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Impressionen vom Sonntag bei Rock am Ring 2022 © Peter H. Bauer

Mit Rock am Ring feiert das bekannteste Festival 2022 sein Comeback. Die 85.000 Besucher feiern die Rückkehr des größten deutschen Festivals mit einer ausgelassenen Party, die auch von organisatorischen Schwierigkeiten nicht aufgehalten wird.

Vieles ist neu bei Rock am Ring 2022. Die wichtigste Veränderung dürften viele Fans jedoch gar nicht bemerkt haben. Statt von Live Nation wird Deutschlands größtes Rockfestival jetzt von einem Konsortium an Firmen veranstaltet, die sich alle unterm Dach vom Ticketkonzern Eventim zusammenfinden.

Die gewohnten 80 Bands wurden auf ca. 70 runtergekürzt, die Bühnen heißen jetzt Utopia-, Mandora- und Orbit-Stage und auf dem ganzen Festivalgelände kann nur noch elektronisch per online-aufladbaren Armband gezahlt werden. Einige der Änderungen sollten im Laufe des Wochenendes jedoch zu Problemen führen.

Hauptsache Party

Was beim ersten Betreten des Zeltplatzes auffällt, und das ganze Festival über andauert, ist die nicht enden wollende Partystimmung. Egal wo man hinsieht, wird getanzt, getrunken und vor allem gelacht. An sich nichts ungewöhnliches, im Vergleich zu den Jahren vor 2020 liegt hier jedoch ein ganz anderer Vibe in der Luft. Dass Corona nun endlich Geschichte zu sein scheint, bringt die Leute derart in Stimmung, die letzten beiden Jahre nachzuholen, dass die gute Laune ein ganz anderes Level erreicht.

Zwar fällt das Wort "Corona" gefühlt kein einziges Mal, jeder ist sich jedoch der langen Pause bewusst und es wird jeder Moment zu 110% ausgekostet. Die Zeltplatzparty ist so überragend, dass man am Donnerstag schnell vergisst, dass ja auch noch ein Festival ansteht. Die Bands sorgen Freitag jedoch dafür, dass die Stimmung noch besser wird.

Bengalos & Eskalation

Wie heiß die Menge auf Livemusik ist, wird nirgends so deutlich wie bei den Donots. Noch bevor die Ibbenbührener die Bühne betreten gibt es Sprechchöre und tanzende Menschen.

Als dann die ersten Töne von "Calling" ertönen, brechen alle Däme. Bengalos werden gezündet und das ganze Gelände springt ohne Pause. Und das obwohl das Highlight der Show noch kommen sollte. Und zwar was für ein...

Rock am Ring ohne Hosen!?

Alles beginnt harmlos, als Ingo Donot den Text von "Hier kommt Alex" anstimmt. Nach dem ersten Refrain folgt dann jedoch die Sensation. Ingo brüllt "Hier sind Die Toten Hosen aus Düsseldorf!" und die komplette Band kommt als Überraschung auf die Bühne. Jetzt wird "Hier kommt Alex" mit voller Power performt und mit einem furiosen "Schrei nach Liebe"-Cover der anderen 40-jährigen Pubkrockband Tribut gezollt. Definitiv der Moment des Wochenendes!

Die restlichen Shows am Freitag müssen sich aber keinesfalls verstecken. SSIO sorgt auf der Mandora-Stage mit seinem abgedrehten Humor für viele Lacher, während The Offspring einen Hit nach dem anderen abfeuern. Vorher ließen keine anderen als die ESC-Sieger Maneskin die Hauptbühne beben. Unfassbar was für Performer die vier Italiener/innen sind!

Punkrock at it's best

Die beste Stimmung des Freitag herrscht aber ohne Zweifel bei den Broilers. Sammy und seine Gang geben den vermutlich emotionalsten Auftritt des Festivals zum besten und lassen spätestens bei "Nur nach vorne gehen" inklusive Bengalo-Show einige vor Rührung weinende Fans zurück.

