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Denardo Coleman "The Shape of Jazz to Come" (live in Ludwigshafen, 2023) © Manfred Rinderspacher

Mit Orchester und einer erlesenen Auswahl an Solistinnen und Solisten huldigt Denardo Coleman bei Enjoy Jazz "The Shape of Jazz to Come", einem der wohl bekanntesten Alben des großen Ornette Coleman. Ein Abend, der erfolgreich die Zeitlosigkeit von Colemans Musik demonstriert.

Mit "The Shape of Jazz to Come" schrieb Ornette Coleman Jazz-Geschichte: Bis heute gilt das Album als ein Genre-Klassiker; mit seinem Verzicht auf ein Akkordinstrument und seine freieren Strukturen handelte es sich außerdem um einen wichtigen Eckpunkt in der Entwicklung des Free Jazz – so ist es nur passend, diesem Album im Rahmen von Enjoy Jazz Tribut zu zollen. 

Wo das Original-Album in Quartett-Besetzung aufgenommen wurde, stehen bei Denardo Colemans Tribut im BASF Feierabendhaus eine achtköpfige Band um Coleman – u.a. mit Moor Mother, Mary Halvorson und Isaiah Collier – sowie die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz unter Leitung von Ernst Theis auf der Bühne. 

Kontinuierliches Wechselspiel

Die von sechs verschiedenen Komponistinnen und Komponisten neu imaginierten Stücke spielen stark mit einem dynamischen Wechsel von Orchester und Band. Immer wieder verlagert sich der Fokus zwischen beiden, liegt mal auf der vollen Soundbreite der Staatsphilharmonie, mal auf dem Drive der Jazz-Band.

Wenn beide in den klimaktischen Momenten zusammenspielen, vereinigen sich die verschiedenen Instrumente zu einer überwältigenden, aber stets dynamischen, bewegten Sound-Wand, die den Zuschauer einlädt, die Augen zu schließen und in ihr zu versinken. 

Neu interpretiert

Natürlich sind die Themen des Albums klar erkennbare Ankerpunkte der Kompositionen, um diese herum nutzen die Komponist/innen jedoch die freie Struktur der Stücke, um verschiedene Stimmungen innerhalb der Songs zu finden und mit den Vorlagen zu spielen.

So wird beispielsweise das melancholische "Peace" durch die Vocals der Rapperin und Dichterin Moor Mother zu einer Meditation zum Thema Frieden, während die Version des Standards "Lonely Woman" die elegische Stimmung des Stücks durch langsam sich steigernde Streicher-Harmonien in den Vordergrund rückt.   

Fleshed out

Denardo Coleman tat gut daran, sich mit seinem Tribut-Projekt klanglich weit von dem Original seines Vaters zu entfernen, und die Song-Skizzen von The Shape of Jazz... mithilfe eines erweiterten Klangspektrums neu zu interpretieren und auszuarbeiten.

Letztlich gelingt es der Neuinterpretation so, einmal mehr die Zeitlosigkeit des Original-Albums zu demonstrieren und zu zeigen, dass die Ideen und Themen Ornettes auch über 50 Jahre nach der Veröffentlichung noch weiter resonieren. 

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Zeitlosigkeit ist auch das Thema des Auftritts von Mary Halvorson (Gitarre) und Sylvie Courvoisier (Piano) im Heidelberger Betriebshof: "Searching for the Disappeared Hour" heißt das jüngste Album des Duos, von dem diese bei ihrer Matinee-Show einige Stücke präsentieren. 

Der Auftritt fühlt sich in seiner sprunghaften, spielerischen Dynamik an wie ein Gespräch zwischen Halvorson und Courvoisier, die scheinbar mühelos zwischen verschlungenen Arpeggios hin und her gleiten und durch die Verwendung von extended techniques und Effekten den Klangkosmos ihrer Instrumente konsequent erweitern – eine Konversation, die Raum für die einzelnen Musikerinnen lässt und die im gemeinsamen Spiel nie lange auf einem Punkt verharren, von Konsonanz zu Dissonanz springen. 

Tatsächlich wirken auch die Songs von Halvorson und Courvoisier merkwürdig zeitlos. Trotz erkennbarer Einflüsse und Inspirationen lässt sich der Klang des Duos nur schwer festlegen – und bleibt auch dadurch über die gesamte Spielzeit hinweg spannend und mitreißend. 

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