Charlie Haden & Brad Mehldau Duo (Christuskirche Mannheim 2007)
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Charlie Haden & Brad Mehldau Duo (Christuskirche Mannheim 2007) Fotos: Jonathan Kloß © regioactive.de

Mit Charlie Haden machte eine weitere Legende des Jazz dem Enjoy Jazz-Festival seine Aufwartung. Nicht weniger als vier Auftritte absolvierte der siebzigjährige Bassist im Verlauf von 48 Stunden. Im Mittelpunkt standen dabei der Auftritt mit seinem Quartet West am vorigen Samstag in der Alten Feuerwache sowie das Konzert mit Brad Mehldau am darauffolgenden Montag in der Christuskirche in Mannheim.

Der Zuspruch des Publikums war bei beiden Auftritten außerordentlich groß, vor den entsprechenden Veranstaltungsorten bildeten sich schon lange vor Öffnung der Eingangstüren lange Schlangen, in denen die aus nah und fern angereisten Zuschauer mehr oder weniger geduldig auf den Einlass warteten. Berühmtheit erlangte Charlie Haden zunächst als Bassist in Ornette Colemans legendären Gruppen der Jahre 1959-61, die mit Alben wie The Shape Of Jazz To Come und Free Jazz  auf der Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten radikal neue Wege beschritten.

Während Coleman dem avantgardistischen Jazz treu geblieben ist, hat sich Haden in den vergangenen Jahrzehnten einer Form der Musik zugewandt, die den melodischen und insbesondere den lyrischen Gehalt in den Vordergrund stellt. So zeichnet das Quartet West, das in leicht veränderter Form seit Mitte der 1980er besteht, eine starke Verankerung in der Tradition des Jazz aus, ohne dabei jedoch mit modernen Elementen zu brechen.

Das Quartet West besteht an diesem Abend aus Haden, Ernie Watts am Tenorsaxophon, Alan Broadbent am Klavier und dem jungen Schlagzeuger Rodney Green, der seine begleitende Rolle solide absolviert. Das Repertoire beinhaltet sowohl Eigenkompositionen wie das Auftaktstück Passport, als auch bekannte Repertoire-Stücke wie Ornette Colemans Lonely Woman, dessen sehnsuchtsvolle Traurigkeit Watts glänzend vermittelt.

Der Saxophonist erweist sich sowieso als der gar nicht so heimliche Star des Abends. Er begeistert mit seinen intensiven, virtuosen und abwechslungsreichen Soli, spielt Balladen ebenso ergreifend und ausdrucksstark wie den Calypso Child’s Play. Sein Saxophonspiel scheint trotz aller Expressivität einer inneren Logik zu folgen. Broadbent arbeitet hingegen methodischer, abstrakter und scheinbar etwas konstruierter, so dass seine Soli gelegentlich wie musikalische Exkursionen wirken, denen es bisweilen an Ausdrucksstärke fehlt. Haden scheint sich in der Rolle des Timekeepers wohlzufühlen, jedoch gelingt es ihm nicht immer, seine Soli mit dem notwendigen Maß an Spannung zu erfüllen, so dass der Zuschauer sie etwas teilnahmslos zur Kenntnis nimmt. Aufgrund des abwechslungsreichen, harmonischen Ensemblespiels, der gelungen Auswahl an Stücken und dem herausragenden Ernie Watts, überwiegt trotz kleinerer Schwächen der Eindruck eines gelungenen Konzertes.

Zum Abschluss findet sich das Quartett – angetrieben vom begeisterten Zuspruchs des Publikums – spontan zu einer weiteren Zugabe bereit, die Haden dazu nutzt, sich mit seinem besten Solo des Abends vom Publikum zu verabschieden. Mit spürbarer Begeisterung und sichtlichem Enthusiasmus widmet er das Konzert dem Weltfrieden, lobt den Geschmack der Organisatoren und des Publikums und man merkt, dass diese Äußerungen nicht bloße Routine sind. In seiner Person besitzt das Enjoy Jazz-Festival fraglos einen engagierten Fürsprecher.

Die prachtvoll erleuchtete Christuskirche in Mannheim bildet auf den ersten Blick einen idealen Rahmen für das Konzert von Brad Mehldau und Charlie Haden am darauffolgenden Montag. Ob der äußerliche Glanz des Gotteshauses auch seine Entsprechung in der Musik der Protagonisten fand, war bedauerlicherweise von der Sitzposition des Zuhörers im Inneren der Kirche abhängig. Im hinteren Drittel der Sitzbänke war der Klang schlichtweg katastrophal, auf den seitlichen Emporen lediglich erträglich. Zentrale Aspekte von Mehldaus Klavierspiel und vor allem Hadens Bass gingen weitgehend im riesigen Kuppelbau verloren; die Musik klang – auf den schlechten Plätzen – dumpf, leise und hohl, als hätte man riesige Wolldecken über den Musikern und ihren Instrumenten ausgebreitet.

Die Wirkung war insbesondere deshalb verheerend, weil die subtile Dynamik des Mehldauschen Klavierspiels kaum zu erkennen war. Im Gegensatz zu anderen Pianisten baut er keine tosenden Klangwände auf, sondern zeigt sich als Meister der feinen Akzentuierungen. Selbst dann, wenn er Tempo und Intensität seiner Improvisationen erhöht, wirkt sein Spiel offen und federleicht, da er seiner Musik durch kurze Pausen und Auslassungen viel Raum lässt und damit grandiose Spannungsbögen schafft. Wenn diese Subtilitäten nicht zu erkennen sind, ist sein Klavierspiel weitgehend seines Ausdrucks und Charakters beraubt.

Letztlich kamen nur die Zuschauer in den vorderen Rängen in den Genuss eines wirklichen Konzerterlebnisses, da sie Klavier und Bass detailgenau und klar vernehmen konnten. Wer sich dort aufhielt konnte bewundern, wie traumwandlerisch sicher Mehldau Hadens Basssoli mit kleinen und kleinsten Motiven verzierte. Das geniale Zusammenspiel der beiden Musiker gehörte sicherlich zu den Highlights des diesjährigen, insgesamt wiederum sehr gelungenen Festivals. Es wäre allerdings schön gewesen, wenn alle Anwesenden in den Genuss gekommen wären, Charlie Haden und Brad Mehldau auch in der Weise verfolgen zu können, wie sie es verdienten.

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