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Sun Ra Arkestra (live in Mannheim, 2019) © Manfred Rinderspacher

1958 trat Marshall Allen dem legendären Sun Ra Arkestra bei – nach dem Tod des legendären Bandleaders übernahm er bald dessen Leitung. Zur Feier von Allens 95. Geburtstag spendiert das Arkestra in der Alten Feuerwache Mannheim einen Gruppenausflug ins Weltall.

Sein brillanter Avant-Garde-Jazz und seine exzentrische Persönlichkeit machten Sun Ra und seine Band – das Arkestra – bereits zu Lebzeiten zur Legende. Nach seinem Tod im Jahr 1993 übernahm der langjährige Arkestra-Saxophonist Marshall Allen dessen Leitung, um den Spirit und die kosmische Philosophie Sun Ras weiterleben zu lassen. 

Hitparade

Zur Feier seines 95. Geburtstag (!) lässt Allen es sich nicht nehmen, noch einmal mit dem Arkestra auf Tour zu gehen. Die Bühne der gut besuchten Mannheimer Feuerwache sieht fast schon zu klein aus für die insgesamt zwölf Musiker, deren Verbundenheit zu Sun Ra schon durch die schillernden, pailettenbesetzen Kostüme augenfällig ist.

Bereits mit den ersten Tönen macht Allens Arkestra klar, dass hier kein müdes Revival der "Hits" des mythischen Bandleaders auf dem Programm steht: Die Band ist vollständig investiert in ihre Performance; der ansteckende Rhythmus, der das Set zusammenhält, versetzt die Beteiligten in kollektive Trance.

Weird Worlds

Überhaupt ist der Rhythmus einer der wichtigsten Faktoren des Live-Sets: Schlagzeug, Percussion und ein wirklich exzellenter Bass sorgen durchgängig für ein so grooviges wie abwechslungsreiches Fundament, das stellenweise von den Musikern der Bläsersektion mit weiterer Percussion ergänzt wird und so eine faszinierende Komplexität entfaltet.

Die Bläser wiederum sind mit verschiedenen Holz- und Blech-Instrumenten äußerst divers aufgestellt, und erinnern insbesondere klanglich oft an klassische Big-Band-Sounds – angereichert mit einer guten Portion Sun Ra'scher weirdness, die sich vor allem in schrägen Harmonien und unkonventioneller Melodieführung zeigt. 

Gütesiegel

Die spielerischen Qualitäten des Arkestra sind unleugbar: Sun Ra war zu seinen Lebzeiten stets ein fordernder (und manchmal wohl auch leicht tyrannischer) Band-Leader, der nur die besten Musiker zu sich auf die Bühne holte. 

Es verwundert also nicht, dass die Gruppe mit einer unglaublichen Leichtigkeit zwischen Komposition und Improvisation hin- und herwechselt; dass sich Solo-Spots und Gruppenimprovisation mit eingängieren, von Gesang getragenen Passagen abwechseln. 

Marshall Allen brilliert dabei als Bandleader mit Leib und Seele: Wenn er nicht gerade die Bläsersektion mit seinen charakteristischen, kraftvollen Alto-Salven unterstützt, gibt er der Gruppe mit leidenschaftlichen Gesten Spielanweisungen. Allen brennt mit einer solchen Leidenschaft für den gemeinsamen Sound, dass man sein Alter über weite Strecken des Auftrittes einfach vergisst – Musik hält wohl wirklich jung.

Kosmischer Spagat

Wenngleich das Arkestra auch fast ausschließlich Sun Ra-Songs (teilweise ursprünglich von Allen komponierte, wie beispielsweise "Angels and Demons at Play") spielt, fühlt es sich doch zu jedem Zeitpunkt so an, als würden sie sich die Lieder zu eigen machen. 

Dabei gelingt ihnen auch jener Spagat, der Sun Ras Musik bis heute im Jazz zu einer so einzigartigen, herausstechenden Erfahrung macht: Die Gratwanderung zwischen Avant-Garde und Zugänglichkeit, zwischen Free Jazz-Freakouts und mitreißendem Soul.

Kollektiverfahrung

Die Menschen auf der Bühne zelebrieren die eigene Musik und den Band-Sound, zelebrieren auch ihren ehemaligen, von so vielen (selbstgeschaffenen?) Mysterien umgeben Bandleader Sun Ra.

Gleichzeitig gelingt es ihnen jedoch, trotz der Komplexität ihrer Musik, niemals in verkopftes Genudel abzudriften: Jeder Ton ist hier am richtigen Platz, niemals drängt sich ein Musiker – ob während eines Solos oder in der Gruppe – unangenehm in den Vordergrund.

Das Zusammenspiel steht hier im Mittelpunkt, das gemeinsame feeling – und genau das ist es auch, was letztendlich beim begeisterten Publikum ankommt: Ein Gefühl tiefer Verbundenheit, mit der Musik und dem Kosmos; das Gefühl, Teil einer einzigartigen Erfahrung zu sein.