Holy Fuck.

Holy Fuck. © James Mejia

Mit Lichter und Holy Fuck trafen am 13. April zwei vollkommen unterschiedliche Bands aufeinander. Trotz alledem, oder gerade deswegen, hatten die Besucher zwar nicht das Konzert des Jahres, aber dennoch einen wunderbaren Abend erlebt. Die Mischung macht's eben.

{image}Wir befinden uns in Weinheim an der Bergstraße, der Ankunftszeitpunkt nach einer beinahe ewig scheinenden Straßenbahnfahrt ist 20:40 Uhr. Auf dem Parkplatz vor dem Café Central macht sich ein ungutes Gefühl breit, ist er doch vollkommen leer. Das bestätigt sich dann im Innern, wo nach gutgemeinter Zählung 40 Besucher anwesend sind, die sich am Sonntag Abend etwas Zeit für gute Musik nehmen. Diese Zahl wird sich im Laufe des Abends nicht weiter verändern, was wohl einerseits eben am Wochentag, andererseits am noch nicht bis nach Deutschland durchgedrungenen Hype um Holy Fuck liegen mag.

Im Konzertraum haben sich nur Wenige der Anwesenden vor die Bühne verirrt, auf der Lichter zu ihrem Set ansetzen, und alle stellen sich etwas nach hinten. Andere bleiben draußen stehen oder setzten sich gemütlich in den Vorraum. So entsteht eine Distanz zwischen Publikum und Band, die sich vor allem in den fast schon unangenehmen Pausen zwischen den Songs breit macht. Trotz alledem kann die Band zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt ist. Schubladen wie Deutschpop sollte man endgültig Langweilern wie Nena überlassen, denn Lichter spielen mehrere Ligen darüber und brauchen solche Stigmata wirklich nicht mehr. Dazu sind die Songideen textlich und musikalisch zu einfallsreich und detailverliebt. Man merkt, oder glaubt zumindest zu merken, dass sich die Band Gedanken um die Klanggebäude macht, die sie in ihren Songs aufbaut. Ob daran jedoch selbst Johann Sebastian Bach seine Freude hätte, so wie die "Intro" beim Hören empfindet, mag der Autor jetzt einmal am Rande doch stark bezweifeln. Trotzdem sind die tollen Popsongs mit leichten psychedelischen Einflüßen und hier und dort einer ordentlichen Packung Gitarrengeschrammel wirklich hörenswert.

{image}Allgemein kann man sagen, dass es die Band schafft, live besser als auf Platte zu klingen. Die Songs wirken voller und passender und geben plötzlich mehr her, verlieren dabei aber nicht ihre Eingängigkeit. Persönlicher Höhepunkt des fast einstündigen Konzerts: Das Lied Doctor Jacoby, das bisher noch nicht sehr oft live gespielt und auch auf keiner Platte verbaut wurde und als Hommage an den gleichnamigen Charakter aus der Serie Twin Peaks gedacht ist. Wenig später nach diesem Song verlassen Lichter mit einem kurzen Hinweis auf den nun folgenden Hauptact des Abends leider ohne Zugabe die Bühne. In einem kleinen Gespräch mit anderen Konzertbesuchern fällt der Vergleich mit Madsen, der zwar etwas weit hergeholt scheint, aber trotzdem passt. Denn Lichter klingen im Endeffekt so, wie eine weitaus bessere Version der Band aus Prießeck, sieht man einmal von den instrumentalen Unterschieden ab – jedenfalls live.

Nach der obligatorischen Umbaupause geht es dann mit Holy Fuck weiter und sofort fällt auf, dass der junge Mann an den Mischpulten wohl den Lautstärkeregler mit einem Gaspedal verwechselt hat. Teilweise befindet sich die Lautstärke nah an der Schmerzgrenze, selbst beim schon leicht tauben Autor. Das Publikum ist davon aber trotz alledem weniger gestört und versammelt sich wie bei einer Predigt vor der Bühne, die nahe Niederkunft des heiligen Geschlechtsverkehrs erwartend. Die Band hingegen ist von diesem plötzlichen Sinneswandel unbeeindruckt und hat mehr mit sich selbst und der Musik am Hut. Interessant ist die Aufstellung der Instrumente auf der Bühne: Im Vordergrund haben sich die beiden Soundbastler und einzig richtig festen Mitglieder der Band, Graham Walsh und Brian Borcherdt, gegenüberstehend positioniert. Genau dahinter sitzt Matt Schulz am Schlagzeug, der auch von der Band Enon bekannt ist. Komplettiert wird das Quartett von Michael Bigelow am Bass, der während des ganzen Konzerts vollkommen in seiner eigenen Soundwelt gefangen ist und in seinen Bewegungen relativ stark an einen Wippvogel erinnert.

Holy Fuck - Milkshake

 

Vertieft sind aber wie schon gesagt auch die anderen Bandmitglieder, und so verzichtet man auch auf jede Ansage, bis nach einer knappen halben Stunde das erste "thanks" ins Mikrofon gehaucht wird. Eine kurze und unverständliche, da über Vocoder gesprochene Ansage von Borcherdt ist die zweite und auch letzte Wortmeldung des Abends. Musikalisch gesehen fällt einem bei Holy Fuck in letzter Zeit zum Vergleich wohl Battles ein, wobei Holy Fuck ganz anders an die ganze Sache herangehen. So setzen sie gerne alte elektronische Instrumente oder Kinderspielzeug ein, um ihre Klänge zu erschaffen. Besonders interessant dabei ist der Uralt-Flanger von Brian Borcherdt, der noch mit scheinbar kilometerlangen Tonspulen funktioniert und daher das Prädikat handgemachte Elektro-Musik wirklich verdient.

{image}Die Songs selbst zwingen einfach dazu, sich zu bewegen. Wer hier stillsteht, hat wirklich ein minderschweres Problem. Teilweise wird aber das Schlagzeug zu ausufernd, die Eskapaden aus den Songs zu viel und der Zusammenhang verliert sich. So vertieft man sich erst in die Klänge, wird dann aber wieder herausgerissen. Wahrscheinlich ist das so sogar beabsichtigt, stört aber trotzdem. Song des Abends ist ganz klar der offiziell Letzte in der Setlist, Lovely Allen, denn hier stimmt dann doch einfach alles. Ganz nebenbei ist hier die Zusammenarbeit mit Owen Pallet von Final Fantasy in der Studioversion zu erwähnen. Mit leichter Verwunderung kann man die Band daraufhin in den Backstage-Raum verschwinden sehen, schließlich sind noch nicht einmal sechszig Minuten vergangen, seit sie die Bühne betraten. Als gerade die Hintergrundmusik wieder angeht und damit das Ende des Abends signalisiert wird, lässt sich Holy Fuck doch noch für einen wirklich letzten Song auf die Bühne bitten, der aber trotzdem viel zu schnell endet.

So ist dann leider kurz vor Mitternacht endgültig Schluss und man verlässt das Café Central mit der etwas flauen Stimmung im Magen, dass der Abend viel zu schnell vorbei ging. Kann man sonst einem Hype doch eher selten trauen, passt es bei Holy Fuck hingegen ziemlich gut. Ein winzig kleines bisschen sympathischer waren im Nachhinein aber doch Lichter: Wahrscheinlich liegt es am Heimspiel-Bonus.

Alles zu den Themen:

holy fuck lichter