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Lingua Nada (live in Mannheim, 2019) © Johannes Rehorst

Manchmal passt alles: Das sommerliche Wetter verwöhnt die Besucher des 10. Mannheimer Brückenawards. Aber auch musikalisch zeigt sich das Underground-Festival von seiner besten Seite.

Der Mannheimer Brückenaward 2019 kann sich über mangelnden Zuspruch der Besucher nicht beklagen. Dafür sorgt aber nicht nur das Traumwetter an beiden Tagen, sondern auch die durchgehend hohe Qualität des Events.

Bemerkenswert ist außerdem, dass 2019 das nicht-kommerzielle Underground-Festival bereits zum 10. Mal unter der Eisenbahnbrücke am Neckarufer stattfindet. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Rockiger Auftakt

Eröffnet wird das Festival von der bei Backstage PRO ausgesuchten Band abc Def Ghi's, deren instrumentaler Rock offensichtlich ebenso von Grateful Dead wie von Funk beeinflusst ist. Bei brütend heißem Wetter sorgt die alphabetische Band für die richtige Einstimmung für einen langen Abend voller Musik.

Mehr Rock gibt es anschließend von der Band Film, die ebenso lange Jams wie auch kurze knackige Rocksongs in Petto hat. Ihr deutlichster Einfluss ist Neil Young, dessn Song "Like A Hurricane" sie auch zitieren. Film überzeugen mit einem abwechslungsreichen Auftritt, der beim Publikum auf viel Zuspruch stößt.

Auf dem Weg nach oben

Kirchner Hochtief haben sich für ihren Auftritt in Schale geworfen – genauer gesagt in Anzüge, die bei diesem Wetter sicher kein Vergnügen sind. Die Band bietet eigenwilligen, aber definitiv memorablen Indie-Rock. Teilweise mag das Streben nach künstlerischem Ausdruck etwas zu prätentiös wirken, aber Kirchner Hochtief haben definitiv einen eigenen Stil und das Talent, die deutsche Musikszene aufzumischen. Man darf auf ihren weiteren Weg gespannt sein.

Die Rauchenden Spiegel bieten eine Mischung aus groovigen Krautrock und Jazz-Rock im Stil der 1970er-Jahre. Es ist nicht leicht, mit rein instrumentaler Rockmusik das Publikum mitzureißen, aber den Rauchenden Spiegeln gelingt es mit jeder Menge Einsatz und Leidenschaft. 

Sensationeller Abschluss

Das krönende Finale eines awardverdächtigen ersten Festivaltages liefern Lingua Nada. Nach anfangs noch etwas gewöhnungsbedürftigen Autotune-Experimenten nagelt der Vierer aus Leipzig ein Brett auf die Brückenaward-Bühne, das dort wohl so schnell nicht mehr wegzubekommen ist.

Ihre eklektische Mischung aus wildem, ungestümem Hardcore, vertrackten Beats, tanzbaren Synth-Klängen garniert mit mehrstimmigen Ohrwurm-Refrains und jeder Menge Pop-Appeal verwandelt die Neckarwiese endgültig in einen Tanzboden. Wenn das erste Konzert einer dreimonatigen Tournee mit lautstarken und begeisterten Zugaberufen endet, kann man wohl nur sagen: alles richtig gemacht.

Wüstenfeeling

Der zweite Tag des Mannheimer Brückenawards eröffnet passend zur sommerlichen Hitze mit einer gehörige Portion Wüstenfeeling: Während die One Man Band Slur mit minimalem Drumkit und Gitarre staubtrockenen Bluesrock liefert, bietet die Ludwigshafener Gruppe Tascosa melancholisch-kraftvollen Desert Rock, der durch abwechslungsreiche Instrumentierung punktet. 

Auch die Musik von Beach Towel passt perfekt zum hervorragenden Wetter: Die Gruppe kreiert mit Heimorgel und Drumcomputer, Gitarre und einer gehörigen Portion Augenzwinkern eine lässigen Sound, der – nomen est omen – nach lässigen Nachmittagen am Strand, nach Wassereis und Sonnencreme klingt. 

Zeitreise

Für die Dauer des Auftrittes von GL!TCH verschwindet die Leichtfüßigkeit der vorhergegangenen Acts: ihr tighter, deutlich von Crossover-Bands wie Rage Against the Machine beeinflusster Sound bringt eine gehörige Portion Wut unter die Brücke. 

Noctilucent lassen es kurz darauf dann wieder deutlich entspannter angehen. Auch diese schielen in Richtung der Neunziger, zeigen sich jedoch eher vom Trip-Hop von Acts wie Portishead oder Massive Attack inspiriert – ohne jedoch die nötige Eigenständigkeit vermissen zu lassen. Gerade die mühelose Performance ihrer Sängerin lässt den Auftritt im Gedächtnis bleiben. 

Zum Abschluss nochmal Wüste

Hope verfügen im Anschluss über eine ebenso überzeugende Sängerin, die den mit elektronischen Elementen durchzogenen Post-Punk der Band ausdrucksstark herüberbringt. Das Publikum lässt sich in düstere Welten entführen oder nimmt den wavigen Sound der Band als Anregung zum Tanzen.

Mit einem ausgedehnten Auftritt der Tuareg-Blues-Band Group Inerane neigt sich der zehnte Mannheimer Brückenaward dann seinem Ende zu. Zu den treibenden Klängen der aus dem Niger stammenden Band um den Gitarristen Bibi Ahmed mobilisiert das Publikum seine letzten Kräfte und tanzt, als gäbe es kein Morgen – ein gebührendes Finale für die Jubiläumsausgabe des Mannheimer Brückenawards.

Am Ende bleibt wieder einmal festzustellen, dass die Kulturszene Mannheims ohne den Brückenaward um einiges ärmer wäre: Die eklektische Musikauswahl und die überzeugenden Auftritte sowie die stets friedliche und angenehme Atmosphäre unter der Eisenbahnbrücke sind schlichtweg unverzichtbar. Auf die nächsten zehn Jahre!