Green Day sind danach als Headliner grundsolide und zeigen vor allem, wie viele Hits sie in ihrer Karriere geschrieben haben. Wer ein Set mit "American Idiot", "Holiday" und "Know Your Enemy“" beginnen und mit "When I Come Around", "21 Guns" und "Wake Me Up When September Ends“ abrunden kann, steht völlig zurecht an der Spitze des Line-Ups.

Ein riesiges Feuerwerk und Pyroshow gibt es quasi gratis dazu – sensationell. Danach geht die Party bis in die tiefen Morgenstunden weiter. Wer hier vor 5 Uhr einschlafen will, muss extrem guten Gehörschutz haben.

Überzeugende Auftritte

Während der Freitag musikalisch extrem stark war und zahlreiche Highlights ermöglichte, geht es Samstag etwas gemächlicher zu. Die Sportfreunde Stiller feiern ihr großes Comeback, Alligatoah begeistert auf der Hauptbühne und Placebo haben irgendwie ihre Hits zuhause gelassen.

Grund genug, das Festivalgelände endlich mal etwas genauer zu untersuchen. Hier wird direkt eine Sache klar: die 85.000 Fans genießen jeden einzelnen Moment des Festivallebens. Alle Fahrgeschäfte sind voll, überall tanzen die Fans zu Musik aus den zahlreichen Sponsoring-Buden und man sieht strahlende Gesichter, wo man sich hinguckt. So richtig kann es wohl immer noch niemand glauben, dass ein solches Festival wieder komplett ohne Einschränkungen möglich ist.

Organisatorische Probleme

Allerdings gibt es auf dem Festivalground auch einige Schwierigkeiten, die zu unnötigen negativen Erlebnissen führen. Ob es an der hohen Zahl von angeblich 85.000 Besuchern liegt oder an organisatorischen Schwierigkeiten liegt, können wir nicht klären.

Die Schlangen an den Essensständen sind jedenfalls länger als vor Apple Stores wenn ein neues iPhone rauskommt. Während sich das Warten im Zweifel noch mit dem Lidl Rockstore überbrücken lässt, ist das Problem in Bezug auf die Toiletten wirklich unangenehm.

Wer eine Kabine aufsuchen will, muss sich auf dem Infield auf Wartezeiten von bis zu 30 Minuten einrichten. Auf den Zeltplätzen kann die Wartezeit gut und gern auch mal das Doppelte betragen – an den WCs und Duschen sogar das Dreifache.

Ein Ärgernis ist auch das Pfandsystem: An so gut wie jedem Essensstand wird einem eine (meist  unnötige) Schale als Geschirr mitgegeben, die mit 3€ Pfand belegt ist. Leider kann diese jedoch nur an bestimmten Pfandstationen zurückgegeben werden, die allerdings extrem rar gesät sind und unter entsprechend langen Schlangen leiden. Folgerichtig wird viel Geschirr einfach weggeworfen und liegen gelassen. 

Neues Personal

Insgesamt hat man das Gefühl, dass mit den neuen Veranstaltern auch jeder einzelne Ordner und Mitarbeiter auf dem Gelände ausgetauscht wurde. Die Teams wirken oft unkoordiniert und schlecht über ihre Zuständigkeiten informiert.

Dies führt zu zahlreichen Diskussionen mit den Zuschauern. Es bleibt zu hoffen, dass sich die neuen Teams in den nächsten Jahren einspielen und einen reibungsloseren Ablauf ermöglichen. Das Publikum lässt sich dadurch aber nicht die Stimmung vermiesen und will einfach nur Spaß haben.

Musikalische Gegensätze

Das Samstagabendprogramm könnte kaum unterschiedlicher sein. Muse liefern als Headliner eine gigantische Licht- und Feuershow, erhalten jedoch nicht den Zulauf, den ein Headliner eigentlich erwartet. Im Publikum gibt es extrem viele Lücken und zahlreiche Menschen zieht es zu den Buden oder anderen Bühnen.

