains) und Chris Cornell (Soundgarden) verloren den dramatischen und oft von schwerer Drogensucht geprägten Kampf gegen die eigenen Dämonen. Zuletzt starb im Februar dieses Jahres Mark Lanegan (Screaming Trees).

Rückkehr nach 30 Jahren

Pearl Jam hingegen trotzten allen Krisen, überlebten und bauten ihren Status weltweit zur Legende aus, der die Fanscharen enthusiastisch über Ländergrenzen hinweg hinterherreisen. Dieser Ruf eilte ihnen auch in Frankfurt voraus und es sollte ein ganz besonderes Konzert werden – nicht zuletzt weil die Band ihren bislang einzigen Auftritt in Frankfurt vor 3 Dekaden am 12. März 1992 im Rahmen der Tour zum Debütalbum "Ten" in der altehrwührdigen Batschkapp spielte.

Klar also, dass bereits am frühen Nachmittag hunderte mitgealterte Fans um die 40 mit aktuellen Tourshirts die Straßen in Richtung Festhalle säumten und die Bierstände auf dem Gelände bei bestem Wetter und bester Laune schmückten.

Heiß, heißer, Festhalle

Pünktlich um 20:00 Uhr eröffnen die irgendwo zwischen Garage Punk, Alternative und gefälligem Indie wandelnden White Reaper aus Louisville, Kentucky den Abend mit einem Set, das zum Teil von technischen Problemen und einem insgesamt leider sehr matschigen Sound geprägt war. Dem Publikum war dies zumindest in den vorderen Rängen egal und goutierte den Auftritt des Quintetts mit freundlichem Applaus.

Nach lediglich 30 Minuten verlassen White Reaper die Bühne und nicht wenige Zuschauer:innen diskutieren beim anschließenden Gang zu den Getränkeständen in der sehr warmen, stickigen und kaum gelüfteten Halle darüber, ob es so ein kurzes Set wirklich gebraucht hätte und ob Pearl Jam überhaupt eine Vorband brauchen. Sicherlich keine unberechtigten Fragen bei einer Band mit so vielen Alleinstellungsmerkmalen.

Enthusiastische Begrüßung

Als um kurz nach 21:00 Uhr die Saallichter erlöschen und Eddie Vedder (Gesang, Gitarre), Mike McCready (Gitarre), Stone Gossard (Gitarre), Jeff Ament (Bass) und Matt Cameron (Schlagzeug) sowie Boom Gasper (Orgel) langsam und lässig die Bühne betreten, entlädt sich bei den über 13.000 Besucher:innen die seit 2 Jahren aufgestaute Spannung in einem gellenden Freudenschrei zu den getragenen Tönen des auf dieser Tour erstmals gespielten "Inside Job".

Frontmann Vedder weiß es zu schätzen und begrüßt das Publikum in der Festhalle, die er wohlwollend als "crazy, crazy building" bezeichnet, in seiner gewohnt maximal charismatischen Art mit den Worten "we are glad to be back and we are fucking alive as well". Ein Motto, das an diesem Abend sowohl für das Publikum als auch für die sich in absoluter Hochform präsentierende und mit maximaler Energie performende Band steht.

Glückliche Fans

Pearl Jam brauchen hierfür weder eine aufwändige Lichtshow, noch überbordende Showelemente. Hier geht es rein um die Musik! Die ihresgleichen suchende, spielerische Interaktion zwischen Publikum und Band betont dies umso mehr. Wenig verwunderlich also, dass die Festhalle schon nach kürzester Zeit, spätestens aber nach "Why Go" und "Corduroy" (eingeleitet mit dem sehr selten gespielten Beginn von Pink Floyds "Interstellar Overdrive"), einem brodelnden Kessel gleicht.

Dass hier gefühlt eine unerwartete Rarität nach der anderen folgt, trägt dem nur zusätzlich bei. So bauten die Grunger mit dem "Binaural"-Outtake und letztlich 2003 auf "Lost Dogs" veröffentlichten "Fatal" neben dem Opener "Inside Job" sogar noch eine zweite Tourpremiere in die Setlist mit ein.

Dass dann auch noch das ebenfalls nur selten gespielte, melancholisch dunkelbunte "Garden" mit einem famosen Solo von Mike McCready zu hören war, das setzte dem Ganzen zusätzlich die Krone auf. Ein Konzert wie gemacht für Pearl Jam-Kenner. Für viele davon war der Abend nicht nur eine Reise zurück in die eigene Jugend, er kam ebenfalls einer kathartischen Erfahrung gleich. Denn so viele von Glück erfüllt lächelnde Gesichter sieht man selten auf Konzerten.

Solidarität mit der Ukraine

Auch die politischen Statements dürfen an diesem für alle Seiten speziellen Abend selbstverständlich nicht fehlen. Natürlich darf bei dabei auch nicht der Blick auf das eigene Land fehlen und so zeigt sich Vedder überaus beschämt über das erst in der Vorwoche durch den Supreme Court gekippte Abtreibungsgesetz. Doch auch die Weltpolitik kommt zur Sprache.

Dazu gehört nicht nur der von Eddie Vedder bei "Porch" in die Kameras gehaltene Karton mit der Aufschrift "Free Ukraine", sondern auch die erste, der Ukraine gewidmete Zugabe "River Cross" vom aktuellen Album "Gigaton", nach dessen Ende die LED-Screens über der Bühne dann auch anhaltend in den Farben der ukrainischen Flagge erstrahlen.

Kurz, aber eindrucksvoll

Passend dazu folgen "State of Love and Trust" und "Alive" mit abschließendem Solo von Multiinstrumentalist Josh Klinghoffer. Der geschasste Gitarrist der Red Hot Chili Peppers begleitet Pearl Jam auf der aktuellen Tour und wirkt unterstützend an Gitarre, Schlagzeug und Gesang mit. Das abschließende "Indifference" bringt eine letzte introspektive Note in die Nacht und sorgt für das stimmige Ende eines besonderen Konzertes.

Ein perfekter Konzertabend also? Nicht ganz! Anders als bei früheren Tourneen beträgt die Spieldauer dieses Mal nur zwei Stunden und nicht wenige Fans wünschten sich mindestens einen weiteren Zugabenteil. Doch Quantität ist nicht alles und die Qualität der Darbietung und der Songauswahl entschädigt dafür voll und ganz.

Lebendig wie eh und je!

Das größte Manko des Abends allerdings ist der schlechte Sound in der schwierigen akustischen Umgebung der Festhalle mit ihrem Kuppelbau. Viele Ansagen von Sänger Eddie Vedder waren in der Weite des Raumes schlichtweg einfach nicht zu verstehen und manche Songs hätten mit amtlichem Sound definitiv noch besser funktioniert.

Das kann man der Band selbst sicherlich nicht anlasten, denn diese sprühte In Frankfurt vor Optimismus, Präsenz und Spielfreude. Der Grunge selbst mag im Wandel des Zeitgeistes gestorben sein. Pearl Jam zeigen sich an diesem Abend aber so lebendig wie eh und je!

Setlist

Inside Job / Animal / Last Exit / Why Go / Mind Your Manners / Interstellar Overdrive / Corduroy / Fatal / Elderly Woman Behind the Counter in a Small Town / Dance of the Clairvoyants / In My Tree / Given to Fly / Garden / Never Destination / Do the Evolution / Jeremy / Buckle Up / Better Man / Porch //  River Cross / State of Love and Trust / Alive / Indifference

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