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Thom Yorke (live in Frankfurt 2019) © Torsten Reitz

Ästhetik wird bei Thom Yorke ganz großgeschrieben. Der Radiohead-Frontmann vernebelt die Frankfurter Jahrhunderthalle bei seiner Soloshow mit starken Visuals, kleineren Tanzeinlagen und einem hochkarätigen Set.

Thom Yorke ist immer für eine Überraschung gut. Gerade mit seiner Veröffentlichungspolitik umgeht er nicht selten die Regeln des Musikmarktes und stellt seine Fanbase vor vollendete Tatsachen. Meistens vor glänzende.

Ins kalte Wasser geworfen

Nach dem "bezahlt was ihr wollt"-Release von Radioheads "In Rainbows", der Bittorent-Veröffentlichung seines zweiten Soloalbums "Tomorrow’s Modern Boxes" steht nun eine Woche vor der Show in der nicht restlos gefüllten Frankfurter Jahrhunderthalle sein neues Solowerk "Anima" online.

Unvermittelt, ohne wirkliche Ankündigung, mit so wenig Vorlaufzeit, dass die sperrigen Elektrosongs bei den Hörern kaum so viele Durchläufe genossen haben können, wie nötig gewesen wären, um sich adäquat auf die Show vorzubereiten.

Vorsicht Epilepsie

Yorke kümmert das wenig. Er stellt die Platte ins Zentrum des Abends und spielt bis auf eine Ausnahme alle Songs. Die meisten davon feiern am Vortag in Köln gar ihre Livepremiere. Sein steter Begleiter und Stammproduzent Nigel Godrich pumpt die Bässe und Samples in das weite Rund. Der Künstler Tarik sorgt als Live-VJ für eindrucksvolle Visuals auf einer großen LED-Wand im Rücken der Band.

Draußen an den Toiletten prangt ein Warnhinweis: "Die Lichtshow enthält Stroboskopeffekte, die epileptische Anfälle auslösen können. Betreten der Halle auf eigenen Gefahr!" Das Publikum gehobeneren Alters –  die meisten wohl auch deshalb so nah am Elektro, weil sie irgendwann von "Karma Police" gefangen wurden, und Yorkes Stimme seither nie wieder losgelassen hat – es muss sich bereits beim Supportact Andrea Belfi darauf einstellen.

Der italienische Schlagzeuger und Elektroproduzent streut bereits im Vorprogramm den elektrifizierten Zauber aus stroboskopbenetzter Drum-Avantgarde in die Halle. Das Publikum goutiert den ungewöhnlichen Ansatz seiner Stücke höflich. Die Euphorie gehört aber ganz Maestro Yorke.

Zeitlos Futuristisch

Die Begeisterung ist dann am größten, wenn der Brite Songs seines grandiosen Solodebüts "The Eraser" zum Besten gibt. Auch dreizehn Jahre nach dem ersten Hören klingen "Harrowdown Hill" oder "The Clock", für die sich Yorke den E-Bass umschnallt, so zeitlos chic und frisch wie beim ersten Mal.

Yorke variiert manche seiner ohnehin in jeder Hinsicht ungewöhlichen Melodie-Linien. Der nächste Ton ist immer der, der nicht am naheliegendsten wäre. Falls sich sein gesamtes Schaffen überhaupt auf eine Formel bringen lässt, dann auf diese.

Avantgardistisch

Für die neuen Stücke, wie "Not The News" oder "Dawn Chorus" steht er öfter am zweiten Synthesizer neben Godrich. Beinahe Kraftwerk-esque wirkt hier der Aufbau, die Szenerie mindestens so futuristisch. 

Im Hintergrund verwandeln sich Prismen, Quarder und andere geometrische Formen in Ameisenhaufen, die Barri wellenförmig kollidieren lässt. Bild- und Ton sind stets geprägt von einer beneidenswerten Ästhetik, die als feinster Elektrosmog über die Zuschauer schwappt.

Leisere Stücke wie "Nose Grows Some" aus "Tomorrow’s Modern Boxes" aber vor allem "Has Ended" von Yorkes Soundtrackarbeit "Suspirium" zum Horrorfilm gleichen Namens, für das er allein am E-Piano Platz nimmt, sind das stimmige Kontrastprogramm zu den schweren Beats und lichtintensiven Eindrücken.

Vielseitig

Stimmig auch deshalb, weil trotz Fokus auf die neue Platte ein runder Querschnitt seine Soloschaffens selbst die Atoms For Peace Platte "Amok" berücksichtigt, für die Yorke seinerzeit mit Red Hot Chili Peppers Bassist Flea zusammenarbeitete.

Der Titelsong des Albums und das den ersten Zugabenblock beschließende "Default" sind weitere Highlights eines äußerst kurzweiligen zweistündigen Konzertabends. 

Der jüngste Fünfzigjähre

Yorke bestätigt einmal mehr seinen Status als Ausnahmekünstler, der sich spielend über Genregrenzen hinwegsetzt, dem dabei nahezu alles gelingt, was er anfasst.

Wenn er mit Dutt und Hochwassershorts stilsicher über die Bühne tänzelt, performt hier der jüngste Fünfzigjährige des Musikbusiness, ganz ohne Koketterie, mit einem Elektro-Konzert, das zum Besten zählt, was in diesem Genre auf der Bühne machbar ist.

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