Dort liefert u.a. Casper ein Best-Of aus neuem Album und alten Hits ab, während auf der Orbit Stage die vermutlich lauteste Party des Wochenendes zelebriert wird. Die Kassierer lassen bei ihrer Show nichts anbrennen und bringen die Meute zum Durchdrehen. Auch hier zünden Fans Bengalos, viele ziehen sich aus und jeder wird in den Pogo gezogen. Für manche mag es asozial und albern sein, man muss den Kassierern jedoch lassen, dass sie für Partywütige genau das Richtige am Samstagabend sind.

Da für Sonntag Regen angesagt ist, nutzen viele die Chance, die letzten warmen Stunden außerhalb des eigenen Zeltes zu verbringen. Auch heute geht die Party bis in die frühen Morgenstunden und wird erst vom Regen nach Sonnenaufgang beendet.

Nochmal alles geben

Der Sonntagmorgen ist geprägt von zahlreichen Schauern, die das Leben auf dem Zeltplatz etwas erschweren. Viele zieht es daher schon früh auf das Festivalgelände, wo vor allem Metalbands wie Black Veil Brides, Airbourne oder Bush der Menge einheizen.

Allerdings macht sich ein großes Soundproblem bemerkbar. Egal auf welcher Bühne, jenseits der zweiten Welle kommt die Musik auf Zimmerlautstärke an. Wer also nicht in den vorderen Bereichen durchdrehen will, sondern lieber die Musik genießt, muss sehr genau hinhören und hoffen, dass man niemanden neben sich sich stehen hat, der sich mit anderen unterhält.

Fesselnde Shows

Nichtsdestotrotz sollen diese Punkte nicht über einen starken Abschlusstag hinweg täuschen. Fans und Bands geben nochmal alles und vor allem der Platz vor der Utopia-Stage wird dem Erdboden gleich gemacht.

Bullet For My Valentine sorgen für zahllose Circle Pits und Korn ziehen mit ihrem einzigartigen Sound alle in ihren Bann. Es ist unglaublich, welche Energie die Fans noch besitzen und in welcher Partylaune sie sind. Trotz organisatorischer Schwierigkeiten scheint keiner nach Hause gehen zu wollen.

Emotionaler Abschluss

Das Finale von Rock am Ring 2022 gehört dann zwei Bands: Volbeat und Billy Talent. Erstere liefern als Headliner eine exzellente Rock‘n‘Roll Show ab und sorgen vor allem mit dem Überhit "Fallen" für Gänsehaut. Michael Poulsen ist ein hervorragender Showman, der mittlerweile völlig zurecht in der Champions League der Rockmusik angekommen ist.

Die beste Show des Sonntag liefern jedoch ohne Zweifel Billy Talent. Sänger Ben ist vom gigantischen Zustrom sichtlich gerührt und bedankt sich mehrfach aus tiefstem Herzen bei allen Fans, die ihnen die Treue gehalten haben.

Die Band selbst spielt natürlich alle ihre Hits wie "Surrender", "Red Flag" oder "Fallen Leaves", covert aber auch erstmals in ihrer Geschichte einen Song: "Everlong" von den Foo Fighters in Gedenken an Taylor Hawkins. Am Ende teilen sie sich den Titel der besten Show des Wochenendes mit den Broilers und schicken alle zufrieden auf den Zeltplatz zurück.

Ein besonderes Wochenende

Als die Show vorbei ist, wird vielen erst so richtig klar, wie besonders dieses Wochenende war. All die Jahre Pause und all die Ungewissheit, die so viele seit 2020 begleitet hat, ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Das Comeback von Rock am Ring ist der vielleicht beste Seelenbalsam, den Fans von Livemusik momentan bekommen können.

Jeder war sich der Situation bewusst und hat genau so gefeiert, als wäre es die letzte Party des Lebens. Schön, dass es jedoch die erste von vielen weiteren ist, die ab sofort wieder möglich sind. Danke Rock am Ring-Fans 2022!