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Bad Religion (live in Wiesbaden, 2022) © Johannes Rehorst

Die unfreiwillige Pause hat Bad Religion offensichtlich gut getan. Bei der ersten von zwei ausverkauften Shows im Schlachthof Wiesbaden gibt sich die Band so engagiert wie lange nicht - zur Freude der Fans.

"Like a rock, like a planet, like a fucking atom-bomb..." Naja, ganz so heavy vielleicht doch nicht, aber mit "Generator" knallte der erste Song auf der Setlist am Montagabend schon ordentlich rein. Sehr zur Freude all derer, die nun schon zwei Jahre warten mussten, um mit Bad Religion in Wiesbaden den Runden zu feiern.

40 + 2 lautete die Devise, und zwar gleich im doppelten Wortsinne, denn die Punk-Rock-Institution aus LA gab sich zum Nachholen der coronabedingt ausgefallenen Konzerte der Vorjahre zum Wochenstart gleich zweimal die Ehre auf der beide Male ausverkauften Schlachthof-Bühne.

Frischzellenkur

Es schien, als ob Publikum und Band gleichermaßen ausgehungert waren. Die einen nach unbeschwertem Mitsingen und Tanzen, die anderen danach, die angestaute Energie und den Frust der letzten Jahre mal wieder ordentlich rauslassen zu können. Man muss sagen, gerade letzteres ist geglückt: fast konnte man meinen, die Zwangspause hat einige Routinen ausgetrieben und frische Impulse ins Bandleben gebracht.

Immerhin kommen zu den 40 + 2 Jahren Blut, Schweiß und Tränen auf den Bühnen dieser Welt noch die einen oder anderen Lebensjahre dazu und auch das unstete Punkrockerleben hat durchaus seine Spuren hinterlassen. Doch an dem Abend, so scheint es, stehen da keine Endfünfziger im Scheinwerferlicht, sondern fünf Musiker in der Form ihres Lebens, die viel jünger scheinen, als das Motto des Abends vermittelt.

Dynamisch

Mike Dimkich – stilecht in feinstem Tweed und Seidenschal auch optisch der Elder Statesman – und sein Gegenpart Brian Baker schwingen die Gitarren wie Jungspunde und haben auch mit dem Tempo, das Drummer Jamie Miller präzise in die Felle tackert und mit dem Bad Religion einst Maßstäbe in Sachen Punkrock setzten, keinerlei Probleme, während Jay Bentley als definitiv agilster Bandpart mit seinem Bass unermüdlich zwischen den Kollegen hin- und her wirbelt.

Selbst Frontmann Greg Graffin, der sonst getrost mit dem Attribut statisch belegt werden darf, lässt sich durch die Dynamik zu spontanen Tanzeinlagen bewegen. Und jetzt mal ehrlich: Wie viele promovierte Evolutionsbiologen stehen mit knapp 60 Jahren noch regelmäßig abendelang im Scheinwerferlicht und schaffen es dabei sympathisch und emotional zugleich bissigen Humor, Gesellschaftskritik und politische Botschaften zu vermitteln?

Reise durch die Bandgeschichte

Auch die Setlist des Abends ist ein Exkurs in die Bandgeschichte. Ganze 26 Songs haben Graffin & Co. auf dieser notiert und nehmen das Publikum so mit auf eine Reise quer durch die letzten 40 Jahre: Von "Fuck Armageddon, this is Hell" vom 1982er-Debut "How Could Hell Be Any Worse" bis zu "End of History" vom 2019 erschienenen "Age of Unreason" werden nahezu alle Epochen beleuchtet.

"The Bad Religion Choir is back" kommentiert Graffin die Singalongs von der Flanke und aus dem Publikum mit einem Grinsen. Und der Chor hat einiges zu tun: Hymnen wie "American Jesus" oder "Atomic Garden" folgen auf Kracher wie "Suffer" oder "You" - selbst mit dem "Punk Rock Song" vom damals szeneintern heiß diskutierten Album "The Gray Race" haben inzwischen wohl auch die letzten Sellout-Schreier von damals ihren Frieden gemacht.

Sie dürften heutzutage wohl auch besser schweigen, denn gegen Unkenrufe aller Art stehen eben 40 plus zwei Jahre Erfolgsgeschichte. Und hoffentlich noch ein paar mehr. Ein Abend wie dieser macht zumindest Lust darauf.

Legenden als Support

Als Support haben sich Bad Religion übrigens mit Slime eine weitere Band auf die Bühne geholt, die sich in über 40 Jahren ebenfalls einen soliden Legendenstatus erarbeitet haben. Die kommen mit neuem Sänger und haben passenderweise auch einige neue Songs im Gepäck.

Stimmlich macht sich Tex Brasket ganz gut, bringt sowohl die nötige Kratzigkeit mit, die es für Klassiker wie "Schweineherbst", "Alle gegen alle" oder "Religion" braucht, als auch das Quäntchen Eigenständigkeit, wenn er in den neuen Songs in eine Art Sprechgesang wechselt.

Dazu gibts eine gut geölte Begleitung, weitestgehend getragen von Slime-Gründer Elf, der inzwischen bereits seit über 40 Jahren unter dem Stern-Emblem seinen Dienst versieht. Ob man das alles 2022 noch braucht? Geht es nach einem Großteil des Publikums, das die Songs feiert und eifrig mitsingt, wohl ja, ja sagt auch irgendwie das Herz, wenn man merkt, dass Texte wie der von "Alptraum" auch nach 40 Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren haben – leider!

Setlist

Generator / Recipe for Hate / New Dark Ages / Man With a Mission / Punk Rock Song / Los Angeles Is Burning / Struck a Nerve / Suffer / Come Join Us / End of History / Fuck You / We're Only Gonna Die / Dept. of False Hope / Do What You Want / Modern Man / Slumber / Anesthesia / No Control / Atomic Garden / You / Infected / Sorrow / I Want to Conquer the World / 21st Century (Digital Boy)

Encore: American Jesus / Fuck Armageddon, This Is Hell

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